Politik: Auf die Größe kommt es an

Seit über dreißig Jahren gibt es in Australien eine aktienbasierte Rente. Zeit für Deutschland, einen Blick nach Down Under zu werfen.

Als Deutschland 2017 seine Reform der betrieblichen Altersvorsorge verabschiedete, ließen sich die Politikerinnen und Politiker von den Betriebsrentensystemen in den Niederlanden inspirieren. Stattdessen hätten sie sich jedoch an einem anderen, viel weiter entfernten Land orientieren sollen, das bereits mehr als 30 Jahre Erfahrungen mit dem Sparen durch Arbeiter in Betriebsrentensystemen vorweisen kann – Australien.

In der Welt des Rentensparens haben die australischen Supers bewiesen, dass Größe Stärke bedeutet. © Alexa auf Pixabay.com

Das Land, im Allgemeinen als angelsächsische liberale Volkswirtschaft eingestuft, verfügt über ein Betriebsrentensystem, das von Zusammenschlüssen einzelner Branchen nach europäischem Vorbild dominiert wird. Sie werden gemeinsam von Betrieben und Gewerkschaften verwaltet und die Teilnahme an ihnen ist sowohl für Unternehmen als auch für Angestellte verpflichtend. Diese Zusammenschlüsse werden Supers genannt (in Anlehnung an Superannuation Funds). Das größte ist AustralianSuper mit drei Millionen Mitgliedern, etwa 20 Prozent der etwa 14 Millionen Beschäftigten in Australien. Die Supers sind durch besondere gesetzliche Bestimmungen verpflichtet, bei der Verwaltung den Interessen der Fondsmitglieder Vorrang einzuräumen. Es gibt zwar auch gewinnorientierte Anbieter auf dem Markt, aber die Industrie-Supers führen alle Gewinne aus den Investitionen – nach Abzug von Gebühren und Steuern – den Ersparnissen der Arbeiterinnen und Arbeiter zu. Sie bieten den australischen Angestellten die Vorteile kollektiver Zusammenschlüsse, indem sie ihre Größe nutzen, um die von den Vermögensverwaltungen erhobenen Gebühren zu senken und in die Erbringung von Dienstleistungen zu investieren.

Im Gegensatz zu den historischen Regelungen der niederländischen Systeme zielen die australischen Systeme nicht darauf ab, im Ruhestand ein im Voraus festgelegtes Einkommen zu erzielen. Stattdessen baut jedes Mitglied seinen eigenen Anteil am aktuellen Gesamtwert des Fonds des einzelnen Supers auf. Dieses individuelle Konto bedeutet, dass das Ausmaß der Quersubventionierung unter den Mitgliedern gering ist. Dies steht im Gegensatz zu den erheblichen, nicht bepreisten intergenerativen Risikotransfers, welche sich bei den niederländischen Beschäftigten als unpopulär erwiesen haben und Druck für eine Reform des niederländischen Systems erzeugten, welche es dem australischen Modell annäherte.

Das australische Betriebsrentensystem ist bei Arbeiterinnen und Rentnern außerordentlich beliebt. Dennoch ist es noch kein vollständiges Modell, da das junge System dem Ansparen eines Rentenfonds (Akkumulation) Vorrang vor dem sicheren Auszahlen im Ruhestand (Dekumulation) einräumt. Doch das australische Modell entwickelt sich weiter, und die Supers entwickeln derzeit Altersvorsorgeprodukte, die die Risiken für die Mitglieder im Zusammenhang mit der Dekumulation kollektivieren, um ein kontinuierliches Einkommen zu gewährleisten, wenn jemand deutlich länger lebt als der Durchschnitt.

Die „Supers“ verfügen heute über ein Gesamtvermögen von 1,1 Billionen australische Dollar.

Die Supers verfügen heute über ein Gesamtvermögen von 1,1 Billionen australische Dollar, was mehr als 80 Prozent des australischen Bruttoinlandsprodukts entspricht. Dies verleiht ihnen eine starke Verhandlungsmacht im Namen ihrer Mitglieder. Es hat ihnen auch ermöglicht, die Investmentbranche zu umgehen und ihre eigenen Anlageinstitute zu gründen, um die Kosten zu senken. Siebzehn Supers besitzen beispielsweise eine eigene Managementfirma für private Märkte und Infrastruktur namens IFM Investors. Ihr stellen sie langfristiges Kapital zur Verfügung, um Investitionen in Infrastruktur und andere private Marktanlagen zu tätigen.

Arbeitendes langfristiges Kapital für einen Teil der von ihnen gehaltenen Vermögenswerte kommt den kollektiven Rentenversicherungen und ihren Mitgliedern entgegen. Denn die kollektiven Systeme sind „dauerhafter“ als die Rentenversicherung eines einzelnen Unternehmens. Dieser Anlageansatz ist einer der Faktoren, die es den Supers ermöglicht haben, den Mitgliedern im Laufe der Zeit höhere Renditen zu bieten als das frühere Sparen in Rentensystemen, die von privaten Investmentgesellschaften betrieben wurden.

Aus den jüngsten OECD-Rentenstatistiken geht hervor, dass das australische private Rentensystem inflationsbereinigt sogar das niederländische System übertroffen hat. In US-Dollar ausgedrückt: In den zehn Jahren bis Dezember 2021 hat das australische System durchschnittliche jährliche Nettorenditen von 6,2 Prozent pro Jahr erzielt, verglichen mit 5,7 Prozent in den Niederlanden. IFM Investors verwaltet inzwischen weltweit ein Infrastrukturvermögen von mehr als 65 Milliarden Euro, darunter Investitionen in Energie-, Verkehrs- und Wasserinfrastruktur in ganz Europa. Der Aufbau eigener kollektiver Investmentvehikel ist etwas, das die neuen deutschen Rentenversicherungen längerfristig in Betracht ziehen könnten.

Es stellt sich immer die Frage, wer die Wächter überwacht.

Die deutschen Entscheidungsträger könnten auch mit Interesse auf die Maßnahmen schauen, die die australischen Regierungen ergriffen haben, um sicherzustellen, dass die Rentensysteme vorsichtig bleiben. Auch wenn die kollektiven Systeme über den nötigen Umfang verfügen, um im Namen ihrer Mitglieder einen guten Wert der Investmentfonds zu gewährleisten, stellt sich immer die Frage, wer die Wächter überwacht. Im Fall von Australien ist es eine Aufsichtsbehörde, die Australian Prudential Regulation Authority (APRA). Der derzeitige Ansatz der APRA ist jedoch noch ausbaufähig. Das liegt daran, dass sie von den Supers verlangt, dass sie einen Value for Money-Test (VFM-Test) bestehen. Zwar ist dies grundsätzlich eine gute Sache, leider wurden aber bei dem kürzlich durchgeführten Test nicht die Portfoliokonstruktion und die Vermögensallokation bewertet, obwohl sie für den Großteil der langfristigen finanziellen Leistung ausschlaggebend sind.

Gut ist, dass der VFM-Test von den Verwaltern eines Rentensystems, den Treuhändern, verlangt, dass sie jährlich feststellen, ob sie für ihre Mitglieder ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis (Value for Money) erzielen. Die Methodik für diese Bewertung liegt nicht im Ermessen des Rentensystems, sondern wird von der Aufsichtsbehörde festgelegt, die auch die Ergebnisse bewertet. Wenn ein Super zwei Jahre hintereinander keinen VFM-Test einreicht, kann es keine neuen Mitglieder mehr aufnehmen und muss seine derzeitigen Mitglieder über sein Versäumnis informieren.

Einerseits erzwingt dies eine gewisse Konsolidierung des Marktes um die größeren Supers der Branche, was die leistungsschwächeren, kleineren Rentensysteme verdrängt, die in der Regel direkt von der Investmentbranche angeboten werden. Andererseits besteht eine wesentliche Schwäche des Tests darin, dass er von den Supers verlangt, ihre VFM-Tests anhand von Bezugsgrößen für die einzelnen Anlageklassen und nicht anhand der Netto-Performance auf Portfolioebene zu bewerten. Dies schafft Anreize für die Supers, sich auf passive Indizes zu konzentrieren, anstatt in risiko-, aber auch ertragreichere Anlagen zu investieren.

Es hat auch den Effekt, dass das erzwungene Ausscheiden von Systemen mit schlechter Leistung aus dem Markt verlangsamt wird, obwohl die potenziellen Vorteile für die Sparer durch eine schnellere Konsolidierung erheblich sein könnten. Die australische Produktivitätskommission schätzte, dass die Zusammenlegung der kleinsten 50 Supers mit den zehn größten Supers den durchschnittlichen Versicherten im Ruhestand um schätzungsweise 22 000 Dollar besserstellen würde. Dabei wären die Gewinne für die Versicherten der kleinsten Systeme wesentlich größer.

Diejenigen, die sich an die klassischen Filme der 1980er Jahre erinnern, kennen vielleicht noch den Exportschlager über den australischen Hinterwäldler „Crocodile Dundee“. Während eines Abenteuers in New York macht Dundee eine wichtige Bemerkung über Größenverhältnisse: Ein Straßenräuber zieht ein Messer, Dundee bemerkt: „Das ist kein Messer. Das ist ein Messer“, und zieht ein dreimal größeres unter seinem Hemd hervor. In der Welt des Rentensparens haben die australischen Supers bewiesen, dass Größe Stärke bedeutet, wenn es darum geht, die Erträge der Mitglieder zu schützen.

Gregg McClymont ist ein schottischer Rentenexperte, Historiker und ehemaliger Politiker. Er war von 2010 bis 2015 Abgeordneter im Parlament des Vereinigten Königreichs.

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