Rezension von Dr. Aide Rehbaum

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Gisa Klönne: Für diesen Sommer

© Irène Zandel

Die Autorin legt eine autobiographisch inspirierte Familiengeschichte vor, die sich vom Zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart spannt. Im Zentrum steht der gebrechliche Witwer Heinrich, der von seiner jüngeren Tochter Franziska eine Zeitlang gepflegt werden soll. Die ältere Schwester Monika, die das bis jetzt getan hat, ist mit einem Burnout ausgefallen und soll in einer Psychiatrie wieder zu Kräften kommen. Franziska ist aber das schwarze Schaf der Familie, da sie im Gegensatz zu ihrer perfekt funktionierenden Schwester weder Ausbildungen durchgehalten noch eine dauerhafte Beziehung hat, für Unordnung sorgt und davonläuft, wenn eine Situation schwierig wird.

Die Probleme, die zu dem jahrzehntelangen Zerwürfnis geführt haben, werden spannend stückchenweise enthüllt. Aus den wechselnden Perspektiven des Vaters, der sich gegen jede Veränderung im Tagesablauf und in der Wohnung wehrt, und Franziskas steigen wir tief in die Vorgeschichte ein. Die Eltern Heinrich und Johanne waren beide vom Krieg traumatisiert, beide Überreste ihrer Familien, als sie sich in Darmstadt begegneten. Von seiner Flucht als Kind allein hat der Vater nur eine hässliche Lithographie aus Brehms Tierleben gerettet, die nicht nur den Safe mit den Familiengeheimnissen verdeckt, sondern den Vater zunehmend beschäftigt, sowohl als Auslöser von Flashbacks wie auch als Herausforderung an seine schwindenden motorischen Fähigkeiten, denn er versucht sie immer wieder zu kopieren. Johanne war nach einem weiteren Schicksalsschlag, der den Kindern verschwiegen wurde, stets am Rande der Depression dahingeschlittert und musste deshalb geschont werden. Die Töchter spürten, ohne es benennen zu können, dass ihr augenscheinlich behütetes Leben nur mühsam aufrechterhaltene Fassade war,.

Franziska ist als Abiturientin aus der Pseudoidylle ausgebrochen, nachdem sie mit dem Lebensentwurf ihres Vaters, dem Vermessungsingenieur im Straßenbau, kollidiert, der ihr einerseits die Liebe zur Natur vermittelt hat und nicht einsehen will, dass er andererseits diese mit dem Ergebnis seiner Arbeit zerstört. Kein Wunder, dass Franziska die Erwartung ihres Vaters nach sportlichen Erfolgen und Studium enttäuscht und sich lieber kompromisslos der Friedens- und Umweltbewegung anschließt. Leser, die die 60er und 70er Jahre miterlebt haben, werden die Szenerien wiedererkennen, von der Schülerzeitung, den Revolten und Demos, den Ashrams in Indien und Tschernobyl bis zum heutigen Selbstversorger Biohof und Yogatrend – alles miterlebbar dargestellt. Die Vor- und Rückblenden sind als lebendige innere Monologe und Gedankenfetzen angelegt.

Nebenbei ergreifend der Umgang des Vaters mit seinem körperlichen Verfall. Alle haben nur das Beste gewollt und trotzdem sitzt jedem der verschwiegene Stachel im Fleisch. Während der Vater im Krankenhaus liegt, mistet die dem Buddhismus zugeneigte Franziska gründlich das Haus aus von allem, die Seelen belastenden sentimentalen Plunder. Nachdem sie deren Hintergründe offengelegt hat, wird endlich eine Annäherung möglich. Ein psychologisch rundum überzeugender Roman mit authentisch wirkenden Protagonisten.

Gisa Klönne, geb. 1964, lebt als Schriftstellerin und Schreibcoach in Köln. Gisa Klönne schreibt auch Kurzprosa, moderiert Lesungen und literarische Veranstaltungen und ist ausgebildete Yogalehrerin. Zuvor studierte sie unter anderem Anglistik und Theater-, Film und Fernsehwissenschaften und arbeitete als Redakteurin und freie Journalistin sowie als Dozentin in der Aus- und Weiterbildung für Journalisten.

Ihre Kriminalromane um die eigenwillige Kommissarin Judith Krieger erreichten eine Gesamtauflage von über einer halben Million, wurden in mehrere Sprachen übersetzt und mit Auszeichnungen bedacht, unter anderem mit dem Friedrich-Glauser-Preis.

 

 
isBn978-3-463-00028-2

 

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