Von Gisbert Kuhn

Autor Gisbert Kuhn

Vor nahezu genau sechs Jahrzehnten, am 20. Januar 1961, sprach der damals neu gewählte US-Präsident John F. Kennedy in seiner berühmten Antrittsrede unter anderem den danach fast schon legendär gewordenen Satz: „Frag nicht, was dein Land für Dich tun kann. Sondern frag, was Du für Dein Land schaffen kannst“. Das war ein bis dahin noch nie gehörter Aufruf. Ein Appell, der nicht nur tief in die amerikanische Gesellschaft drang, sondern weit darüber hinaus in der Welt Echos auslöste. Eine unmittelbare Folge daraus war etwa in den Vereinigten Staaten der Aufbau eines Friedenskorps (peace corps), in dem seitdem rund 200 000 junge Amerikaner für jeweils 24 Monate in den ärmsten Ländern der Erde arbeiteten. Diese Begeisterung und das Engagement steckten an und führten, z. B. hierzulande zur Gründung des Deutschen Entwicklungs-Dienstes (DED).

Warum wohl drängt sich gerade in diesen Tagen die Erinnerung an Kennedy, die aufrüttelnde Rede nach seiner Vereidigung vor 60 Jahren am Capitol in Washington und deren elektrisierende Wirkung auf die Menschen auf? Ganz einfach. Weil das Beispiel zeigt, dass Worte – vom Glauben an deren Wahrheit getragen und daher aus Überzeugung gesprochen – viel bewegen, ja buchstäblich sogar Berge versetzen können. Sie vermögen Missmut vertreiben und Mutlosigkeit verblasen, Kräfte freisetzen und Energien zu eigenen Taten wecken. Genauso so etwas täte gerade in diesen Zeiten diesem Land gut.

Ja, es gibt sie natürlich ebenfalls. Die vielen freiwilligen Helfer und Ehrenamtlichen, die zugreifen und anpacken, ohne gleich nach Entlohnung und Ausgleich zu fragen. Bei der Feuerwehr, bei den Rettungsdiensten, bei der Polizei. Die sich bei ihrer Arbeit nicht entmutigen lassen, obwohl sie häufig genug von „braven“ Mitbürgern behindert, beschimpft und – nicht selten sogar – tätlich angegriffen werden. Aber da sind eben auch die Anderen. Jene, die – zum Beispiel – beinahe ohne Unterlass in den so genannten sozialen Medien nörgeln, schimpfen und klagen. Die nicht müde werden, tatsächliche oder angebliche Fehler, Versäumnisse, Ungerechtigkeiten und Unfähigkeiten „der überbezahlten, aber völlig ungeeigneten“ Politiker, Verwaltungen usw. lauthals und in einer üblen Sprache anzuprangern.

Besonders beliebt sind dann die mit dem unpersönlichen Fürwort „man“ verknüpfte Handlungs-Aufforderungen. Also: „Man“ müsse nun doch endlich dieses angehen oder jenes lassen. Beliebt sind auch die Formulierungen „die“ oder „es“. Konkret: „Die“ sollten und „es“ müsse unverzüglich genau das (oder anderes) geschehen. Mit anderen Worten – es handelt sich stets um Forderungen an irgendjemanden oder irgendetwas. Wobei natürlich zumeist „der Staat“ oder „die da oben“ gemeint sind. Praktisch nie, hingegen, ist die Rede von eigenen Initiativen oder praktikablen Vorschlägen zur Bewältigung der aktuellen Corona-Krise, die doch eigentlich die Bündelung aller Kräfte erforderte. Auch, (und nicht zuletzt) der gesellschaftlichen.

Kein vernünftiger Mensch wird bestreiten, dass es nach dem Ausbruch der Seuche natürlich Fehler, Pannen und Unzulänglichkeiten gegeben hat und noch immer gibt. Etwa bei der Bestellung der Impfstoffe und deren Verteilung. Man kann durchaus auch streitig diskutieren, ob die Rangliste beim Impfen nach Alter und Berufsgruppen nicht hätte beweglicher angewandt werden können – das heißt, ob Ärzte und Helfer, Lehrer und Kita-Kräfte nicht ebenfalls hätten von vornherein bevorzugt geschützt werden müssen. Über all das lässt sich trefflich argumentieren. Aber, bitte, doch auf eine zivilisierte Weise!

Wenn in diesem Zusammenhang Zeitgenossen angesichts der im Prinzip noch immer knappen Verfügbarkeit an Impfseren mit Verweis auf den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung vehement darauf pochen, auf keinen Fall mit dem (angeblich minderwertigen) britisch-schwedischen Produkt AstraZeneca „abgespeist“ zu werden, dann kann es einem schon mal den Atem verschlagen. Vor einem Jahr gab es überhaupt noch kein Mittel gegen das gefährliche Virus! Nun wurden, mit erheblichem finanziellen und wissenschaftlichen Einsatz, in einer bislang nicht vorstellbaren Zeit wirksame Gegenmittel entwickelt. Und trotzdem wird genörgelt und gefeilscht! Wären nicht stattdessen einmal wenigstens ein bisschen Freude und Fröhlichkeit angebracht? Und sei es auch nur, um sich wenigstens persönlich aus Unlust und Niedergeschlangenheit zu befreien.                                                                                                                                                           

In einer solchen Zeit tut es mitunter gut, einen Moment zum Nachdenken einzuhalten. Selbstverständlich ist Kritik angebracht, wo und wenn etwas erkennbar falsch läuft. Ohne Kritik keine Verbesserung und keinen Fortschritt. Denn das Streben nach Problemlösungen ist schließlich positiv, ist nach vorn gerichtet. Das ist etwas anderes als jene Stimmung von Verdrießlichkeit und Missmut, die mitunter wie Mehltau über den Deutschen zu liegen scheint. Und die den Eindruck erweckt, als befinde sich ein ganzes Land mitsamt seinen Bewohnern in einer tiefen Depression.

Aber es ist eben auch nur ein Eindruck. Ein Empfinden, das sich geformt hat durch die sich in den elektronischen Medien ballende Unzufriedenheit und Krakeelerei sowie durch das nahezu permanente Wegschieben von Eigenverantwortung an irgendwelche anonymen – also zumeist staatlichen – Stellen. Immerhin zahle man ja schließlich Steuern. Also möge „man“ und sollen sich „die“ gefälligst um Abhilfe kümmern. Doch das ist, zum Glück, halt nur ein Teil der Wirklichkeit. Und zwar, mit Sicherheit, der mit Abstand kleinere. Er wird bloß sehr viel mehr wahrgenommen, weil er lautstark ist und deshalb auch in den „klassischen“ Medien wie Zeitungen, Fernsehen und Radio Widerhall findet. Sicher, auch früher schon gab es im Journalismus den sarkastischen Spruch, dass „nur schlechte Nachrichten gute Nachrichten“ seien, weil sich Leser, Hörer und Zuschauer nun einmal lieber an einem Skandal ergötzten als an einem Bericht über die Einweihung einer neuen Sporthalle. Das hat sich im Zuge des Konkurrenz- und Zeitdrucks auf dem Nachrichtenmarkt noch einmal deutlich verstärkt.

Wochenlang war (nicht unbegründet) geklagt, gejammert und kritisiert worden, dass im Kampf gegen das tückische Virus nicht genügend Impfstoff zur Verfügung stehe. Mittlerweile, indessen, werden wir von der Information überrascht, dass es an verschiedenen Orten bereits umgekehrt sei – also, mehr Serum als benötigt geliefert werde. Und das Echo darauf? Es ist natürlich nicht Freude und schon gar kein Jubel, sondern es sind erneut Klagen. Weil so etwas nicht hinnehmbar, weil schlecht organisiert sei. Wetten, dass sich die Situation schon relativ wenige Wochen nach Ostern deutlich entspannen wird? Zumindest was die Virenbekämpfung anbelangt. Dann, freilich, wird nach und nach das ganze Ausmaß der wirtschaftlichen Folgen besonders im Handel, sowie beim Klein- und Mittelstand sichtbar werden. Und es muss die Frage beantwortet werden nach Rückzahlung der Abermilliarden Euro, die der Staat zur Linderung der Krise bereitstellte.

Es wäre also durchaus an der Zeit, dass die Dauer-Kritikaster und Jammerprofis ihr Augenmerk auf die neuen Themen richten. Aber, wer weiß, vielleicht werden dann ja viele davon den „wohlverdienten“ Urlaub an südlichen Stränden, auf Kreuzfahrten oder – warum nicht? – auch in heimischen Landen genießen. Es wäre zu wünschen.

Warum nochmal hatten sich die Kennedy-Worte der Erinnerung so aufgedrängt?. Ach ja, wegen der möglichen Aktivitäten jedes Einzelnen zugunsten der Gemeinschaft. Das kann doch eigentlich nicht so schwer sein.

       

 

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