Weirich am Montag:

Dieter Weirich

Man wird auf dem Glatteis der Prophetie nicht ausrutschen, wenn man für das Treffen der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin am Mittwoch eine Verlängerung des „Teil-Lockdowns“ erwartet; eventuell  sogar mit einer weiteren Verschärfung des Kontaktverbotes verbunden. Interessanter, indes, dürften die Perspektiven für die Zeit danach sein, denn der Corona-Spuk wird mit der Jahreswende nicht verschwinden, sondern ein langer, lästiger Begleiter für 2021 sein. Bis in einer in  weiten Teilen impfunwilliger Bevölkerung Herdenimmunität erreicht wird, ist das ein Marathon.

Die Bundesregierung rühmt sich unter Hinweis auf schlimmere Infektionszahlen in unseren  europäischen Nachbarländern und in den USA ihrer ebenso klugen wie zumutbaren Corona-Strategie. Gute Politik sollte sich aber nicht an den Letzten, sondern an den Klassenbesten messen. In vielen asiatischen Staaten – zuallererst in Taiwan, Südkorea, Singapur, Vietnam, Neuseeland  und Japan – hat man Corona besser im Griff. Auf die Volksrepublik China als leuchtendes Beispiel verzichtet man besser, weil die dortigen Maßnahmen bei der Seuchenbekämpfung nicht mit europäischen Menschenrechtskonventionen vereinbar sind.

In Japan vermied man bei der Kontakt-Nachverfolgung eine Überlastung der Sozialämter, konzentrierte sich auf die „Cluster“, also beispielsweise Feiern, bei denen Superspreader ermittelt werden konnten. In all diesen Ländern konnte man sich schnell kostenlos in einfach zugänglichen Testzentren, oft mit dem Auto durchfahrbar, überprüfen lassen und erhielt binnen 24 Stunden das Ergebnis.

In Taiwan muss jeder Einreisende in Quarantäne, die Kontrolle erfolgt mobil über Funkzellenortung. Beantwortet man den täglichen Kontrollanruf nicht oder entfernt sich aus der Quarantäne, stehen Sicherheitskräfte vor der Tür.

Hierzulande haben wir eine mit viel Trara angekündigte Warn App, die mir gerade mitgeteilt hat, dass ich in den letzten Tagen 14 Tagen  drei Begegnungen mit niedrigem Risiko hatte. Die App hat 22 Millionen Abrufe, ist aber in der Abwehr der Pandemie witzlos. Künftig soll nun mehrmals am Tag über mögliche Risikobegegnungen informiert werden. Nutzer sollen bei einem positiven Testergebnis aufgefordert werden, ihren Befund mit anderen Anwendern zu teilen. Eine wirklich wirksame Strategie verhindert der Datenschutz, der hierzulande noch immer wichtiger als die Gesundheit ist.

Ansonsten hat die Krise Deutschlands fatalen Rückstand bei der Digitalisierung im internationalen Wettbewerb offengelegt. Das gilt für die oft mangelhafte informations-und kommunikationstechnische Ausstattung der Schulen, die Zettelwirtschaft für Besucher in Gaststätten zur Kontaktnachverfolgung und die eher hilflosen Anregungen der Behörden, doch selbst Tagebücher über die Begegnungen mit Dritten zu führen.

 

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, skizziert jeden Montag mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen bei uns in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Frankfurter Neuen Presse”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst “als liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig. 

 

 

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