Die „Methode Macron“

Frankreichs Präsident verprellt die Partner. Doch damit zwingt er sie, endlich die nötige Debatte über die strategische Autonomie der EU zu führen.

Seine Aussagen sorgen immer mal wieder für Aufregung: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. ©seppspiegl

Emmanuel Macron ist bekannt als größter Verfechter des Projekts europäischer strategischer Autonomie – und genauso bekannt dafür, mit seinen Forderungen zur Stärkung Europas in der Welt Partner vor den Kopf zu stoßen. Dieses Muster zieht sich wie ein roter Faden durch seine Präsidentschaft: Als er 2017 in seiner Sorbonne-Rede zum ersten Mal das Konzept europäischer strategischer Autonomie skizzierte und die Europäer aufforderte, deutlich mehr im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, aber auch in Bereichen wie Klima, Industrie oder Technologie zu tun, ließ die Kritik nicht lange auf sich warten. Auch wenn französische Diplomatinnen und Experten nicht müde wurden zu erklären, dass Macron sich eben explizit für eine dezidiert europäische Strategie aussprach, wirkte der Begriff der „Autonomie“ auf viele Partner, die damit eine Entscheidung gegen das transatlantische Bündnis zugunsten eines europäischen „Solo-Riding“ assoziierten, nahezu verstörend.

Dass viele von Macrons Kommentaren in den folgenden Jahren oftmals ähnliche Reaktionen auslösten – man denke an den „Hirntod“ der NATO –, hat nicht zur Popularität des Konzepts der europäischen strategischen Autonomie beigetragen. Tatsächlich ist es Macrons Kommunikationsstil, der immer wieder Debatten und Zweifel auslöst: Macron stellt ambitionierte Konzepte in Reden vor, nicht selten mit Anspielungen, die für ein nicht-französisches Publikum schwer verständlich sind, er provoziert bewusst oder unbewusst, er testet die Reaktionen der Partner – und bekommt dafür in aller Regel Gegenwind.

Nach seiner Reise nach Peking hat Macron diese Methode nun in einer neuen Dimension angewandt. Konkret geht es um ein Interview mit Les Echos, in dem Macron über die Rolle Europas im Konflikt zwischen China und den USA spricht. Schon vor einem Blick auf den Inhalt ist klar, dass das Timing dieses Interviews schlecht gewählt ist: Hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor dem gemeinsamen Besuch mit Macron in Peking eine Rede zur Ausrichtung der europäischen Chinapolitik gehalten, gab Macron besagtes Interview auf dem Rückflug von seinem Treffen mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping. Besonders problematisch in diesem Kontext ist Macrons Aussage zu Taiwan: „Wir als Europäer sind besorgt über unsere Einheit. … Die Chinesen sind ebenfalls besorgt über ihre Einheit, und Taiwan, aus ihrer Sicht, ist ein Bestandteil davon. Es ist wichtig zu verstehen, wie sie denken.“ Während ein Verständnis des strategischen Denkens Chinas für Europa zweifellos zentral ist, weicht Macrons Formulierung klar vom europäischen Konsens ab und repliziert das chinesische Narrativ.

Im Zusammenhang mit seinem Besuch in China kann aus den Aussagen leicht das Bild von Macron als Gegner der transatlantischen Allianz entstehen.

Noch weniger überrascht es, dass Macrons Aussagen zu Taiwan Partner in der EU und in Washington irritieren. Macron führt aus, dass das schlimmste Gedankenspiel eine Situation sei, in der Europa ausschließlich anderen folge und sich „dem amerikanischen Rhythmus und einer chinesischen Überreaktion“ anpassen müsse. Für seine Analyse hat Macron von Expertinnen und Experten zu Recht scharfe Kritik erhalten. Dass Macron einige Tage danach in einer Pressekonferenz mit dem niederländischen Premierminister die französische Position bezüglich der Situation in Taiwan und im Indo-Pazifik – Status quo für Taiwan und Freiheit der Seewege – bekräftigt und die Rolle der transatlantischen Kooperation unterstrichen hat, zeigt seine Fähigkeit zur Kurskorrektur. Zur Glaubwürdigkeit Frankreichs haben die Aussagen jedoch nicht beigetragen.

Im Zusammenhang mit seinem Besuch in China kann aus den Aussagen leicht das Bild von Macron als Gegner der transatlantischen Allianz entstehen. Im Anschluss an seine Ausführungen zu China erklärt er, wie wichtig es für die Europäer sei, ihre Strategien auf Basis ihrer eigenen Interessen zu definieren. Als Beispiel nennt er den Inflation Reduction Act der USA, der unter anderem Steuerkredite für klimafreundliche Technologie Made in America vergibt, wohingegen europäisch hergestellte Produkte benachteiligt werden. Gerade für Washington, das China als seine wichtigste strategische Herausforderung und das wichtigste Feld der Zusammenarbeit mit Partnern ansieht, ist dies mehr als irritierend. Und vor dem Hintergrund des umfassenden militärischen Engagements der USA in der Ukraine, das faktisch von den Europäern nicht leistbar wäre und Zweifel am Engagement der USA für die europäische Sicherheit zumindest kurzfristig ausgeräumt hat, ist es wenig überraschend, dass seine Aussagen auch in anderen europäischen Staaten, insbesondere mit transatlantischer Tradition wie Deutschland oder Tschechien, scharf kritisiert werden.

Das Hauptproblem Macrons liegt in seiner Kommunikation und seiner Methode: Es fällt schwer, sich einen Zeitpunkt vorzustellen, in dem seine Kommentare noch unangebrachter erschienen wären als in dem von ihm gewählten Kontext. Französische Diplomatinnen und Diplomaten werden in den nächsten Tagen damit beschäftigt sein, die Wogen zu glätten und zu erklären, worum es dem französischen Präsidenten eigentlich ging: nämlich darum, dass Europa seine eigene Strategie finden muss, die auf dezidiert europäischen Interessen basiert, statt blind einer strategischen Doktrin der USA zu folgen. Seit 2017 unterstreicht Macron dabei kontinuierlich, dass dies nicht im Konflikt mit der transatlantischen Beziehung steht, sondern nur bedeutet, dass Europa seine Interessen klar definieren und auch dann verfolgen sollte, wenn dies nicht im Einklang mit dem Ansatz der USA möglich ist.

Es ist offenkundig, dass die Interessen der EU und der USA in einigen Fragen nicht deckungsgleich sind.

Macrons Methode, den europäischen Partnern diesen Ansatz durch ambitionierte Reden zu vermitteln, funktioniert nicht. Sie erscheint, bildlich gesprochen, wie ein radikal pro-europäischer Elefant in einem transatlantisch geprägten Porzellanladen, der sich gerade erst langsam für die Idee einer unabhängigen europäischen Strategie zu öffnen schien. Der Vorteil von Macrons Methode ist, dass er die europäischen Partner damit dazu zwingt, auch offen über Fragen europäischer Strategie und Geopolitik nachzudenken. Die Schäden für Frankreichs Glaubwürdigkeit sind jedoch massiv.

Letztendlich ist diese Methode nicht nur für die Wahrnehmung von Macron selbst in Europa, sondern für das Projekt der europäischen strategischen Autonomie kontraproduktiv. In der Essenz ist diese jedoch unverzichtbar: Es ist offenkundig, dass die Interessen der EU und der USA in einigen Fragen, und insbesondere gegenüber China, nicht deckungsgleich sind. Die USA schrecken nicht davor zurück, ihren Wettbewerb mit China auch mit Mitteln auszutragen, die Europa schaden – man denke an den Inflation Reduction Act oder extraterritoriale Sanktionen, die auch europäische Unternehmen treffen. Gleichzeitig hat Europa sicherheitspolitische Interessen, etwa im Mittelmeer, die für die USA höchstens peripher relevant sind. Für diese Fälle muss Europa sich rüsten, indem es sich seiner Interessen bewusst wird, eine Strategie definiert und sich mit den nötigen Mitteln ausstattet, um entsprechend handeln zu können.

Faktisch hat sich dahingehend, auch auf französische Initiative, in den letzten Jahren in Europa bereits vieles in diese Richtung entwickelt: Beispiele sind der europäische Verteidigungsfonds, die europäische Friedensfazilität, aus der gerade europäische Waffenlieferungen an die Ukraine finanziert werden, der Strategische Kompass, der europäische Green Deal, oder industriepolitische Initiativen wie der Chips Act und der Critical Raw Materials Act.

Die europäischen Institutionen sprechen in ihren Dokumenten immer öfter von „europäischer Souveränität“ – ein Begriff, durch den Frankreich während seiner Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2022 die europäische strategische Autonomie ersetzt hat, der aber nichts anderes meint. In anderen Worten: Europäische strategische Autonomie wird in vielen Bereichen immer mehr Realität – sicherlich nicht zuletzt auch dank Macrons Ambitionen. Mit Blick auf die zahlreichen Initiativen der EU-Kommission, etwa die von Kommissionspräsidentin von der Leyen angekündigte Strategie zur wirtschaftlichen Sicherheit, ist jetzt ein guter Zeitpunkt, genau diese Debatten zu führen. Die Schritte der EU in den vergangenen Jahren zeigen, dass eben konkrete Projekte dafür auch Unterstützung von Staaten gewinnen können, die Macron und seinen Ambitionen grundsätzlich kritisch gegenüberstehen.

Macrons Methode ist jedoch für das Projekt der europäischen strategischen Autonomie ein Dilemma: Einerseits lebt sie von seinen Ambitionen und der Tatsache, dass Macron nicht müde wird, immer wieder eine Debatte zu führen, die für viele europäische Partner eine unbequeme ist – nicht zuletzt, weil sie zu einem Blick auf das transatlantische Verhältnis durch die Brille genuin europäischer Interessen zwingt. Gleichzeitig führt die „Methode Macron“ oft zu massiven Kollateralschäden und dazu, dass die Debatte viel aufgeheizter und ideologischer geführt wird, als dies der Fall sein müsste.

Gesine Weber ist Fellow beim German Marshall Fund in Paris und auf europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik spezialisiert.

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