Die rote Wand
Rezension von Dr. Aide Rehbaum
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David Pfeifer: Die rote Wand

Die reale Vorlage für die Heldin des Romans, ein namenloses 15-jähriges Mädchen, diente als Mann verkleidet an der Gebirgsfront und hieß Viktoria Savs (1899-1979). Die Geschichte beginnt mit einer Verkleidung, mit der sich das Mädchen zur Musterung 1915 in Meran einfindet. Sie lässt sich unter dem Namen Richard als Standschütze im Landsturm auf österreichischer Seite zur Front in den Dolomiten einziehen, als einer von 17.000 aus Tirol, weil sie ihren Vater finden will. Der aus Russland zurückgekehrte Vater hatte sich als Freiwilliger an die Dolomiten-Front gemeldet. Sie gelangt mit dem Truppentransport per Bahn nach Sexten unterhalb der Drei Zinnen, 400 Soldaten verteilt auf 400 km Grenzverlauf. Wie sollen die etwas ausrichten können? Um nicht als weiblich enttarnt zu werden, beobachtet und imitiert sie die Kameraden sehr genau.
Aus jugendlicher Perspektive erleben wir, dass die Gebirgssoldaten weniger durch Feindkontakt sterben, sie stürzen ab auf den Klettersteigen, erfrieren, verirren sich, werden von Lawinen mitgerissen und hungern. Der Autor fokussiert auf wenige Beteiligte. Der Irrsinn des Krieges, in dem manche Bergspitze nur von einem Mann verteidigt werden soll, wird immer deutlicher. Die Standschützen sind ein Aufgebot von Jugendlichen und Alten unter kaum ausgebildeten Kommandeuren.
In zwei Kapiteln, die den Kontrast zum Einzelschicksal hervorstechen lassen, erfahren wir etwas über die hinter den Kulissen verhandelte Kriegserklärung Österreichs an Italien (Mai 1915) und die Beisetzung Kaiser Franz Josephs. Beschreibungen der Landschaft und Metaphern aus dem Lebensumfeld des Mädchens unterstreichen den Verlauf des Alpenkrieges mit Kämpfen auf Felsvorsprüngen und Gipfeln mit Stichmessern, Karabinern, Handgranaten und unter Strapazen in die Höhe gezogenen Kanonen. David Pfeifer erzählt die Geschichte konsequent im Präsens und verfolgt damit auch den Prozess der Reifung, von der Vorfreude, über den Drill, der Langeweile und Abstumpfung durch die Gräuel des Krieges, der vor der urwüchsigen Landschaft der Dolomiten noch absurder wirkt, denn hier soll unfruchtbares Felsgebiet verteidigt werden, das für nichts nütze ist.
Der Verlag zeigt auf der ersten Seite des Printexemplars eine Übersichtskarte der Rotwand, in der die Frontverläufe eingezeichnet sind. Außerdem ist eine kostenlose App erhältlich, auf der Handlungsorte und Spuren des Ersten Weltkriegs interaktiv und fotorealistisch in 3D sichtbar sind. Ferner sind historische Fotos, mehrere Audiodateien, ein Interview mit dem Autor über die Hintergründe sowie drei Wandervorschläge enthalten. Der an keiner Stelle heimatgefühlig oder kitschige Roman ist in seiner schlichten Darstellung vorbehaltlos zu empfehlen. Bei künftigen Urlauben in der Region kann das Augenmerk auf das Geschehen vor 100 Jahre gerichtet werden.
David Pfeifer, Jahrgang 1970, in München aufgewachsen, zog er 1993 nach Hamburg, um für das legendäre Magazin Tempo zu arbeiten. Weitere Stationen waren die Chefredaktion von konrad und die Ressortleitung „Unterhaltung und Computer“ beim Stern. Seit 2002 arbeitet er frei als Autor und Verlagsberater. 2004 zog er um nach Berlin, arbeitete in den Redaktionen von AD und Vanity Fair und schreibt unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, Neon, Geo, Stern, Cover, GQ, AD und Nido. Seit 2014 ist er verantwortlicher Redakteur der Wochenausgabe der Süddeutschen Zeitung.