Roboter auf dem Vormarsch
Künstliche Intelligenz und Automatisierung machen menschliche Tätigkeit an vielen Stellen überflüssig. Kann Deutschland den Strukturwandel bewältigen?
Momentan hält die Industrie den Laden am Laufen. Während Restaurants und Hotels geschlossen und die meisten Flugzeuge am Boden bleiben, laufen die Bänder in den großen Produktionshallen trotz Corona auf Hochtouren. Bei den Auftragseingängen hat die

Industrie das Vorkrisenniveau bereits überschritten. Nie wurden in einem Dezember so viele Autos neu zugelassen wie 2020. Unter anderem deshalb ist Deutschland, ganz anders als im zweiten Quartal 2020, trotz des sogenannten Lockdowns nicht akut von einer Rezession betroffen.
Aber irgendwann, wenn die Pandemie einmal vorüber ist, werden die Probleme des verarbeitenden Gewerbes wieder stärker in den Fokus rücken. Denn davon gibt es genug. Etliche Branchen, allen voran die Automobilindustrie, stehen seit geraumer Zeit unter enormem Veränderungsdruck. Die Tage des Verbrennungsmotors sind gezählt. Der Weg geht in Richtung Elektroantrieb und neuer Mobilitätsformen. Vielleicht sogar ganz weg vom eigenen Auto, das doch ohnehin die meiste Zeit bloß herumsteht, statt zu fahren. Auch viele andere Industrie- und Dienstleistungsbranchen, von Stahl bis Einzelhandel, stehen vor einer Transformation hin zu grünen und digitalen Geschäftsmodellen. Und die Konkurrenz aus dem Ausland schläft nicht, sondern hat bei vielen modernen Technologien die Nase vorn.
Diese Gemengelage erzeugt große Befürchtungen, wie es um die Arbeitswelt von morgen bestellt sein wird. Wie viele sichere und gut bezahlte Jobs wird es überhaupt noch geben? Die Angst vor technologischer Massenarbeitslosigkeit grassiert seit vielen Jahrhunderten, nicht erst seit es die Schlagworte Digitalisierung und Globalisierung gibt. Schon Aristoteles fürchtete sich davor. Zwar ist das Schreckgespenst bislang nie eingetreten. Aber das bedeutet nicht, dass es immer so bleiben muss.
Trotzdem spricht vieles dafür, dass die Gesamtzahl der Arbeitsplätze nicht der Hauptgrund zur Sorge sein sollte. Völlig klar: Viele Jobs, die es heute noch gibt, wird es morgen nicht mehr geben. Aber erfahrungsgemäß entstehen bei großen Umwälzungen immer auch neue Tätigkeitsfelder, von denen wir heute noch keine klare Vorstellung haben. So war das Beschäftigungswachstum in den vergangenen fünf Jahren bei vielen Berufen besonders stark, die im Jahr 2000 noch gänzlich unbekannt und gar nicht Teil des damaligen Klassifikationsschemas waren.
Viele Jobs, die es heute noch gibt, wird es morgen nicht mehr geben.
Das wirkliche Problem ist ein anderes: Die neu entstehenden Arbeitsplätze sind zumeist völlig andere als diejenigen, die wegfallen. Doch was hilft es einem Autoschrauber aus der Pfalz, dessen Fähigkeiten im Zusammenbau von Dieselturboladern bald nicht mehr gefragt sein könnten, wenn irgendwo in Berlin händeringend nach Webdesignern und Programmierern gesucht wird? Mismatch – so nennen Ökonomen das Problem, wenn es in ein und demselben Arbeitsmarkt gleichzeitig Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel gibt. Darauf könnten viele Branchen zusteuern.
Grund zur Panik gibt es allerdings nicht. Deutschland hat in der Vergangenheit bewiesen, dass es mit einem Strukturwandel oft besser umzugehen wusste als andere Länder. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Veränderungen im verarbeitenden Gewerbe, die sich seit Beginn der 1990er-Jahre durch den Einzug und die Verbreitung von Automatisierungstechnologien ergeben haben. In einer neuen Studie haben wir diese Arbeitsmarkteffekte genau untersucht. Die Ergebnisse machen Mut.
Seit den 1990er-Jahren sind die Roboter in der Industrie auf dem Vormarsch. In den Produktionsprozessen übernahmen sie sukzessive immer weitere Schritte, die früher Menschen manuell ausgeführt haben – vom Zusammenschrauben einer Karosserie bis hin zur Sortierung von Lagerregalen. Heute gehört Deutschland zu den am stärksten roboterisierten Volkswirtschaften weltweit, lediglich hinter Japan, Singapur und Südkorea.
Menschliche Tätigkeit wurde an vielen Stellen überflüssig. Aber sind die betroffenen Mitarbeiter deshalb entlassen worden? Nein, das war in aller Regel nicht der Fall. Die Unternehmen fanden im Zusammenspiel mit den Betriebsräten Lösungen und hielten die Beschäftigten auf ihren Arbeitsplätzen. Dafür wandelten sich deren Tätigkeitsprofile radikal: Aus den Karosserieschraubern von gestern wurden die Qualitäts- und Verkaufsmanager von morgen. Solche Jobs waren plötzlich stark gefragt und die Unternehmen hätten versuchen können, dafür neue und jüngere Spezialistinnen und Spezialisten anzuwerben. Aber sie gingen einen anderen Weg: Sie setzten auf die Umschulung und Weiterbildung ihrer Stammbelegschaft. Sie setzten auf Stabilität. Die Gewerkschaften unterstützten diese Strategie, indem sie Lohnzurückhaltung versprachen. Und am Ende ging der Plan auf, nicht zuletzt durch einen massiven Anstieg des Auslandsabsatzes.
Heute gehört Deutschland zu den am stärksten roboterisierten Volkswirtschaften weltweit, lediglich hinter Japan, Singapur und Südkorea.
Deutschland hat es geschafft, diese erste Welle der Digitalisierung ohne größere Disruptionen zu gestalten. Beschäftigte wurden nicht rausgeschmissen. Erst wenn Industriearbeiterinnen und -arbeiter regulär die Altersgrenze erreichten und in Rente gingen, wurden ihre Stellen nicht nachbesetzt. So ist die Beschäftigung in der Industrie mit der Zeit kontinuierlich gesunken. Aber dieser graduelle Prozess gelang über Generationengrenzen hinweg. Jüngere Berufseinsteiger begannen ihre Karriere immer häufiger in modernen Dienstleistungsbranchen statt in klassischen Fabrikjobs. Und unsere Studie deutet sogar darauf hin, dass bereits Schüler diese Veränderungen antizipierten und ihre Ausbildung entsprechend anpassten.
Die Startgehälter für die Jungen waren im Durchschnitt vergleichbar mit denen in der Industrie. Allerdings mit größerer Varianz, denn der Dienstleistungssektor ist ein weites Feld. Wer Glück hatte, wurde hoch bezahlter Unternehmensberater und verdiente mehr, als es in der Industrie der Fall gewesen wäre. Doch wer Pech hatte, landete im prekären Niedriglohnsektor.
Trotzdem ist Deutschland international ein Vorbild in der Gestaltung der industriellen Transformation durch Automatisierungstechnologien. So hat das renommierte Massachusetts Institute of Technology kürzlich in einer weiteren Studie herausgefunden, dass der Einzug der Roboter im US-amerikanischen Arbeitsmarkt viel schlimmere Auswirkungen hatte. Dort gab es echte Kahlschläge. Obwohl es in den USA insgesamt weniger Roboter gibt und der Industrieanteil deutlich geringer ist als in Deutschland, griffen die dortigen Unternehmen viel häufiger zu Massenentlassungen vermeintlich überflüssig gewordener Beschäftigter. Viele verschwanden in der Folge komplett vom Arbeitsmarkt und fanden sich später unter den Wählern von Donald Trump wieder.
Nun stehen die nächsten Wellen der Transformation an. Es geht nicht mehr bloß um Industrieroboter, sondern um viel umfassendere digitale Technologien. Sie werden auch außerhalb des verarbeitenden Gewerbes Einzug halten und bislang manuell durchgeführte Prozesse übernehmen – man denke an den Einsatz künstlicher Intelligenz im Banken- und Versicherungsbereich. Die Substitution von klimaschädlichen durch grüne Technologien kommt hinzu.
Ob dieser Wandel wieder so gut gelingt wie bei den Robotern, wird man sehen. In der Vergangenheit klappte es durch einen Kompromiss auf Augenhöhe zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, dass Stabilität nicht Stillstand bedeutete. So konnten Arbeitsplätze erhalten werden und sich gleichzeitig komplett wandeln. Zukünftig wird es aber auch um Wirtschaftszweige gehen, die nicht so gut strukturiert und organisiert sind wie die deutsche Industrie. Hier können Beschäftigte leichter unter die Räder geraten. Zudem schwamm Deutschland bei den Robotern noch vor der Welle, das ist bei heutigen digitalen Technologien oft anders, was die Sache nicht einfacher macht. Auch nach dem Ende der Corona-Pandemie wird die Liste der Herausforderungen also nicht kürzer.
Jens Südekum ist Professor für internationale Volkswirtschaftslehre am Institut für Wettbewerbsökonomie an der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf.
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