Falsches Signal

Dieter Weirich

Die mit einem klaren Vorsprung aus der Berliner Abgeordnetenhauswahl hervorgegangene CDU hat in der unter Geburtsschmerzen zustande gekommenen „Großen Koalition“ in der Hauptstadtschon so viele Kröten geschluckt, dass Magenverstimmungen ihrer Wähler abzusehen sind. Die Koalitionsvereinbarung trägt eine unverkennbar sozialdemokratische Handschrift. Offenkundig wollte der neue Regierende Bürgermeister, Kai Wegner, alles tun, um das Bündnis mit der böse gerupften Sozialdemokratie nicht zu gefährden.

Jetzt erwärmt man sich sogar für den Vorstoß der Arbeits-Senatorin Cansel Kizitepe, in der Berliner Verwaltung die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich anzustreben. So soll der öffentliche Dienst in der Hauptstadt attraktiver gemacht werden, man will mehr fähige junge Leute in Verwaltungsberufe locken und für eine bessere Balance zwischen Arbeit und Freizeit sorgen. Mit einem Modellprojekt soll ein erstes Signal gesetzt werden.

Für die Union als größeren Regierungspartner kommen eigentlich solche Experimente zur Unzeit, geht es doch zunächst vor allem darum, mit entschlossenen Verwaltungsreformen die Servicewüste Berlin in ein mit anderen Bundesländern und Kommunen vergleichbares Dienstleistungsunternehmen zu verwandeln. Die desolate Lage auf vielen Bezirksämtern war für viele Bürger ein Grund, die Regierung abzuwählen.

Mag sein, dass die Vier-Tage-Woche in manchen Branchen mit hoher Produktivität ein in Tarifverträge zu gießendes Zukunftsmodell sein kann.Für den unter den Folgen der Preisexplosionen nach Corona und gestörten  Lieferketten ächzenden Mittelstand ist sie allerdings  Gift. Schon heute sind übrigens zwei Millionen Stellen unbesetzt. Kein Wunder, dass die Arbeitgeber ihren entschiedenen Protest gegen solche Manöver anmelden.

Pluspunkte hätte die neue Regierung mit flexibleren Dienstleistungsangeboten für die Bürger gemacht. Mit der Vier-Tage-Woche wird ein falsches Ziel ausgerufen. Es ist eine Illusion, mit weniger Arbeit mehr Wohlstand zu erreichen. Auch darf der Staat nicht für immer mehr Ansprüche aus der Rentenkasse, die im Bundeshaushalt schon jetzt über hundert Milliarden Euro ausmachen, in Anspruch genommen werden.

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als „liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.

 

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