Weirich am Montag
Grün und immer dabei

Ob es um den vom Bundesverfassungsgericht gekippten Mietendeckel, Bestrebungen zur Enteignung von Wohnungsbaukonzernen oder eine von den meisten Juristen als verfassungswidrig eingestufte Migrantenquote von 35 Prozent für den öffentlichen Dienst geht – die rot-rot-grüne Regierung in der Hauptstadt schert sich nicht um Recht und Gesetz. Man operiert im Traumreich sozialistischer Illusionen, glaubt mit der Planwirtschaft Probleme zu lösen und nimmt mit fragwürdigen Regulierungen geistige Anleihen aus unseligen Zeiten.
Die Verantwortlichen des „Nietendeckels“- so eine Berliner Tageszeitung“- denken nach der Klatsche durch das höchste deutsche Gericht überhaupt nicht an Rücktritt, attackieren stattdessen die Kläger, sehen ihre gescheiterte Initiative vielmehr als eine Blaupause für ein künftiges Bündnis im Bund, als einen „Export-Schlager, um dem Mietenwahnsinn einen Riegel vorzuschieben“. Dabei hat das Gesetz ungezählte Investoren vergrault, Neubau ausgebremst, hunderttausende Mieter müssen mit Nachzahlungen rechnen. Der Opposition wird ein Wahlkampfthema für den 26. September frei Haus geliefert.
Die Grünen, die auf Bundesebene jetzt ihre Entscheidung über die Kanzlerkandidatur bekanntgeben, sind in diesem auf Systemüberwindung ausgerichteten Pakt nicht etwa ein Korrektiv der Mitte, sondern sind sogar gegenüber der SPD auf der linken Überholspur.
Ihre Strategie erinnert an die Freidemokraten in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. „Hauptsache Regieren“ lautet die Losung. „Immer dabei“ hieß auch der einstige Werbeslogan eines Kölner Kosmetikkonzerns. Wer mit der geschmeidigen dritten Kraft handelseinig werden wolle, müsse seine Hände erst in Kölnisch Wasser gewaschen haben, spottete man damals.
Ausschließeritis gibt es bei den Grünen nicht, sieht man von der AfD ab. Die Linkspartei ist in Bündnissen willkommen, nicht nur in Berlin, sondern auch in Bremen, wo eine Erneuerung der abgewirtschafteten SPD-Regierung dringend erforderlich gewesen wäre und die CDU bei der Landtagswahl stärkste Partei geworden war. In Thüringen agiert man sogar in einer Koalition mit einem Ministerpräsidenten der Linkspartei. Abgrenzung gibt es nur nach rechts, auf der linken Seite gibt es für Grün keine „Schmuddelkinder“.
Auf Bundesebene gelingt es der Ökopartei auch angesichts der mangelnden Kampagnenfähigkeit der Union gut, sich als frische, unverbrauchte, der Zukunft zugewandte Kraft darzustellen. Dabei stehen die einstigen Sonnenblumenfreunde in elf von sechzehn Bundesländern in der Regierungsverantwortung, stellen ein paar Dutzend Minister und Staatssekretäre. Nach der Bundestagswahl wollen sie auch im Bund mitregieren. Dann freilich werden sie mit anderem Maß gemessen.
Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, veröffentlicht jeden Montag mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Frankfurter Neuen Presse”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst “als liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.
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