von Sepp Spiegl

Die Geschichte vom Bock und dem Garten

Es war einmal ein wunderschöner Garten. In ihm wuchsen zarte Tulpen, saftige Erdbeeren und stolze Sonnenblumen. Die Vögel sangen, die Bienen summten – ein kleines Paradies. Doch eines Tages geschah etwas Merkwürdiges. Der alte Gärtner, der über viele Jahre mit liebevoller Hand Ordnung hielt, ging in den Ruhestand. Die Tiere des Gartens versammelten sich zur Wahl seines Nachfolgers. Es war eine hitzige Debatte. Die kluge Eule schlug den Igel vor – bodenständig, erfahren, mit gutem Geruchssinn für Unkraut. Der Hase machte sich stark für das fleißige Kaninchen. Doch dann trat der Pfau auf die Bühne, warf seinen prächtigen Schweif in die Luft und rief: „Was wir brauchen, ist ein radikaler Neuanfang! Warum nicht den Bock zum Gärtner machen?“

Ein Raunen ging durch die Menge.

„Aber…“, begann die Eule.

„Hört doch auf mit euren alten Regeln!“, rief der Pfau. „Der Bock ist stark! Zielstrebig! Durchsetzungsfähig! Und, Hand aufs Herz, wer hat denn die beste Sicht auf das Ganze, wenn nicht jemand, der selbst schon immer am liebsten im Garten ist?“

Der Bock, der die ganze Zeit gelangweilt an einem Holzzaun nagte, schaute auf, blinzelte – und grinste. Die Wahl fiel auf ihn.

Zunächst schien alles gut. Der Bock schritt mit ernster Miene durch die Beete, ließ sich fotografieren und versprach mehr „grüne Innovation“. Doch kaum war der Tag um, da hörte man es knirschen und schmatzen. Am Morgen war das Salatbeet ein Trümmerfeld. Der Rosmarin war weg, der Lavendel geplättet. „Das ist Transformation!“, rief der Pfau, „Der Garten muss sich neu erfinden!“ Doch die Bienen fanden keinen Nektar mehr. Die Schnecke weinte über ihren zertrampelten Kürbis. Und die kluge Eule seufzte: „Tja, nun haben wir wirklich den Bock zum Gärtner gemacht.“

Seitdem flüstert man es in Gärten, Büros und Konferenzräumen: Wer den Bock zum Gärtner macht, darf sich über abgefressene Beete nicht wundern. Ob im Unternehmen, in der Politik oder im Alltag – wer Verantwortung denen überträgt, die davon nichts verstehen oder sogar Schaden anrichten, erntet Chaos statt Blumen. Die Redewendung lebt weiter – in jedem misstrauischen Blick auf eine Personalentscheidung, in jedem spitzen Kommentar über eine absurde Beförderung. Sie ist eine Warnung – humorvoll, bissig, aber zutiefst menschlich. Denn manchmal, so scheint es, ist der Bock nicht nur im Garten – sondern auch am Schreibtisch, im Ministerium oder am Stammtisch. Und dann bleibt uns nur eins:

Die Augen offenhalten. Und vielleicht, ganz vielleicht, doch lieber den Igel wählen.

Herkunft und historische Entwicklung

Die Redewendung „Den Bock zum Gärtner machen“ beschreibt eine Situation, in der jemand mit einer Aufgabe betraut wird, für die er oder sie besonders ungeeignet ist – oft sogar auf eine Art und Weise, die dem Ziel zuwiderläuft. Der „Bock“, also der Ziegenbock, steht symbolisch für ein Wesen, das eher Schaden im Garten anrichtet, als ihn zu pflegen. Wenn man ihm also die Verantwortung über den Garten überträgt, ist das ein klarer Fehler im Urteil. Die Redewendung stammt aus dem deutschen Sprachraum und ist bereits seit dem 16. Jahrhundert belegt. Der Bock galt damals nicht nur als Symbol für Fruchtbarkeit und Männlichkeit, sondern eben auch als Tier, das im Garten nichts zu suchen hat, da es Pflanzen frisst und Schaden anrichtet. Die Vorstellung, dieses Tier zum Gärtner zu machen, ist absurd – und genau darauf baut der bildhafte Charakter der Redewendung. Ein früher Beleg findet sich im Werk des Humanisten Johannes Agricola (1494–1566), der sinngemäß schrieb: „Er machet den bock zum gärtner und den wolf zum hüter der schafe.“ Die Metapher war also schon damals Teil der politischen und gesellschaftlichen Kritik.

Gebrauch der Redewendung – positiv oder negativ?

Die Redewendung ist fast ausschließlich negativ konnotiert. Sie wird verwendet, um auf Fehlentscheidungen hinzuweisen, insbesondere dann, wenn jemand bewusst oder aus Naivität einer ungeeigneten Person Macht oder Verantwortung überträgt. Ein positiver Gebrauch ist höchstens ironisch möglich – etwa wenn jemand augenzwinkernd sagt: „Naja, jetzt haben wir den Bock zum Gärtner gemacht – mal sehen, was passiert.“ Das impliziert ein gewisses Spiel mit der Erwartung, dass die Entscheidung ungewöhnlich oder riskant war.

Alltäglicher Sprachgebrauch

Im Alltag verwenden Menschen die Redewendung oft in beruflichen oder organisatorischen Kontexten. Zum Beispiel:

  • „Wenn man den faulsten Kollegen zum Projektleiter macht, ist das wie den Bock zum Gärtner zu machen.“

  • „Die Firma hat ausgerechnet den Typen mit der schlechtesten Bilanz befördert – den Bock zum Gärtner gemacht, würde ich sagen.“

Dabei drückt die Redewendung nicht nur Missbilligung aus, sondern oft auch Erstaunen über offensichtliche Fehlentscheidungen.

Beispiele aus dem Ausland

Auch in anderen Sprachen gibt es ähnliche Konzepte, wenn auch nicht wortgleich. Im Englischen gibt es etwa:

  • „Putting the fox in charge of the henhouse“ – also den Fuchs zum Hüter des Hühnerstalls machen.

  • Im Französischen spricht man von „mettre le loup dans la bergerie“ (den Wolf ins Schafgehege lassen).

Diese Redewendungen zeigen, dass das Prinzip universell ist: Wer Verantwortung in die falschen Hände legt, riskiert Schaden.

Gebrauch in Wirtschaft und Politik

In der Wirtschaft wird die Redewendung häufig genutzt, um Management-Fehlentscheidungen zu kommentieren, besonders bei der Ernennung von Führungskräften oder Aufsichtsräten:

  • „Die Bank hat ausgerechnet einen ehemaligen Spekulanten zum Chef der Risikoabteilung gemacht – da hat man den Bock zum Gärtner gemacht.“

In der Politik ist sie ebenso präsent, etwa wenn politische Ämter mit Personen besetzt werden, denen Integrität oder Fachkenntnis fehlt:

  • „Einen Klimawandel-Leugner zum Umweltminister zu machen, ist wie den Bock zum Gärtner zu machen.“

Sie wird hier oft in journalistischen Kommentaren oder politischen Debatten eingesetzt, um Kritik zu formulieren.

Sprachkulturelle Bedeutung

Die Redewendung hat sich fest im deutschen Sprachgebrauch etabliert und wird auch von Menschen verstanden, die nicht unbedingt wissen, woher sie stammt. Ihre bildhafte, fast humorvolle Formulierung macht sie besonders einprägsam – und sie zeigt zugleich, wie stark Tiermetaphern in der deutschen Sprache verwurzelt sind. Wie viele Redewendungen dient auch diese dazu, komplexe Zusammenhänge in einprägsame Bilder zu packen. Sie fördert dabei Sprachbewusstsein und kulturelle Identität, indem sie historische Bilder und gesellschaftliche Erfahrungen miteinander verbindet.

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