Ohne Punkt und Sternchen
Frankreichs Präsident Macron eröffnet feierlich ein neues Museum für die französische Sprache. Gendern soll in Zukunft tabu sein.
Macron hatte sein Erbe schon skizziert, da war er noch nicht einmal zum Präsidenten gewählt. Es musste ein Kulturprojekt sein, dass mit der Strahlkraft der Glaspyramide des erneuerten Louvre (François Mitterand) oder der Prominenz des Musée du Quai Branly (Jacques Chirac) würde mithalten können. Während einer Wahlkampftour durch die Region Picardie 2017 hatte Emmanuel Macron, im Innenhof des Schlosses von Villers-Cotterêts, der als Kaserne und zuletzt als Altersheim betriebenen Ruine, die zündende Idee. Bingo, alles schien zu passen. Villers-Cotterêts: Jedes Schulkind weiß, hier liegt der Geburtsort der französischen Sprache. Hier verfügte François I. im Jahr 1539, dass die „französische Muttersprache“ das Lateinische in seiner Funktion als Kanzleisprache ersetzt. Hier wurde Alexandre Dumas geboren, der mit Romanen wie „Die drei Musketiere“ oder „Der Graf von Monte Christo“ zu den wichtigsten französischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern zählt. Perfekte Zutaten also für ein politisch strahlendes Renaissance-Projekt. Passend zur umbenannten Bewegung Macrons, die sich im September 2022 von „La Republique en marche“ umbenannte in „Renaissance“.
Den Puristen unter Frankreichs konservativen Sprachwärtern gilt Initiator Macron als der oberste Sprachverdreher überhaupt.
Doch ab dieser verlockend klingenden Idee, der Sprache mit der Cité eine Heimat zu schenken, wurde es in der parteipolitischen Kampfarena der französischen Sprache und im feministisch, post-kolonialen Tauziehen um Identitäten sehr kompliziert. Den Puristen unter Frankreichs konservativen Sprachwärtern gilt Initiator Macron als der oberste Sprachverdreher überhaupt. Ihm wird vorgeworfen, ein heuchlerischer Tartuffe der Sprachkultur zu sein. Einer, der mit popkulturellen Anglizismen um sich wirft, von Frankreich als „Start-up-Nation“ spricht und „Choose France“ ruft.
Die Eröffnung der Cité stand auch unter keinem guten Stern. Seit Juni musste das Einweihungsdatum immer wieder verschoben werden, zuletzt wegen der Ermordung ausgerechnet eines Französischlehrers im nordfranzösischen Arras durch einen bekennenden IS-Anhänger. Als es dann endlich soweit war, am 30. Oktober, stimmte am Nachmittag des selben Tages der französische Senat mit großem Zuspruch für einen Gesetzentwurf, der den Gebrauch der inklusiven Sprache verbietet.
Zugegeben, für Frankreichs konservative Mehrheiten war es ein guter Tag, an dem ein weiterer Schritt unternommen wurde, dem „grassierenden Wokeism“ und „seltsamen Personalpronomen“ den Garaus zu machen. Der Staatspräsident erhielt, vor wehender Tricolore im Innenhof des Schlosses, dann auch großen Beifall der geladenen Gäste. Macron schwärmte zwar von der Offenheit der französischen Sprache und bedankte sich dafür, dass man in seiner Republik noch immer so leidenschaftlich um sie ringe. Er postulierte aber gleich darauf, dass Französisch sich nicht dem Zeitgeist beugen müsse. „In dieser Sprache bedeutet das Maskulinum das Neutrum“, erklärte Macron. Und weiter, dass „Französisch deshalb auch keine Punkte und Sternchen mitten in seinen Wörtern bedürfe“ um alle anzusprechen.
Die Zeitung Liberation ätzte von Macrons „Zauberstab“, der, wie einen Hasen aus dem Zylinder, das Maskulinum zum Neutrum verwandele. Insbesondere junge Französinnen und Franzosen ließen in den sogenannten sozialen Medien ihrem Frust freien Lauf. Viele fühlen sich von der verknöchert und beharrlich anti-feministischen Sprachpolitik der französischen Eliten auf vielfache Weise provoziert und genervt. Der sozialdemokratische Senator Yan Chantrel kritisierte den Gesetzentwurf scharf: „Das Ganze ist ein Text fern der Verfassung, rückwärtsgewandt und reaktionär, der sich in die lange Verhinderungstradition einreiht, Frauen sichtbar zu machen.“
Seit 2021 ist es an den Schulen des Landes bereits verboten, inklusiv zu schreiben.
Zwar muss der Senatsbeschluss zum Verbot inklusiver Schreibweisen noch das Parlament erfolgreich passieren, um Gesetz zu werden, was Beobachter derzeit eher für aussichtslos halten. Doch angesichts der politischen Mehrheitsverhältnisse erscheint es nur eine Frage der Zeit. Seit 2021 ist es an den Schulen des Landes bereits verboten, inklusiv zu schreiben. Den Rechtspopulisten und Konservativen reicht das aber nicht. Sie machen es sich zur nationalen Aufgabe, eine progressive, in ihren Augen „woke“ Weiterentwicklung der französischen Sprache von unten zu verhindern. Sie sehen sich in der Tradition von 1539, als François I. Frankreich seine „schöne und universelle“ Sprache gab.
Doch die in Villers-Cottertês Schlossgemäuer angeblich gelegten und von den Eiferern immer wieder bemühten Fundamente der großen französischen Sprache, auf die Macron seine Cité errichtet, sind wohl weniger stabil, als sie Frankreichs konservative Kulturpolitik gerne darstellt. Im August 1539 unterschrieb der in Villers-Cottertês zur Jagd weilende François I. jenes Edikt, welches eine umfangreiche Reform zur Vereinheitlichung des Justiz- und Verwaltungswesens im Königreich Frankreich einleiten sollte. Im Artikel 111 wird dazu der „langage maternel françoys“ zur alleinigen Urkunden- und Verwaltungssprache erhoben.
Allen französischen Schulkindern ist dieser Artikel als Ursprungspunkt einer Politik der harten Durchsetzung des Französischen als Nationalsprache bestens bekannt. Doch war dies wirklich so gemeint? Oder wollten die Verfasser schlicht erreichen, dass wichtige juristische Texte, Gerichtsurteile und Urkunden in den „Muttersprachen der Franzosen“ zu verfassen wären, einfach, damit sie verstanden werden? Schließlich sprach zur Zeit François I. die Mehrheit seiner Untertanen nicht die Sprache des Königs, sondern eine der zahlreichen Regionalsprachen des Territoriums, darunter Okzitanisch, Provencalisch und Bretonisch.
Das alles wäre leidenschaftlicher Stoff für historische Proseminare, wenn da nicht die EU wäre. Die Ratifikation des Maastrichter Vertrages verpflichtete Anfang der 1990er Jahre die europäischen Mitgliedsstaaten dazu, ihre offiziellen Sprachen zu deklarieren. Französische Juristen mussten zugeben, dass das Edikt von Villers-Cotterêts nicht so eindeutig war. Die französische Verfassung wurde daraufhin 1992 eilig dahingehend geändert, dass man ihrem Artikel 2 den Satz hinzufügte, dass „die Sprache der Republik das Französische ist“.
All dies hat Aktivistinnen und Aktivisten der unterschiedlichen alten Regionalsprachen Frankreichs bisher nicht entmutigt, deren Wiederbelebung und Lehre zu fordern, auch wenn sie immer wieder Niederlagen einstecken müssen. Frankreichs Verfechterinnen und Verfechter der einheitlichen Staatsprache, deren militante Tradition ausgerechnet durch die Französische Revolution begründet wurde, gehen in ihrem Kampf gegen Regionalismen so weit, dass Paris bis heute die europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen nicht ratifiziert hat. Diese hat zum Ziel, Minderheitensprachen in der EU zu schützen, sie in bilingualen Schulen zu lehren und in den Medien präsent zu machen.
Villers-Cotterêts ist in Frankreichs Regionen durchaus ein Synonym der Unterdrückung ihrer Identitäten.
Villers-Cotterêts, selbst in der französischen Provinz gelegen, ist daher in Frankreichs Regionen durchaus ein Synonym der Unterdrückung ihrer Identitäten. Seit den 1870er Jahren verfolgte Paris mittels seiner Schulpolitik und gesellschaftlicher Häme eine Politik der Demütigung gegenüber all jenen, die es wagten, ihre Regionalsprache zu sprechen. Das sitzt tief. Noch heute assoziieren viele Bildungsbürger und Stadtbewohnerinnen diese eher mit Altertümlichkeit als mit erstrebenswerter Diversität und Tradition.
Als der damals hoffnungsvolle Kandidat Macron sein Vorzeigeprojekt wählte, hat er es durchaus auch im Lichte der aktuellen politischen Landkarte gewählt. Am Beispiel von Chancen in Form von Investitionen und Jobs wollte er zeigen, wie seine künftige Republik den Orten französischer Tristesse und den Wüsten der De-Industrialisierung neues Leben einhauchen werde. Eine Schloss-Renovierung für 211 Millionen Euro und sechs Jahre später ist aus der angekündigten Wende nicht viel geworden.
„In Villers-Cotterêts ist ein resigniertes Frankreich eingeklemmt zwischen Château Macron und dem Rassemblement National“, titelte die Zeitung Le Monde im März diesen Jahres. Die 11 000 Einwohnerinnen und Einwohner zählende Kommune wird seit 2014 von einem alten Weggefährten Jean-Marie le Pens regiert. Mit ihm fuhren Frankreichs Rechtsextreme mit rund 42 Prozent eines ihrer besten kommunalen Wahlergebnisse ein. Hier wurde Le Pens Tochter Marine in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen 2022 mit 56 Prozent gewählt. Die heruntergekommene Schlafstadt, rund 80 Kilometer entfernt von Paris, ist trotz Euros, Pomp et Circumstances nicht aufgewacht. Geschäfte gibt es kaum noch und nicht einmal zu den Hochzeiten der Demonstrationen gegen Macrons Rentenreform und seiner liberalen Politik gab es hier die Protestbewegung der Gelbwesten.
Das Kulturzentrum rund um die französische Sprache wird zum Sinnbild für Macrons Politik.
So wird das Kulturzentrum rund um die französische Sprache zum Sinnbild für Macrons liberale Politik, die zwischen großen Projekten und widersprüchlichen Taten herumschlingert. Die Cité internationale will eine Heimstatt aller französischsprachigen Menschen sein – zu ihrer Eröffnung waren aber kaum Gäste aus den 32 Staaten der überwiegend afrikanischen Frankophonie geladen. Keine Ausstellung thematisiert die Kolonisierung ihrer Sprachen. Trotzdem hat der Präsident nach Villers-Cotterêts eingeladen, um hier 2024 das Gipfeltreffen der Frankophonie stattfinden zu lassen.
Villers-Cotterêts und die von hier ausgehenden Verwerfungen illustrieren die sich weitende Kluft zwischen Macrons Anspruch und seiner Schwäche. Viele, vor allem linke Wählerinnen und Wähler, sind seiner inzwischen derart überdrüssig, dass sie sich bei einem erneuten Duell zwischen Macron und Le Pen sogar enthalten würden. Vielleicht verkörpert die Cité mit den vielen Widersprüchen Macrons Regierungszeit daher doch treffender, als beabsichtigt.
Adrienne Woltersdorf leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Paris. Sie war Leiterin der Stabsstelle Kommunikation (der FES) und des Büros für Regionale Kooperation in Asien mit Sitz in Singapur sowie des FES-Büros in Afghanistan. Vorher hatte sie acht Jahre lang für die taz (die tageszeitung) aus Washington und Berlin berichtet und das China-Programm der Deutschen Welle gelenkt.