Ein Ufo in der Provinz

Nur ein paar wenige Kilometer nördlich der Autobahn A 2 zwischen Dortmund und Hannover liegt – unweit von Bielefeld – die Kreisstadt Herford. Ein hübsches Städtchen, ohne Zweifel. Aber anderseits auch wieder nichts Besonderes. Gäbe es da nicht MartA. Das ist ein Kunstname. Er setzt sich zusammen aus M(useum), art (Kunst) und – wahlweise – A(mbiente) ode A(rchitektur). Woraus sich unschwer ableiten lässt, dass es sich um ein Gebäude handelt.
Museum des Jahres 2014
Jedoch eben nicht um irgendeines. Das im vorigen Jahr auf eine zehnjährige Existenz zurück blickende Gemäuer aus dunkelrotem Klinkerstein und Edelstahl in der Goebenstraße 2 – 10 ist einer der wohl ungewöhnlichsten Museumsbauten weltweit. Kein Wunder, dass beim Anblick der sowohl fließenden wie zugleich kippenden Formen ein Besucher verblüfft ausrief : „Da ist ein UfO in der Provinz gelandet“. Im Dezember 2014 wurde das MartA von der deutschen Sektion des Internationalen Kunstkritikerverbands (AICA) zum Museum des Jahres gekürt.
Klar, dass man im Rathaus der ostwestfälischen Kreisstadt (und dabei inzwischen wohl im Einklang mit der weitaus überwiegenden Zahl der Bürger) heute stolz ist wie Oskar, diesen – mittlerweile längst berühmt gewordenen – Kunsttempel in seinen Mauern zu haben. Welches andere Museum für zeitgenössische Kunst auf der Erde kann, schließlich, von sich sagen, dass es mit genauso vielen Besuchern aufwarten kann, wie die Stadt mit Einwohnern? Nämlich mit 60 000 pro Jahr. Und dann auch noch damit: Konzipiert und erbaut hat das MartA der weltberühmte kanadisch-amerikanische Architekt Frank Gehry. Und sein erster Direktor (2003 – 2008) war der – 2014 verstorbene – Belgier und künstlerische Leiter der Documenta IX (1992) im Kassel, Jan Hoet.
Proteste und Widerstände

Wie kommt nun ausgerechnet Herford dazu, solche Persönlichkeiten anzuziehen und schließlich sogar Heimstätte eines derartigen architektonischen Kleinods zu werden? Zumal der Blick in die Entstehungsgeschichte keineswegs euphorische Zustimmung von Seiten der Stadt und ihrer Bürger zeigt. Schließlich demonstrierte noch am Tag der Einweihung die Antisozialabbaugruppe „genug ist genug“ gegen das MartA und die damit verbundenen Kosten von rund 31 Millionen Euro.
Letztendlich stand (und steht) die heimische Industrie hinter dem Projekt. Vor allem waren es die Verbände der Möbel- und der Holzwirtschaft. Sie wirkten wie Magneten auf weitere Sponsoren, aktivierten jedoch zunehmend auch politische wie finanzielle Unterstützung durch die regionalen Verwaltungen und die nordrhein-westfälische Landesregierung. Nicht zufällig beherbergt das „MartA Herford“ in seinen oberen Etagen neben den genannten Verbänden auch das Möbelprüfinstitut des TÜV Rheinland sowie Repräsentanzen der Fachhochschule Bielefeld und der Hochschule Ostwestfalen.
Der Boxer aus Belgien

Es ist ganz gewiss dem Namen Frank Gehry zu verdanken, dass das Herforder Museum inzwischen Teil ist eines einzigartigen Projekts – nämlich der Route „Museum & Architektur“. Dabei handelt es sich dabei im Prinzip um eine geografisch-künstlerische Achse. Diese verbindet sechs Museen zwischen Berlin und Osnabrück, die sich zu einer Kooperation unter dem Aspekt der „besonderen Architektur“ zusammengeschlossen haben. Allen ist gemeinsam, dass die Bauten von weltberühmten Architekten entworfen wurden: Frank Gehry, Daniel Liebeskind, Philip Johnson, Zaha Hadid und Ieoh Ming Pei. Es handelt sich – neben dem MartA – um das Jüdische Museum und das Deutsche Historische Museum in Berlin, das phaeno in Wolfsburg, das Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück und die Kunsthalle in Bielefeld.
Wäre dieses – nennen wir es ruhig einmal so – Gesamtkunstwerk in der ostwestfälischen Provinz zustande gekommen, ohne Jan Hoet – den Motor hinter der Idee, den Antreiber, den Durchsetzer, den „Boxer“? Wie fast alle in öffentlicher Verantwortung entstandenen Projekte waren auch bei „MARTa Herford“ zwischen Planung und Realisierung die Kosten geradezu explodiert. Jan Hoet wuchs in jener Zeit mehr und mehr in die Rolle eines – wie er es selbst bezeichnete – „Zirkusdirektors“, der immer wieder versuchen musste, alle Beteiligten nicht nur bei Laune, sondern vor allem bei der Stange zu halten. Der 1936 in Löwen geborene Belgier hatte sich in seiner Jugend auch als Boxer versucht und dabei so manche blutige Nase eingefangen – eine Erfahrung, die ihm später gewiss zugute kam. Hoet hatte sich schon als Documenta-Chef in der ersten Hälfte der 90-er Jahre gern als Boxer inszeniert und seine Ideen durchgekämpft. Diese Kämpfe setzte er später auch in Herford fort – in den Auseinandersetzungen im kommunalen Alltag, um den MartA-Etat, ein Dauerkonflikt mitsamt Abmahnungen.
„Entweder schläft die Stadt weiter…“

Manche seiner Äußerungen klang seinerzeit wie eine Drohung: „Entweder schläft die Stadt weiter, oder sie geht in die Zukunft“. Dabei war ihm durchaus bewusst, welcher Herausforderung er sich mit der Realisierung von „MartA“ stellte: „In meinem eigenen Leben hier in der Provinz Ausstellungen zu machen, das ist eine doppelte Bedeutung von absurd. Frank Gehry in einer kleinen, mittelalterlichen Stadt ist ein Anachronismus. Dazu ein Direktor, der sich mit zeitgenössische Kunst beschäftigt in einer Stadt, in der er als Hemmung empfunden wird“.
Gehry und Hoet werden in Herford längst nicht mehr als „Hemmung“, sondern als Belebung empfunden. Das war bei der Eröffnung des Museums im Mai 2005 noch ganz anders. Schon die erste Ausstellung geriet zum Skandal, weil die damalige Kreisbehörde die Ausstellung von Werken des Norwegers Bjarne Melgaard für jugendgefährdend hielt. Vergangene Zeiten. Herford ist stolz auf sein außergewöhnliches Museum. Und jeder, der an der Autobahnausfahrt vorbeirauscht und sich das „Erlebnis MartA“ entgehen lässt, ist selber schuld.
Gisbert Kuhn
Info:
MartA Herford
Goebenstraße 2 – 10
32052 Herford
Tel.: 05221 9944300
Di – So 11- 18 h
Jeden 1. Mi. 11 – 21 h
Karfreitag, 24, 25 u. 31. 12 geschlossen
Erwachsene 8 Euro
Ermäßigt 4,50 Euro
Kinder unter 10 J. frei
Schüler u. Studenten 4,50 Euro
Familien 17 Euro