Die „Stadt aus Tuffstein“
von Sepp Spiegl

Italien ist reich an malerischen Städten und Dörfern, aber wenige Orte beeindrucken so nachhaltig wie Pitigliano, eine kleine Stadt in der Toskana, die hoch über einer Felsklippe thront und oft als „Klein-Jerusalem“ bezeichnet wird. Berühmt für ihre atemberaubende Architektur, die jüdische Geschichte und die Lage auf einem massiven Tuffsteinfelsen, ist Pitigliano ein verstecktes Juwel, das nur darauf wartet, entdeckt zu werden. Hier ist ein Reisebericht über einen Besuch in dieser faszinierenden Stadt, die in der Provinz Grosseto liegt.
Ankunft und Erster Eindruck
Nach einer kurvenreichen Fahrt durch die toskanische Landschaft, vorbei an sanften Hügeln, Weinbergen und Olivenhainen, erhebt sich Pitigliano plötzlich dramatisch vor einem. Die Stadt scheint mit dem Felsmassiv zu verschmelzen, auf dem sie steht – als ob sie aus dem Tuffstein herausgewachsen wäre. Schon beim ersten Anblick ergreift die Stadt den Besucher mit ihrem mittelalterlichen Charme. Ich parkte meinen Wagen außerhalb der Stadtmauern und betrat Pitigliano zu Fuß. Schon beim ersten Schritt durch die alten Gassen fühlte ich mich in eine andere Zeit versetzt. Die engen, gepflasterten Straßen, die steilen Treppen und die alten Häuser aus gelbem Tuffstein schaffen eine einzigartige Atmosphäre, die Geschichte und Ruhe ausstrahlt.
Die Altstadt und ihre Sehenswürdigkeiten
Die Erkundung der Altstadt beginnt oft am zentralen Platz, der Piazza della Repubblica, von der aus man den beeindruckenden Palazzo Orsini bewundern kann. Dieser massive Palast, der einst die Heimat der mächtigen Orsini-Familie war, dominiert das Stadtbild. Der Palast wurde im 14. Jahrhundert erbaut und beherbergt heute ein Museum, das die Geschichte der Region und der Familie Orsini erzählt. Von der Piazza schlenderte ich durch die verwinkelten Gassen und ließ mich von der Stadt treiben. Die Straßen sind gesäumt von kleinen Geschäften, die lokale Produkte wie Wein, Olivenöl und Kunsthandwerk verkaufen. Besonders beeindruckend ist die Via Zuccarelli, eine Hauptstraße, die durch das historische jüdische Viertel führt.
Die Jüdische Geschichte Pitiglianos

Pitigliano trägt den Beinamen „Klein-Jerusalem“ aufgrund seiner langen und bedeutenden jüdischen Geschichte. Im 16. Jahrhundert wurde die Stadt zu einem Zufluchtsort für Juden, die aus anderen Teilen Italiens vertrieben wurden. Die jüdische Gemeinde war so einflussreich, dass sie eine Synagoge und ein jüdisches Viertel aufbauen konnte, das bis heute erhalten ist. Der Besuch der Synagoge von Pitigliano, die 1598 erbaut wurde, war ein bewegender Moment. Obwohl sie nur noch von wenigen jüdischen Familien genutzt wird, bleibt sie ein bedeutendes Symbol für das Erbe und die Toleranz der Stadt. Direkt daneben befindet sich das Jüdische Museum, das über die Geschichte der jüdischen Gemeinde und ihre Bräuche informiert. Ein weiteres Highlight ist der jüdische Friedhof, der sich etwas außerhalb der Stadtmauern befindet. Er ist in den Tuffstein gehauen und bietet einen eindrucksvollen Blick auf die umliegende Landschaft. Hier, unter uralten Zypressen, kann man die Stille und die friedliche Atmosphäre genießen.
Die Tuffsteinhöhlen und die etruskischen Wurzeln
Pitigliano ist nicht nur für seine mittelalterliche Geschichte bekannt, sondern auch für seine etruskischen Ursprünge. Überall in und um die Stadt gibt es Spuren der alten Zivilisation, die vor über 2.500 Jahren in der Region lebte. Besonders eindrucksvoll sind die Vie Cave, ein System von tiefen, in den Fels gehauenen Wegen, die von den Etruskern geschaffen wurden. Diese uralten Pfade führten durch dichte Wälder und bieten heute Wanderern eine einzigartige Möglichkeit, die Landschaft und Geschichte zu erkunden. Einer der faszinierendsten Aspekte von Pitigliano sind die zahllosen Tuffsteinhöhlen, die sich unter und in den Fels der Stadt erstrecken. Diese Höhlen wurden über Jahrhunderte als Lager, Keller und sogar als Wohnräume genutzt. Einige der Höhlen kann man heute besichtigen, und sie vermitteln einen faszinierenden Einblick in das alltägliche Leben vergangener Epochen.
Kulinarische Highlights

Kein Besuch in der Toskana wäre komplett ohne ein kulinarisches Erlebnis. In Pitigliano gibt es viele kleine Restaurants und Trattorien, die lokale Spezialitäten anbieten. Ich hatte das Vergnügen, in einer gemütlichen Trattoria zu essen, die köstliche toskanische Gerichte servierte. Besonders hervorzuheben ist der regionale Wein „Bianco di Pitigliano“, ein leichter Weißwein, der perfekt zu den traditionellen Gerichten der Region passt. Zu den typischen Gerichten, die ich probierte, gehörten Acquacotta, eine herzhafte Gemüsesuppe, und Pappardelle al Cinghiale, breite Bandnudeln mit Wildschweinragout. Als Dessert wählte ich Sfratti, eine Süßspeise mit Honig und Walnüssen, die jüdischen Ursprungs ist und ein Symbol für die jüdische Tradition der Stadt darstellt.
Der Ausblick und das Umland
Einer der Höhepunkte meines Besuchs war der atemberaubende Ausblick, den man von verschiedenen Punkten der Stadt aus genießen kann. Von den Aussichtspunkten entlang der Stadtmauern hat man einen herrlichen Blick auf das Tal und die umliegende toskanische Landschaft. Die Flüsse Lente und Meleta, die an der Basis des Felsens vorbeifließen, tragen zur malerischen Szenerie bei. Das Umland von Pitigliano bietet ebenfalls viele Attraktionen. In der Nähe befinden sich die Orte Sovana und Sorano, die ebenfalls auf Tuffsteinfelsen gebaut sind und ähnliche etruskische und mittelalterliche Wurzeln haben. Diese kleinen Städte sind perfekte Ausflugsziele für einen Tagesausflug und bieten eine noch ruhigere Atmosphäre als Pitigliano.

Pitigliano ist ein magischer Ort, der Geschichte, Architektur und Natur auf einzigartige Weise verbindet. Die Kombination aus der jüdischen Geschichte, den etruskischen Wurzeln und der spektakulären Lage auf einem Tuffsteinfelsen macht diese Stadt zu einem unvergesslichen Reiseziel in der Toskana. Wer die ausgetretenen Pfade Italiens verlassen möchte und authentische Kultur erleben will, der sollte Pitigliano unbedingt auf seine Reiseliste setzen.
Anreise:
Die Anreise nach Pitigliano kann ein kleines Abenteuer sein, da die Stadt abseits der großen Verkehrswege liegt. Dennoch gibt es verschiedene Möglichkeiten, um diese malerische Stadt in der Toskana zu erreichen.
1. Mit dem Auto
Die bequemste und flexibelste Art, nach Pitigliano zu reisen, ist mit dem Auto. Da die Stadt auf einem Felsen in einer ländlichen Gegend liegt, ist sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln schwerer zu erreichen. Ein Auto ermöglicht es Ihnen, nicht nur die Stadt, sondern auch die Umgebung zu erkunden.
- Von Rom: Die Entfernung von Rom nach Pitigliano beträgt etwa 150 km und die Fahrt dauert ungefähr 2,5 Stunden. Sie nehmen die Autobahn A12 in Richtung Civitavecchia und fahren dann weiter auf der Staatsstraße SS1 (Via Aurelia) Richtung Grosseto. Bei Montalto di Castro biegen Sie in die SR312 ein, die Sie nach Pitigliano führt.
- Von Florenz: Die Strecke von Florenz nach Pitigliano beträgt etwa 180 km und die Fahrt dauert etwa 2,5 bis 3 Stunden. Sie folgen der Schnellstraße FI-SI (Florenz-Siena) bis Siena, dann weiter über die SS223 Richtung Grosseto und biegen bei Paganico auf die SR74 ab, die Sie nach Pitigliano bringt.
- Von Grosseto: Aus Grosseto sind es nur 80 km, die Fahrt dauert etwa 1,5 Stunden. Fahren Sie auf der SS1 bis nach Albinia und dann auf der SR74 Richtung Manciano und Pitigliano.
Die Straßen in der Umgebung sind gut gepflegt, aber stellenweise kurvig und schmal, vor allem je näher man Pitigliano kommt. Die Landschaft auf dem Weg dorthin ist wunderschön und typisch toskanisch: sanfte Hügel, Weinberge und Olivenhaine.
2. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln
Die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist zwar möglich, erfordert jedoch etwas mehr Planung und Zeit, da Pitigliano keinen direkten Bahnanschluss hat. Wer kein Auto zur Verfügung hat, kann dennoch mit einer Kombination aus Zug und Bus anreisen.
- Zug und Bus von Rom: Nehmen Sie einen Zug von Rom nach Orbetello oder Grosseto (etwa 1,5 Stunden Fahrzeit). Von diesen Bahnhöfen aus gibt es Busverbindungen nach Pitigliano. Die Busgesellschaft Tiemme Toscana Mobilità bietet regelmäßige Verbindungen, die jedoch nicht sehr häufig verkehren. Prüfen Sie im Voraus die Fahrpläne.
- Zug und Bus von Florenz: Auch von Florenz aus können Sie mit dem Zug nach Grosseto fahren (ca. 2 Stunden). Von dort fahren ebenfalls Busse nach Pitigliano. Auch hier ist es ratsam, die Busfahrpläne im Voraus zu prüfen, da die Verbindungen nur ein paar Mal am Tag verfügbar sind.
3. Mit dem Fahrrad
Für abenteuerlustige Reisende, die die Schönheit der Toskana in einem langsameren Tempo genießen möchten, ist auch eine Anreise mit dem Fahrrad eine Option. Die hügelige Landschaft kann eine Herausforderung sein, aber die spektakulären Ausblicke auf dem Weg sind jede Mühe wert. Es gibt zahlreiche Radwege und weniger befahrene Straßen, die Pitigliano mit den umliegenden Städten verbinden. Besonders die Strecke von Sovana nach Pitigliano bietet eine malerische Kulisse und ist bei Radfahrern beliebt.
4. Flughäfen in der Nähe
Wer aus dem Ausland anreist, hat verschiedene Flughäfen in der Nähe, von denen aus man Pitigliano erreichen kann:
- Flughafen Rom-Fiumicino (Leonardo da Vinci): Der größte internationale Flughafen in der Nähe von Pitigliano. Von hier aus erreichen Sie die Stadt in etwa 2,5 Stunden mit dem Auto oder mit einer Kombination aus Zug und Bus.
- Flughafen Florenz (Peretola): Der Flughafen in Florenz liegt etwa 180 km von Pitigliano entfernt. Auch hier ist eine Anreise mit dem Mietwagen oder Zug und Bus möglich.
- Flughafen Pisa (Galileo Galilei): Pisa liegt rund 200 km entfernt. Eine Anreise von Pisa erfolgt ebenfalls am besten mit dem Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln über Florenz oder Grosseto.
5. Tipps für die Anreise
- Navigationssystem verwenden: Die engen Straßen und ländlichen Gebiete in der Toskana können verwirrend sein. Ein gutes Navigationssystem oder eine detaillierte Karte sind hilfreich, um sich zurechtzufinden.
- Parkmöglichkeiten: Parken Sie am besten außerhalb der Altstadt, da die Straßen innerhalb der Stadtmauern sehr eng sind. Es gibt mehrere Parkplätze in der Nähe des Stadtzentrums, von denen aus Sie die Stadt zu Fuß erkunden können.
- Öffentliche Verkehrsmittel planen: Wenn Sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen, sollten Sie die Fahrpläne der Busse und Züge im Voraus prüfen, da diese Verbindungen in ländlichen Gebieten nicht sehr häufig verkehren.
Egal, ob Sie mit dem Auto, Zug oder Bus anreisen, der Weg nach Pitigliano ist ein Erlebnis an sich, denn Sie durchqueren einige der schönsten Landschaften Italiens. Die Fahrt durch die Toskana, vorbei an mittelalterlichen Dörfern und sanften Hügeln, macht bereits die Anreise zu einem Teil des Abenteuers.
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