Optimale Versorgung sieht anders aus

CAR-T-Zelltherapien: Das Gesundheitssystem hinkt dem medizinischen Fortschritt hinterher – Leidtragende sind die Patienten

Schwerkranken Menschen mit bestimmten Formen von Blutkrebs können CAR-T-Zelltherapien Hoffnung auf Leben bieten. Doch eine Untersuchung des IQVIA Institute zeigt: Dem Gesundheitssystem gelingt es nicht, dafür zu sorgen, dass alle Betroffenen Zugang zu dieser Behandlungsmöglichkeit erhalten. Es hinkt dem medizinischen Fortschritt hinterher – Leidtragende sind die Patienten.

Acht Jahre sind vergangen: 2017 kamen die ersten CAR-T-Zelltherapien auf den Weltmarkt. Inzwischen sind mehrere Vertreter gegen verschiedene Formen von Lymphomen, Leukämie sowie multiplem Myelom zugelassen – teils mit Heilungspotenzial.

Doch scheinbar ist es innerhalb der vergangenen acht Jahre nicht gelungen, das Gesundheitssystem so aufzustellen, dass alle Patient:innen von CAR-T-Zelltherapien profitieren können. Das IQVIA Institute hat sieben Länder – Australien, Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien und das Vereinigte Königreich – untersucht und festgestellt: Der Anteil der potenziell in Frage kommenden Patienten, die tatsächlich eine CAR-T-Zelltherapie erhalten, nimmt zwar überall zu, doch variiert von Nation zu Nation deutlich. 30 Prozent der Menschen mit rezidiviertem oder refraktärem großzelligem B-Zell-Lymphom, die bereits mindestens zwei andere Therapien hinter sich haben, bekamen in Frankreich CAR-T. In Deutschland waren es 17 Prozent, in Italien 11 Prozent (Stand: 2023).

Natürlich: Für Menschen, die besonders schwach sind oder viele Begleiterkrankungen haben, ist eine CAR-T-Zelltherapie womöglich allein aus medizinischen Gründen nicht geeignet. Doch die großen Unterschiede von Land zu Land lassen sich damit nicht erklären – das IQVIA Institute hat daher zugrundeliegende Ursachen unter die Lupe genommen. Denn nur so lassen sich systematische Hürden, die einer bestmöglichen Versorgung im Wege stehen, erkennen und beseitigen.

CAR-T-Zelltherapie: Komplexe Behandlung

CAR-T-Zelltherapien haben ein neues Kapitel in der Onkologie aufgeschlagen: Denn sie sind keine Arzneimittel im traditionellen Sinne – es sind körpereigene Zellen der Patient:innen, die gentechnisch so verändert werden, dass sie den Krebs bekämpfen können. Die Behandlung „ist komplex und es braucht die Koordination eines multidisziplinären Teams – inklusive der überweisenden und behandelnden Ärzt:innen, Pflegekräfte, Pharmazeut:innen sowie andere Beteiligte, was je nach Land, Region oder Krankenhaus variieren kann“, schreibt das IQVIA Institute. Für die Administration und Überwachung der Therapie ist eine ganz spezielle Expertise notwendig, daher darf sie nur in ausgewiesenen Zentren, die strenge Qualitätsanforderungen erfüllen, erfolgen.

Als erstes werden den Patient:innen in einem Behandlungszentrum körpereigene T-Zellen entnommen, um diese dann zu einer CAR-T-Produktionsstätte zu senden. Während dort die Zellen gentechnisch bearbeitet werden, erhalten die Patient:innen ggf. eine andere Behandlung zur Überbrückung der Wartezeit – denn die kann mehrere Wochen betragen. Nach der Gabe der CAR-T-Zellen bleiben die Betroffenen in oder nahe dem Zentrum: „Nach ein paar Wochen der Überwachung durch den behandelnden Arzt, wird der Patient entlassen“, heißt es im Bericht – die überweisenden Onkolog:innen übernehmen die langfristige Kontrolle.

Behandlungen effektiver, zeitsparender, sicherer und kostengünstiger machen © Gerd Altmann auf Pixabay.com

Auf diesem gesamten Weg tun sich einige Hürden auf: „Zum Beispiel kann für manche Patient:innen die Distanz zum nächsten Behandlungszentrum untragbar sein; womöglich sind auch überweisende Ärzt:innen nicht ausreichend über CAR-Ts als Therapieoption informiert. Bürokratische Prozesse rund um Bewilligung und Erstattung der Behandlung führen potenziell zu Verzögerungen“, berichtet das Institut. Und auch wenn die verantwortlichen Mediziner:innen und Expert:innen untereinander zu wenig vernetzt sind, kann das zur Folge haben, dass kranke Menschen nicht rechtzeitig überwiesen werden. „Jede Verzögerung beim Zugang zu CAR-T kann Einfluss auf den Behandlungserfolg haben“, schreibt das IQVIA Institute. So habe eine Studie aus 2019 gezeigt: „Eine einmonatige Wartezeit auf eine CAR-T-Zelltherapie kann die relative Mortalität um 6,2 Prozent erhöhen.“ Oder anders gesagt: Gelingt es die Wartezeiten zu reduzieren, wirkt sich das im besten Fall auf das Überleben der Patient:innen aus.

Deutschland: Hausaufgaben für das Gesundheitssystem

Laut der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Hämatopoetische Stammzelltransplantation und Zelltherapie gibt es in der Bundesrepublik inzwischen 46 Behandlungszentren für CAR-T. Das sei eine „vergleichsweise hohe Anzahl“, so das IQVIA Institute. Die durchschnittliche Distanz zwischen überweisendem Krankenhaus und Behandlungszentrum betrage 36 Kilometer. Zum Vergleich: In Frankreich beispielsweise sind es 109 Kilometer.
Doch es gibt hierzulande drei Hauptprobleme:

  • Das fängt mit der Überweisung an: Das IQVIA Institute verweist auf Daten, wonach 37 Prozent der befragten überweisenden Ärzt:innen sagten, dass der Überweisungsprozess und die Patient:innen-Koordination hierzulande nicht klar definiert sind. Es mangelt an Vernetzung und Standardisierung. Hinzu kommt, dass es Aufklärungsbedarf gibt. 65 Prozent der Befragten erklärten, dass sie gerne mehr Informationen zur CAR-T-Zelltherapie hätten.
  • „Weitere Verzögerungen können durch fehlende Pünktlichkeit bei Erstattungsbewilligungen mancher Krankenkassen sowie damit zusammenhängende bürokratische Hürden entstehen“, heißt es. Auch bei einer Veranstaltung im LMU Klinikum in München-Großhadern im vergangenen Herbst war das Thema: Prof. Dr. Marion Subklewe, Fachärztin für Innere Medizin und Hämatologie/Onkologie, sagte, sie verstehe nicht, weshalb sie „für ein zugelassenes Produkt jedes Mal einen Einzelfallantrag stellen muss.“ Die Erstattungsprozesse seien derzeit „ein Instrument, um den Fortschritt zu erschweren.“
  • Unzureichende Kapazitäten: Immer wieder gibt es Engpässe bei Intensivbetten. Zwar sei die Situation mit der wachsenden Zahl an ausgewiesenen CAR-T-Behandlungszentren besser geworden – doch in einigen Kliniken ist das laut dem Bericht noch immer ein Problem. Mehr ausgebildetes Personal zu finden und sich leisten zu können – auch das kann demnach vielerorts „eine Herausforderung“ sein.
CAR-T-Zelltherapie: Innovative Krebsimmuntherapie © Ivana Tomášková auf Pixabay.com

CAR-T-Zelltherapien sind ein Paradebeispiel für die Tatsache, dass pharmazeutische Innovationen allein die Versorgung der Patient:innen nicht besser machen können – das geht nur, wenn auch die Rahmenbedingungen stimmen. Selbst von den Menschen mit diffusem großzelligem B-Zell-Lymphom (DLBCL), die bereits eine Überweisung in der Hand hatten, erhielten am Ende nur rund die Hälfte eine Behandlung mit CAR-T in Deutschland. Der von den Ärzt:innen meistgenannte Grund: Die Krankheit ist fortgeschritten oder die Betroffenen sind nicht mehr geeignet bzw. fit genug.

Das macht deutlich: Hürden im System führen nicht nur zu Verzögerungen – sie haben Auswirkungen auf Menschenleben. Mit seinem Bericht will das IQVIA Institute Diskussionen in den Ländern anstoßen – sodass die Versorgung besser wird. Alle Akteur:innen im Gesundheitswesen sind gefragt. Pharmazeutische Herstellerfirmen investieren in Automatisierung und in ihre Logistik, damit die Produktionszeit verkürzt wird und die personalisierten Krebsbehandlungen schneller als bisher zu den Menschen gelangen können. Und Forschende weltweit machen das, was sie am besten können: Innovationen (weiter)entwickeln – um die Behandlung noch effektiver, zeitsparender, sicherer und kostengünstiger zu machen.

Quelle: https://pharma-fakten.de

 

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