Von Günter Müchler

Günter Müchler

Wie gräbt man der AfD das Wasser ab? Die Frage ist alles andere als neu. Sie stellt sich seit 2017, seit dem Einzug der Partei in den Deutschen Bundestag. Heute stellt sie sich allerdings mit wachsender Dringlichkeit. Nicht weil die politischen Rechtsaußen kürzlich ihren Kandidaten bei der Landratswahl im thüringischen Sonneberg durchsetzen konnte. Dieser Erfolg reflektiert nur den Vormarsch, der der Partei momentan in ganzer Breite gelingt.

In Sachsen und Thüringen landete die AfD schon bei der vorigen Bundestagswahl auf Rang eins und verdrängte die CDU. Auf Bundesebene hat sie sich inzwischen vor die SPD gesetzt, immerhin die Basis des amtierenden Bundeskanzlers. Gedankenspiele, die Partei, die ja in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtet wird, per Verbotsantrag in Karlsruhe zu eliminieren, sind für den Papierkorb. Eine Kraft, der die Demoskopen an die 20 Prozent bescheinigen, kann man nicht ohne nachhaltigen Schaden an der Demokratie aus dem Verkehr ziehen. Was also tun?

Die Konkurrenz ist ratlos.  Dabei offenbart die Bilanz der vergangenen Jahre eine Erkenntnis:  So wie bisher, mit Empörungsgehabe und Igitt-Rhetorik, ist dem Phänomen nicht beizukommen. Im Augenblick sieht es so aus, als hätte wenigstens die CDU die Lektion gelernt. Der von Parteichef Friedrich Merz vollzogene Wechsel im Amt des Generalsekretärs signalisiert für den Umgang mit der AfD einen Lernschritt, der über die stumpfe Wiederholung des Unzulänglichen hinausweist. Carsten Linnemann hat den Auftrag, auf den ideologisch nicht versifften Teil der AfD-Anhängerschaft zuzugehen. Langfristiges Ziel ist die Spaltung der Rechtsaußen-Partei.

Ob Merz‘ Kalkül aufgeht, lässt sich einstweilen noch nicht sagen. Bei seiner Wahl zum Vorsitzenden hatte er unbescheiden erklärt, er traue sich zu, die AfD zu halbieren. Eingetreten ist das Gegenteil. Zwar haben die Christdemokraten unter Merz ihren Tiefpunkt von 2021 um ein paar Punkte hinter sich gelassen. Aber vom Sinkflug der regierenden Ampel-Koalitionäre profitiert bisher am stärksten der rechte Rand. Für den Oppositionsführer ist das ein alarmierender Befund. Schafft er es nicht, die CDU nennenswert über die 30 Prozent nach oben zu bringen, wird es mit der Kanzlerkandidatur für 2025 wohl nichts werden.

Ohne Frage stecken die Christdemokraten in einer vertrackten Situation. Einfacher wäre es, könnten sie die Fehler der Vergangenheit komplett der Konkurrenz ans Bein binden. Aber dagegen stehen die 16 Jahre der Merkel-Regierung. Die Gesamtrechnung der Ära Merkel hat sich in der letzten Zeit eingetrübt; auch in der CDU selbst wird über Soll und Haben gestritten. Anerkannt wird die Fähigkeit der Ex-Kanzlerin, Krisen zu managen, an denen es in ihren Amtsjahren wahrlich nicht mangelte. Hochgehalten werden Merkels nüchterne Art und ihre skandalfreie Vita. Wer dagegen Merkel kritisch gegenübersteht, meint ihr Mantra der „Alternativlosigkeit“, hinter dem sich ein Pragmatismus verbarg, dem oft der Mut und die Inspiration fehlten. Mit der Folge, dass viel umgegraben, aber wenig eingesät wurde.

Am Reformstau in beinahe allen Bereichen der Infrastruktur arbeiten sich jetzt die Nachfolger der Merkel-Regierung ab. Die Emanzipation von Angela Merkel schreitet in den Rängen der Union voran, allerdings nur langsam, was auch daran liegt, dass sie die erste Frau im Kanzleramt war, dazu die erste Ostdeutsche. Beides rechnet man sich in der CDU gern als Errungenschaft an. Und da ist noch etwas. Der Name Merkel wird als eine Art Feldzeichen im innerparteilichen Machtkampf gebraucht.

Die ehrgeizigen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, Wüst und Günther, sind schon deshalb „Merkelianer“, weil Merz – ihr gemeinsamer Konkurrenjt – dies nun auf keinen Fall ist. Auch des gegenwärtigen Bedarfs wegen hat das Bild der Ex-Kanzlerin seinen Platz in der christdemokratischen Ahnengalerie noch nicht gefunden. Freilich, über zwei keineswegs unerhebliche Bilanzposten können selbst die treuesten Fans Merkels nicht hinwegsehen: Als die Kanzlerin in Ruhestand ging, lag ihre Partei, die CDU, am Boden. Sie „erzielte“ das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte.

Außerdem war etwas eingetreten, was nach einem geflügelten Wort des ehemaligen CSU-Chefs Franz-Josef Strauß niemals hätte geschehen dürfen: Eine Partei rechts der Union hatte sich im Parlament eingenistet. Viel zum Erstarken der AfD beigetragen hat, ohne Frage, die Migrationsentscheidung Merkels vom Sommer 2015 bei. Zwei Jahre vorher war die sogenannte Alternative für Deutschland gegründet worden: Seinerzeit aus Protest gegen die Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung.

Als Professoren-Partei mit dem engen Alleinstellungsmerkmal Geldwert wäre die AfD wohl rasch wieder von der Bildfläche verschwunden, zumal sich die damalige Weichenstellung durch die Regierung in Berlin als insgesamt richtig erwies. Muskeln erwuchsen ihr erst durch die Flüchtlingskrise. Daran änderte auch nichts, dass sie nun in die Krise geriet. Die Radikalisierung schritt voran. Das Gründungspersonal wurde nach und nach rausgekickt.  Fraktionskämpfe legten ganze Landesverbände lahm. Handgemenge war an der Tagesordnung. Erstaunlicherweise aber konnte nichts davon den Aufstieg der AfD bremsen.

Die Gesellschaft? Dort, wo sie Einfluss nimmt, reagierte sie mit Ausgrenzung und Bekenntnisdrang. Das gilt noch heute. Verirrt sich ein AfD-ler in Talkshows und rituelle Diskussionsrunden, kann er  ,sicher sein, dass – kommt die Reihe an ihn -, sich der Ton des Fragestellers schulmeisterlich verschärft. Besonders klug ist das nicht, denn der Vorwurf, von den „Etablierten“ unfair behandelt zu werden, gehört zu den todsicheren „Bringern“ der Rechtsaußen-Partei. Er ist unbezahlbar für den Stimmenfang in Schichten, die sich ihrerseits abgehängt und ausgegrenzt fühlen.

Die politische Konkurrenz? In der Auseinandersetzung mit der AfD ist „Brandmauer“ ein Schlüsselwort. Null Gemeinsamkeit mit den Rechten, nirgendwo! Vor allem bei den Unionsparteien darf die „Brandmauer“ in keiner Rede fehlen. Nichts fürchtet man hier so sehr wie die Anklage, es mit der Abgrenzung zu den „Nazis“ nicht streng genug zu halten. Dabei ist „Brandmauer“ für mancherlei gut. Nur ist sie das Gegenteil einer beweglichen Kampfführung. Und die Erfahrungen mit der Haltbarkeit von „Brandmauern“ in der Politik gesammelt hat, sind nicht ermutigend.

Als die Grünen, die Newcomer der achtziger Jahre, ihren Marsch durch die Institutionen begannen, war der Gedanke an ein Miteinander selbst bei den Sozialdemokraten ein absolutes No go. Der hessische Ministerpräsident Holger Börner verschaffte sich einen Eintrag ins Guinness-Buch der absurdesten Sprüche. Als er bei einer von den Grünen unterstützten Demo gegen die Startbahn West ins Gedränge kam, bedauerte er öffentlich, dass sein Staatsamt ihm verbiete, „den Kerlen eines auf die Fresse zu hauen. Früher, auf dem Bau, hat man solche Sachen mit der Dachlatte erledigt.“ Kurz darauf ging Börner trotzdem mit den Grünen eine Koalition im Wiesbadener Landtag ein.

Die „Brandmauer“ funktionierte auch nicht im Umgang mit der linken PDS, mit den SED-Nachfolgern. Es dauerte gerade mal zehn Jahre nach der Wiedervereinigung und die SPD tat das, was sie bis dahin selbst stets entrüstet von sich gewiesen hatte. Um sich die Macht zu sichern, schloss sie Regierungsbündnisse mit der PDS – zuerst in Mecklenburg-Vorpommern, dann in Berlin. Auf Dauer gesehen wird auch die „Brandmauer“ gegenüber der AfD nicht halten. Mehrheiten müssen gefunden werden, was vor allem In der Kommunal- und in der Landespolitik äußerst schwierig ist, wenn ein 20-Prozent-Block unter Berührungsverbot steht. Verzweifelte Umgehungsmanöver wie unlängst in Sonneberg, wo ein flugs gezimmertes Allparteienbündnis den AfD-Kandidaten im zweiten Wahlgang auszubremsen versuchte, rufen in einer skeptischen Wählerschaft leicht Trotzreaktionen hervor.

Vor allem in Ostdeutschland (aber nicht nur dort: In Baden-Württemberg wurde die AfD gerade auf 19 Prozent taxiert), wo eine stabile, über Generationen gewachsene Bindung an die Parteien nicht existiert, stoßen die „Etablierten“ auf ein verbreitetes Misstrauen. Früher einmal gelang es der PDS, die sich nun Die Linke nennt, diese Stimmung auf ihre Mühlen zu lenken. Momentan jedoch, da sich Die Linke weitgehend pulverisiert hat, besitzt die AfD in der Rolle des Rächers der Enterbten das Beinahe-Monopol.

Womit die Frage nach der Beschaffenheit der AfD-Wählerschaft aufgeworfen ist. Zwei Schulen ringen hier um die Deutungshoheit. Nach Lesart der einen hat der Anhang der Rechtsaußen-Partei eine konsistent braune Grundausstattung: antidemokratisch, antisemitisch, xenophob. Für die andere Schule rekrutiert sich das Gros der AfD-Anhänger aus Stimmungswählern. So erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz kürzlich lapidar auf die Frage, ob ihm das Anwachsen der Rechtsaußen-Partei Sorgen bereite, in ganz Europa gebe es „Schlechte-Laune-Parteien“.

Die Wahrheit dürfte, wie so oft, in der Mitte liegen. Was die AfD derzeit auf die Waage bringt, ist wohl zur Hälfte „gewachsene“ Stammwählerschaft. Die andere Hälfte wählt die AfD, weil sie eine Adresse für ihren vielfältigen Frust braucht. Einer undifferenzierten Sicht werde Vorschub geleistet durch eine oftmals skandalisierende Medienberichterstattung, urteilte dieser Tage der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke). „Wenn ich den ganzen Tag mit Kamerateams in Sonneberg und Umgebung unterwegs bin und nach Nazis suche, dann finde ich die auch.“  Empfehlungen aus der eigenen Partei, der Linken, Ausländer sollten tunlichst den Landkreis Sonneberg verlassen, brachten Ramelow auf die Palme. „Da habe ich zurückgefragt: Habt ihr sie noch alle?“

Was Ramelow hier aussprach, dürfte nicht weit von dem entfernt sein, was Merz denkt. Genauer hinsehen, Themen aufgreifen, welche die Mehrheit bewegen, Wiederstand aufbauen, wenn Minderheiten versuchen, ihren Willen der Mehrheit aufzuzwingen und dabei klare Kante gegen den braunen Kern: Das ist Erfolg versprechender als „Brandmauer“ und  allemal verantwortungsbewusster als ein  Empörungsgehabe, das nur die eigene Gedankenfaulheit verkleistert. Es wäre ein Fortschritt, ginge die CDU von nun an diesen Weg. Er setzt allerdings Standfestigkeit und eine gute Kondition voraus.

Dr. Günther Müchler ist Journalist, Politik- und Zeitungswissenschaftler, war viele Jahre Korrespondent in Bonn und zum Schluss Programmdirektor beim Deutschlandfunk.

 

 

 

 

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