Prof. Wolfgang Bergsdorf ist tot. Sein kluger Rat wird fehlen

Von Gisbert Kuhn

Prof. Wolfgang Bergsdorf ©seppspiegl

Wolfgang Bergsdorf ist tot. Richtiger: Professor Doktor Wolfgang Bergsdorf, Politikwissenschaftler, Journalist, Buchautor, Wandervogel, Kunstliebhaber, Ex-Universitätspräsident und hochgeschätzter Mitarbeiter bei rantlos ist im Alter von 82 Jahren nach schwerer Krankheit in Bonn gestorben. Er war der Vorletzte aus dem einst berühmten „Küchenkabinett“ Helmut Kohls – jener legendären „Morgenrunde“, die der Bundeskanzler täglich um sich zu scharen pflegte, um die anstehenden politischen Themen zu besprechen und nach Schwerpunkten zu sortieren. Kohls Sekretärin gehörte dazu, die unlängst verstorbene Juliane Weber, der jeweilige Chef des Kanzleramtes (mithin zeitweise der erst vor wenigen Tagen aus der Welt geschiedene Wolfgang Schäuble), dann auch Horst Teltschik, Kohls wichtigster außenpolitischer Berater, und – nicht zu vergessen – der vom damaligen Bonner Pressekorps nahezu verehrte Pressechef Eduard Ackermann, bekannt nur als „Ackervater“, sowie der jeweilige Regierungssprecher.

Man kann nicht sagen, Bergsdorf sei in diesem Kreis der einzige Intellektuelle gewesen. Aber er war wahrscheinlich derjenige, der auch inmitten des politischen Trubels immer darauf achtete, dass seine darüber hinaus aufgebaute Vernetzung nicht Schaden erlitt – in den kulturellen Bereich, zu Malern, Musikern, Schriftstellern. Er stellte sicher, dass es häufig Gedankenaustausche im Kanzleramt mit Vertretern aus diesem Bereich gab. Und zwar keineswegs nur mit Sympathisanten von CDU/CSU. An solchen Abenden ist es nicht selten laut und kontrovers zugegangen. Freilich zumeist unbemerkt von den Bonner Journalisten, weshalb sich lang in den Medien die Mär vom kulturell unbedarften „Provinzler aus der Pfalz“ hielt. Der Schriftsteller Walter Kempowski erzählte einmal nach einem solchen Treffen, Kohl habe sich außerordentlich über das Erstaunen der Literaten amüsiert, dass er überhaupt lesen und schreiben könne.

Bergsdorfs Werdegang war seit Mitte der 60-er Jahre des vorigen Jahrhunderts fast immer mit der Person Helmut Kohl verknüpft. Ich selbst habe ihn 1965 als ganz junger, von der „Mainzer Allgemeinen“ nach Bonn entsandter Korrespondent kennengelernt. Er (praktisch altersgleich) erledigte damals in der Bundeshauptstadt die Pressearbeit der rheinland-pfälzischen Landesvertretung. Kohl war zu jener Zeit noch (jüngster) CDU-Fraktionschef im Mainzer Landtag, vier Jahre später erklomm er als jüngster Ministerpräsident den Sessel des Regierungschefs. Wolfgang Bergsdorf reizte die Politik, vor allem die Innenpolitik. Und für ihn war Helmut Kohl stets der kommende und schließlich richtige Mann für die Spitze der Bundesregierung. Aber er wollte auch nie das zweite Gleis verlassen – Wissenschaft und Lehre. Er selbst hatte Politologie, Soziologie und Psychologie studiert und wurde 1970 zum Dr. phil. promoviert. Und obwohl ihn Kohl zu Beginn der 70-er Jahre zunächst zum stellvertretenden CDU-Sprecher und 1973 zu seinem Büroleiter im Konrad-Adenauer-Haus berief, ließ ihn das Uni-Leben nicht los. 1982 habilitierte er sich an der Bonner Universität bei einem der in jener Zeit bekanntesten deutschen Historiker und Demokratieforscher, Professor Karl Dietrich Bracher.

Aber Wolfgang Bergsdorf war auch ein begeisterter Sportsfreund. In der Turnhalle des damaligen Amerikanischen Clubs in Bad Godesberg traf sich seinerzeit jeden Mittwoch eine Journalistenschar zum Volleyball; einige der Jüngeren zog es außerdem noch zum Squash. Immer mit dabei: des Oppositionsführers und späteren Kanzlers enger Mitarbeiter. Dass er Freude daran hatte, war ihm anzumerken. Allerdings bekannte Jahre später einmal bei einem Kaffeeplausch, mit den sportlichen Aktivitäten in diesem Kreis durchaus noch die Absicht verbunden zu haben, von dem ja überall rum- und rankommenden Schreiber- und Sendevölkchen Informationen und Neuigkeiten zu erfahren. Selbstverständlich zum Nutzen und zur Freude seines Meisters Kohl. Jedoch auch gleichzeitig für sich selbst. Denn nach der „Wende“ im Herbst 1982, nach dem erfolgreichen Konstruktiven Misstrauensvotum des Pfälzers gegen Helmut Schmidt, wurde Bergsdorf Leiter der Inlandsabteilung des Bundespresseamtes – zweifellos eines der einflussreichsten Posten innerhalb der Regierung. Später wechselte er allerdings – sozusagen zur Pflege seiner „Steckenpferde“ – bis zum Ende der Ära Kohl 1998 als Chef der Abteilung Kultur und Medien ins Bundesinnenministerium.

Für jemanden mit so breit gefächertem Wissen und schier unendlich vielen Interessen kann das Ausscheiden aus der „handelnden“ Politik natürlich nicht einen Rückzug in den bequemen Rentnersessel bedeuten. 2000 übernahm er (bis 2007) von dem Sozialdemokraten Peter Glotz die Leitung der nach Herstellung der deutschen Einheit wieder gegründeten Universität Erfurt. Später trat er an die Spitze der Wissenschaftsvereinigung Görres-Gesellschaft, gehörte dem Herausgeber-Gremium der (leider vom Kölner Erzbistum eingestellten) sehr renommierten liberal-konservativen Wochenzeitung „Rheinischer Merkur“ an und fungierte als Chefredakteur bei dem Periodikum „Politische Meinung“. Ihn als Mitarbeiter für rantlos gewonnen zu haben, hat uns stolz gemacht. Mit Wolfgang Bergsdorf hat Deutschland wieder einen liebenswerten Menschen und einen klugen Kopf verloren.

 

 

 

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