Am 21.12. diesen Jahres verstarb Bernhard Worms. Er wurde 94 Jahre alt. Die Älteren unter uns werden sich seiner sicher noch erinnern als heillos Unterlegener im Wahlkampf mit Johannes Rau bei der Landtagswahl 1985 in NRW. Rau siegte haushoch. Worms war chancenlos, absolut chancenlos. Dabei hatte er – völlig überraschend für viele Außenstehende zumindest – in dem vorausgegangen parteiinternen Kampf um die Spitzenkandidatur Kurt Biedenkopf geschlagen. Genau jenen Kurt Biedenkopf, der später von den Sachsen als ihr Ministerpräsident fast ehrfürchtig und respektvoll “ König Kurt“ genannt werden sollte. Den Kurt Biedenkopf, der durch herausragende intellektuelle Brillanz bestach, der jedes Rededuell mit Johannes Rau im Landtag als haushoher Sieger verließ, der jeden Saal, jeden Marktplatz in freier Rede in Rage reden konnte. Ihm flogen – sorry – die Köpfe zu! Bernhard Worms dagegen mühte sich – rhetorisch nicht überdurchschnittlich begabt – durch trockene Manuskripte. Aber ihm gelang es, Menschen für sich zu gewinnen. Nicht nur ihre Köpfe. Den Gründen dafür kommt man vielleicht leichter auf die Spur, wenn man sich seinen Lebenslauf betrachtet.
Es waren die letzten Kriegsjahre, die er schon sehr bewusst erlebte. Sein katholisches Elternhaus und seine dörfliche Umgebung in Stommeln hatten mit dem Nationalsozialismus nichts am Hut. Er auch nicht. Er entzog sich allen Versuchen der Nazis, ihn für ihre Sache einzuspannen. Er nannte es nicht Widerstand, wahrscheinlich aus Respekt vor den Männern und Frauen des 20. Juli, aber die Nazis verboten ihm sicher nicht „grundlos“, sich weder daheim noch bei „richtigen“ Deutschen aufzuhalten. So schlief er im alten Scheunen, bekam vertraulich von bekannten Bauern verlässlich etwas zum Essen und schlug sich das letzte halbe Jahr bis zur Kapitulation in freier Wildbahn durch. Erst dann konnte er zurück ins Elternhaus. Bei aller Verzweiflung und Not, er hatte Vertrauen und Verlässlichkeit existenziell erfahren und überaus schätzen gelernt. Um ihren besonderen Wert wusste er. Als Lebensmaxime sollten sie ihn tief prägen und ein Leben lang begleiten.
Beispiel: Weil die Beziehungen zwischen Deutschland und Indien Anfang der achtziger Jahre in Untiefen zu geraten schienen, schickte Kohl ihn – an der gesamten diplomatischen Phalanx vorbei und entgegen allen außenpolitischen Gepflogenheiten – mit einer geheimen Botschaft zu Indira Ghandi. Mit leuchtenden Augen erzählte er noch vor kaum mehr als drei Wochen, wie er damals den Palast der Ministerpräsidentin von Indien betrat, wie eindrucksvoll die ganze Umgebung und wie beeindruckend Indira Ghandi war. Sie prophezeite im Gespräch, das alte Europa werde eines Tages die Sünden der Kolonialzeit büßen müssen, Indien werde innerhalb weniger Generationen eine wirtschaftliche und politische Weltmacht. Heute sind sie auf dem besten Weg dahin, resümierte Bernhard.
Überhaupt Helmut Kohl. Wahrscheinlich gab es unter den damals agierenden Politikern niemanden, dem Kohl mehr vertraute und anvertraute – persönlich und politisch – als Bernhard Worms. Natürlich war Bernhard im Haifischbecken Politik keine ernstzunehmende Gefahr für den Machtmenschen Kohl. Aber das waren andere auch nicht. Warum wurde also ausgerechnet Bernhard Worms dann zum säkularen „Beichtvater“ von Kohl. Ja, da sind sie wieder: Vertrauen und Verlässlichkeit! Es gibt Weniges, was er aus unzähligen Gesprächen mit Kohl preisgab, aber wenn man mit ihm darüber sprach, spürte man, dass er mehr wusste, mehr kannte, mehr ahnte. Aber dabei blieb es dann, wichtige Details wurden nicht preisgegeben: Vertrauen und Verlässlichkeit!
Bei Bernhard menschelte es immer. Halt, Ignoranz verführt hier schnell zu intellektueller Hybris. Bernhard wusste um die Verfasstheit des menschlichen Naturells. Er kannte menschliche Größen und Schwächen,Chancen und Abgründe. Er wusste sie einzuschätzen und respektvoll damit umzugehen! So bildete er um sich herum ein breites, stetig wachsendes, tragfähiges Netzwerk von Freunden und Weggefährten, das ihm half, politisch wirksam zu werden. Politik ist eben auch Mannschaftssport. Auf welcher Ebene, in welcher Liga auch immer. Seine Begeisterung für Fußball, für „seinen “ FC, rühren wahrscheinlich auch hierher. Weisweiler und Lattek, die beiden Trainerlegenden bestätigten ihm das Erfolgsgeheimnis einer funktionierenden Mannschaft schlechthin: Vertrauen und Verlässlichkeit!
Wer etwas bewegen will braucht Menschen und Ideen. Der rheinische Katholizismus und die junge CDU boten ihm beides. Adenauer hatte eine Volkspartei völlig neuen Typs geschaffen und zusammen mit anderen die Bundesrepublik Deutschland begründet. Demokratie und Rechtsstaat, die Soziale Marktwirtschaft, die Union, aufgebaut auf christlichem Fundament, aber offen für Fortschritt und Entwicklung und unwiderruflich auf Europa eingenordet, das waren die Zeichen des Aufbruchs jener Zeit. Und der junge Bernhard war mit großer Begeisterung dabei. Er ist dabei geblieben bis an sei Lebensende. Vertrauen und Verlässlichkeit eben!
In seiner letzten Rede, von der er schon wußte und offen sagte, dass sie die letzte seines langen Lebens sein werde, summierte er seine Lebensgeschichte, seine persönlichen Erfahrungen und Einsichten in eine unmissverständliche Botschaft. Wenige Tage vor seinem Tod wurde ihm die Ehrennadel der Deutschen Gesellschaft für Multiple Sklerose verliehen. In seiner bewegenden Dankesrede appellierte er fast flehentlich, Europa und sein kulturelles Erbe nicht aufs Spiel zu setzen. Die christliche Botschaft, so Bernhard, sei im ersten Satz unseres Grundgesetzes wunderbar zusammengefasst: Die Würde des Menschen ist unantastbar!
Mit fester Stimme wiederholte er diesen Satz drei mal! So als wollte er sagen, Demokratie verdient Vertrauen und gewährt dafür Verlässlichkeit. Nur sie garantiert Menschlichkeit. Und jeder, wirklich jeder könne einen Beitrag dazu leisten. Dafür muß man kein Titan an Humanität sein. So sah sich Bernhard selbst auch nicht. Aber wenn man ahnen möchte, wie ein solcher aussehen könnte, dann liefert Bernhard ein bleibendes Vorbild!
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