Claire Winter – Die Erbin
Rezension von Dr. Aide Rehbaum
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Claire Winter – Die Erbin

Die Journalistin Claire Winter hat einen historischen Roman veröffentlicht, der um die fiktive Cosima Liefenstein kreist. Sie entstammt einer Familie, die während des Nationalsozialismus in Berlin reich wurde und nach dem Krieg in Bonn lebt. Die Autorin entrollt ein Lügengeflecht, das über Jahrzehnte funktioniert hat.
Edmund, Cosimas Vater, war das schwarze Schaf der Familie, dessen Künstlernatur nicht ins nationalsozialistische Weltbild passte. Auf Druck der Familie heiratete er eine anspruchsvolle Frau. Dass diese Ehe traumhaft war, ist die erste Lüge, die Cosima zufällig aufdeckt. Das weckt ihre Neugier. Edmund erfüllte seine Fortpflanzungspflicht und meldete sich sogar an die Front, um endlich vom Vater akzeptiert zu werden, kommt aber nach der Heimkehr bei einem Jagdunfall ums Leben, die zweite Legende. Er war der einzige in der Familie, der öffentlich sowohl die Ideologie kritisierte als auch die Art und Weise der Firmenführung verabscheute, da die von Enteignungen und Zwangsarbeitern profitierte. Eng verwoben damit ist seine Beziehung zu Elisa, der Kinderfrau seiner Tochter Cosima.
Doch was haben diese Wahrheiten mit Cosimas Gegenwart zu tun? Winter verpackt in Cosimas Nachforschungen mit Hilfe eines Detektivs und des Journalisten Leo sowohl die Firmenentwicklung wie auch die Familienüberlieferung. Alle Fragen an die Verwandten laufen ins Leere. Dubiose Gäste tauchen in der Villa auf, mit denen der Onkel offenbar eine gemeinsame Vorgeschichte hat.
Zielgruppe des Romans scheinen die 20- bis 50-Jährigen zu sein, die wenig über das Alltagsleben und die familiären Verwerfungen der Nazizeit wissen, sei es, weil das Thema in den Schulen nur aus Sicht der Machteliten abgehandelt wurde oder man Vergangenes lieber ausblendet. Warum sonst sind so viele Menschen der Bedenklichkeiten überdrüssig, sobald es um unser Verhältnis zu Israel geht?
Dem trägt auch das Nachwort Rechnung, das Fiktion und Geschichte sachlich trennt. Zwar zieht sich das Wissen, das journalistisch recherchiert wurde, locker durch den Text, jedoch wird es den Lesenden schwerfallen, sich mit Cosima oder Elisa zu identifizieren. Sie bleiben distanzierte Beobachter. Beschreibende Rückblicke verhindern streckenweise das unmittelbare Miterleben. Die Autorin ist bemüht, die sachlichen Informationen mit der Unternehmensgeschichte zu illustrieren. Die Zeitsprünge bremsen den Lesefluss und die Spannung, kommen aber – nach dem Muster aktueller Fernsehserien – den kürzeren Konzentrationsgewohnheiten und dem Geschmack der Zielgruppe ebenso entgegen wie die Liebesgeschichten um Elisa und Cosima. Der Wunsch der Autorin historisch Neues nahezubringen wäre dahingehend zu erweitern, dass der Roman – wie in den 1970er Jahren die erste Spielfilmserie über den Holocaust – dazu anregt, sich mit den angerissenen Hintergründen nicht zufrieden zu geben, sondern Fragen an die ältere Generation zu stellen, bevor es endgültig zu spät ist.
Claire Winter studierte Literaturwissenschaften und arbeitete als Journalistin, bevor sie entschied, sich ganz dem Schreiben zu widmen. Sie liebt es, in fremde Welten einzutauchen, historische Fakten genau zu recherchieren, um sie mit ihren Geschichten zu verweben, und ihrer Fantasie dann freien Lauf zu lassen. Claire Winters Romane finden sich regelmäßig auf den Spiegel-Bestsellerlisten. Die Autorin lebt in Berlin.
Ausgabe: Hardcover
mit Schutzumschlag, 592 Seiten
13,5×21,5cm
Erscheint am:16.04.2025
ISBN:978-3-453-29258-1
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