Von Günther Maihold

 

Deutschlands zehn wichtigste außenpolitische Herausforderungen im Jahr 2016.

Das außenpolitische Vokabular spiegelte 2015 eine neue Tonlage wider: Es war von Bewährungs- und Belastungsproben die Rede, Europa befinde sich amCheck Scheideweg, die Krise sei zum Normalfall geworden. Damit steht deutsche Außenpolitik in einer Fülle von Verantwortlichkeiten, die schwierig auszubalancieren sind. Zehn Prioritäten, die angesichts der krisengetriebenen Praxis auswärtiger Politik wichtige Handlungskorridore mittelfristiger Natur beschreiben:

1) Außenpolitik muss sich innenpolitisch bewähren

Ob Syrienkrise, Flüchtlingswelle oder internationale Klimapolitik – das außenpolitische Handeln trifft immer wieder auf Innenpolitik und die Bewältigung externer Krisen im Inneren. Doch deutsche Außenpolitik meidet bislang, sich an der innenpolitischen Debatte zu beteiligen, um nicht in die Kontroverse des inneren Meinungskampfes hineingezogen zu werden. Damit fehlt der innenpolitische Debatte jene Stimme, die die Perspektive von außen zu Gehör bringt. Gerade angesichts der steigenden Zahl von Militäreinsätzen im Ausland, ist diese Rolle unverzichtbar. Dass in Fragen der Migration das Außenministerium kaum einen inhaltlichen Beitrag leistet und zu einem gesellschaftlichen Konsens beizutragen versucht, markiert eine prominente Leerstelle in der Auseinandersetzung über neue Formen des Zusammenlebens in Deutschland. Ohne eine aktive Teilnahme an solchen Fragestellungen wird Außenpolitik verkümmern und ihre politischen Grundlagen im Inneren verlieren.

2) Deutsche Außenpolitik auf innenpolitische Polarisierungen bei den Partnern einstellen

Wichtige Partner Deutschlands werden sich im Jahr 2016 durch Wahlen oder Zuspitzung ideologisch motivierter Positionen innenpolitisch sehr viel stärker polarisieren. Dies gilt für die USA und Frankreich ebenso wie für Polen und Großbritannien. Darauf muss sich Aussennpolitik vorbereiten, nicht nur im alltäglichen Geschäft des vielseitigen Dialogs mit einer wachsenden Zahl von für die Außenpolitik dieser Staaten zuständigen Akteure; zudem wird die Versuchung in innenpolitisch gespaltenen Ländern wachsen, außenpolitische Fragen für eine kostengünstige Verbesserung ihrer Position im inneren Meinungskampf zu verbessern. Die jeweiligen Positionen werden daher kaum belastbar sein, Verhandlungen erschweren und Vertrauen verknappen. Der Stil des Umgangs und der Verzicht auf gezielte Provokationen von außen zu antworten, erhalten damit eine zusätzliche Bedeutung, gerade auch in der Diplomatie des Parlaments und zivilgesellschaftlicher Akteure.

3) Europapolitische Positionen stärker bei Partnern absichern

Angesichts des wachsenden Problemhaushalts in der Europäischen Union muss Deutschland sich stärker um Unterstützung bei verschiedenen Partnern bemühen und darf nicht nur im deutsch-französischen Tandem die Durchsetzung seiner europapolitischen Interessen anlegen. Mit der Konzentration der Europapolitik im Bundeskanzleramt sind aber gleichzeitig auch die Ressourcen verloren gegangen, um bei mittleren und kleinen Mitgliedern der EU um Unterstützung zu werben oder gemeinsame Initiativen zu starten. Der Rückzug des Auswärtigen Amtes aus der Konkurrenz mit dem Kanzleramt in der Europapolitik zeitigt hier negative Konsequenzen, die Abstützung deutscher Europapolitik in den Benelux-Staaten, Italien, Spanien, Portugal oder den Visegrad-Staaten (Polen, Ungarn, Tschechische Republik) wird zunehmend prekärer und muss gestärkt werden – gerade jenseits der Routine der europäischen Gipfeldiplomatie durch die Intensivierung des bilateralen Dialogs und Austausches.

4) TTIP und CETA als Prioritäten offensiv vertreten

Zentrale wirtschafts- und handelspolitische Projekte wie TTIP mit den USA  und CETA mit Kanada sind längst aus dem Zuständigkeitsbereich des Wirtschafts- und Finanzministeriums hinausgewachsen. Ihre Durchsetzung wird nur im Kontext eines gesamtpolitischen Dialogs möglich werden und braucht daher eine breite gesellschaftliche Grundlage. Geheimhaltungsmaximen sind dabei ebenso wenig hilfreich wie Versuche, mögliche Kontroversen durch eingeschränkte Debatten klein halten zu wollen. Investitionsregeln und Streitschlichtungsmechanismen müssen offen diskutiert und gegebenenfalls frühzeitig nachverhandelt werden, wenn diese nicht akzeptabel erscheinen, um das Gesamtprojekt nicht zu gefährden, Europa weltwirtschaftlich und weltpolitisch neu aufzustellen. Die weltweite Konkurrenz um Durchsetzung von Regeln und Normen muss auch von der EU angenommen werden, wenn sich die Gemeinschaft nicht in einer rein passiven Rolle im handelspolitischen Konkurrenzkampf wiederfinden will.

5) Transnationale Antworten  auf grenzüberschreitende soziale Herausforderungen finden

Die Flüchtlingswelle und der Druck von Migration auf die Grenzen Europas sind transnationale Phänomene, die mit einem effektiven Grenzregime nationaler oder europäischer Art zu bewältigen wären. Zwischenstaatliches Handeln, sei es im engeren Bereich der Außenpolitik oder in der allgemeineren Aufgabenstellung der Entwicklungspolitik angesiedelt, kann die damit verbundenen Phänomene zeitlich aufschieben oder regional umleiten. Das Grundproblem aber bleibt unverändert, dass kriegerische Auseinandersetzung wie auch ein massives Wohlstandsgefälle Migrationsbewegungen in Gang setzen. Regionale öffentliche Güter wie Sicherheit oder bessere Lebenschancen lassen sich nur unter Mitwirkung gesellschaftlicher Akteure produzieren, Außenpolitik muss daher auch deutlich jenseits der Regierungszusammenarbeit ansetzen und an gemeinsamen Ordnungsvorstellungen und Weltbildern mit Trägern der gesellschaftlichen Willensbildung im Ausland arbeiten und entsprechende Dialogprozesse annehmen, ohne diese nur an Mittler-und Durchführungsorganisationen oder politischen Stiftung zu delegieren.

6) Eine ressortübergreifende Politik globaler öffentlicher Güter begründen

Ob es sich um Klimaschutz oder Artenschutz, eine neue internationale Finanzordnung, Volksseuchen (Pandemien) oder den internationalen Terrorismus handelt, die Bedrohungen sind zu gross als dass diese weiterhin einem ereignisgetriebenen Zugriff und einer Politik der Schadensbegrenzung überlassen werden dürften. Die Ebola-Krise hat allen Akteuren deutlich gemacht, wie begrenzt Deutschland in solchen Fragen mit seiner reinen Ressortzuständigkeit aufgestellt ist. Deutschland liegt in diesem Bereich deutlich hinter anderen Ländern in der EU deutlich zurück, wenn es darum geht, sich über ein einzelnes Ressort hinausgehend zu positionieren und präventiv tätig zu werden. Zumindest sollte als erster Schritt  eine interministerielle Koordinationsinstanz geschaffen werden, die sich der Vorausschau für solche globalen Herausforderungen annimmt. Den Verbrauch globaler öffentlicher Güter systematisch in den Blick zu nehmen,  kann ebenso wie die Umsetzung der neuen SDGs nicht nur eine Kooperationsaufgabe des Bundesentwicklungsministeriums (BMZ) sein, sondern muss von der gesamten Bundesregierung aufgegriffen werden, wenn Deutschlands Position im internationalen Maßstab verbessert werden soll.

7) Russlands Rolle in der internationalen Politik besser einordnen

Jenseits der sterilen Debatte über „Putin-Versteher“ und Russland-Kritik ist offensichtlich, dass der russische Präsident mit der Krim-Annexion und seinem militärischen Eintreten in den Syrien-Konflikt nicht nur die deutsche Außenpolitik jedes Mal auf dem falsche Fuß erwischt hat. Die Einschätzung des außenpolitischen Verhaltens Russlands ist offensichtlich nicht gelungen, deutsche Außenpolitik muss mit weiteren unliebsamen „Überraschungen“ dieser Art rechnen. Erkennbar passen die bestehenden Instrumente zur Analyse nicht mehr. Neuorientierung tut Not, nicht zuletzt angesichts der Konstellation, dass sich Russland nach dem Abschuss seines Jagdflugzeuges durch die Türkei zunehmend von Feinden umzingelt sieht. Ob das außenpolitische Handeln Moskaus nun einem neo-zaristischen Impuls folgt, Ausdruck eines im Inneren brüchigen Staates ist oder nur vom nationalistischen Adrenalinschub seines Präsidenten vorangetrieben wird, sollte deutsche Außenpolitik bald für sich klären, um größere Bestandssicherheit für ihre eigenen Einschätzungen und Strategien zu gewinnen.

8) Die Transformation von „frozen conflicts“ vorbereiten

Die Nachbarschaft Russlands ist durch die Kontinuität von „eingefrorenen Konflikten“ geprägt, wie Südossetien, Abchasien, Berg-Karabach und Transnistrien. Hinzu tritt in etwa gleichem Status der Donbass in der Ostukraine. Konflikte nach Bedarf „einzufrieren“ oder „aufzutauen“ hat sich als Taktik der russischen Außenpolitik bewährt, die europäischen Partner stehen diesen Volten meist ohne viele Optionen gegenüber. Letztlich optiert der Westen in vielen Fällen dann selbst für ein „Einfrieren“, wenn mögliche Konfliktkonstellationen virulent werden könnten und spielt damit seinerseits dem Kreml wieder in die Karten. Um aus diesem Dilemma herauszukommen, muss deutsche Außenpolitik an Optionen zur Transformation dieser leicht politisch expansiv wirkenden Konflikte arbeiten und sich um ihre Neuordnung bemühen. Die Auseinandersetzungen zwischen ethnischen Gruppen und Machtcliquen können eskalieren und werden eskaliert, so dass Verfahren für eine Neuordnung der Konflikte entwickelt werden müssen, um möglichem strategischen Handeln Russlands entgegenwirken, beziehungsweise es in Überlegungen zu einer europäischen Sicherheitsordnung einbinden zu können.

9) Über geopolitischen Krisen die Strukturveränderungen in den internationalen Beziehungen nicht aus den Augen verlieren

Auch wenn gegenwärtig viele aufstrebende Staaten sich nach dem Abflachen des Rohstoffbooms und innerer Verwerfungen in einer inneren Krise befinden, sollten sie angesichts unmittelbar anstehender Krisenbewältigungen in der deutschen Nachbarschaft nicht aus dem Blickfeld geraten. Hier vollziehen sich grundlegende Neuordnungen, die weitgehend ohne Beteiligung des Westens ablaufen: Die Grundlagen der Zusammenarbeit im Bereich der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit sind neu zu bestimmen, das OECD-Modell ist nicht weiter durchzuhalten und bedarf dringend einer Neuverhandlung mit den aufstrebenden Mächten. In einer Fülle von internationalen Teilordnungen (Drogenpolitik, Klimapolitik, internationale Finanzordnung) wird die Stimme der aufstrebenden Mächte immer deutlicher zu vernehmen sein, bisherige Versuche einer Verstetigung dieser neuen Realität in den internationalen Organisationen oder den G-Formaten sind an der Oberfläche geblieben. Deutschland sollte die Initiative zusammen mit interessierten Regierungen wie Kanada oder Südkorea suchen, um diese tektonischen Verschiebungen aufzunehmen und sie für die eigene Außenpolitik nutzbar zu machen.

10) Fragile Staatlichkeit in der Entwicklungszusammenarbeit betonen

Ein großer Teil des außenpolitischen Problemhaushalts findet seine Grundlage in fragiler Staatlichkeit. Das gilt für den Maghreb (Nordafrika) ebenso wie für den Nahen Osten, für die Flüchtlingsbewegungen wie für den Terrorismus. Mit Militär- und bewaffneten Einsätzen ist dauerhaft dem Zerfall von Staatlichkeit nicht beizukommen, das hat schon der Afghanistan-Einsatz bewiesen. Weder inhaltlich noch methodisch gibt es eine Blaupause, die sich überall anwenden ließe. Gerade die kontextbezogenen Variablen sind zentral, um das vorhandene Instrumentarium zu kombinieren und sinnvolle Strategien zur Stabilisierung zu formulieren, vom Staatsaufbau ganz zu schweigen. Gerade von der Entwicklungszusammenarbeit sind hier stärkere Programmimpulse notwendig, wenn sie ihren eigenen präventiven Anspruch ernst nimmt und den neuen nachhaltigen Entwicklungszielen näher kommen will. Deutschland kann hier zusammen mit Großbritannien und seinen Entwicklungsagenturen eine führende Rolle übernehmen.

ipg-logo KopieMaihold_GuentherProf. Dr. Günther Maihold ist stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf Lateinamerika.

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