Zweischneidiges Schwert

Verteidigung der Werte und der Märkte: Das chinesische System ist kaum attraktiv, doch der Westen muss auf Augenhöhe konkurrieren und kooperieren.

Die enge wirtschaftliche Verflechtung mit China ist ein zweischneidiges Schwert. © azboomer-pixabay.com

Häufig hört man in den letzten Monaten, die Rückkehr des Kalten Krieges stehe bevor, diesmal mit China. Wie groß ist diese Gefahr? Manches spricht für eine gefährliche Konfrontation, vieles aber ist völlig anders als zu Zeiten der Sowjetunion. Betrachtet man die geopolitischen Aktionen in der indo-pazifischen Region, dann liegt es nahe, sich vor einem neuen Kalten Krieg oder gar vor existenzbedrohenden militärischen Auseinandersetzungen zu fürchten.

Chinas Luftwaffe dringt mit provokativen Flügen in Taiwans Luftraum ein und proklamiert, die Insel in die Volksrepublik integrieren zu wollen. In der südchinesischen See okkupiert die chinesische Marine territorial umstrittene Inseln und baut sie zu Militärbasen aus. Die Militärausgaben steigen rasant und sämtliche Großmächte modernisieren ihre Waffen, einschließlich ihres nuklearen Arsenals. Australien wird von China mit Sanktionen belegt, weil seine Regierung es gewagt hatte, Chinas intransparente Politik zur Klärung des Ursprungs des neuen Corona-Virus zu kritisieren.

Es gibt viele Signale für eine drohende Eskalation und militärisch zeichnet sich ein Antagonismus ab, der dem des Ost-West-Konfliktes ähnelt.

Die USA halten dagegen und verstärken ihre Militärpräsenz in der Region. Großbritannien, Frankreich und sogar Deutschland entsenden Kriegsschiffe, um im Indo-Pazifik Flagge zu zeigen. Die USA, Großbritannien und Australien vereinbaren mit AUKUS eine Militärallianz, die klar gegen China gerichtet ist. Die USA werben in Japan, Südkorea und Indien für eine gemeinsame gegen China gerichtete Politik. Es gibt viele Signale für eine drohende Eskalation und militärisch zeichnet sich ein Antagonismus ab, der dem des Ost-West-Konfliktes ähnelt.

Besonders problematisch ist dabei, dass heute kein funktionierendes Rüstungskontrollforum mehr existiert, in dem sich die feindlichen Gegenüber austauschen könnten. Dies war im Kalten Krieg seit Ende der 1960er Jahre bei den Atomwaffen gegeben und ab1973 auch für die konventionelle Rüstung. Wenn die damaligen Verhandlungen auch schleppend verliefen, mit Tricksereien die eigenen Rüstungsanstrengungen verniedlicht und die des Gegners überzeichnet wurden, so gab es doch zumindest verschiedene Foren bis hin zum sogenannten Roten Telefon, um die Rüstung unter Kontrolle zu bringen und versehentliche Kriege zu verhindern. In den 1990er Jahren gelang es dann ja tatsächlich auch, die Zahl der Atomwaffen und Raketen sowie die konventionellen Rüstungsausgaben deutlich zu reduzieren. Derartige Foren wären heute auch erforderlich, um den ungebremsten Rüstungswettlauf zu Wasser, zu Luft und im Weltraum zu stoppen.

Heute existiert kein funktionierendes Rüstungskontrollforum mehr, in dem sich die feindlichen Gegenüber austauschen könnten.

In zwei zentralen Fragen unterscheidet sich der Ost-West-Konflikt aber von der heutigen Konkurrenz und Konfrontation mit China: bezüglich der ideologischen Auseinandersetzung und bei den wirtschaftlichen Verflechtungen.

Erstens wurde der Kalte Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion und ihren jeweiligen Verbündeten zu Recht immer als Systemkonflikt beschrieben: Kommunismus, Sozialismus und Planwirtschaft versus ein freiheitliches, demokratisches, kapitalistisches Gesellschaftssystem. Diese Auseinandersetzung, die dann durch die Implosion der Sowjetunion entschieden wurde, war über Jahrzehnte ein Konkurrenzkampf, bei dem nicht nur um Klientelstaaten in der damals sogenannten Dritten Welt geworben wurde. Es war tatsächlich auch eine ideologische Auseinandersetzung. Der Sozialismus fand in westlichen Ländern durchaus Widerhall und schien manchen als Alternative zum Kapitalismus attraktiv.

Regierungen wie Intellektuelle betonen auch heute die Notwendigkeit der Verteidigung westlicher Werte wie Demokratie, Freiheit und Menschenrechte gegenüber dem autoritären System der KP Chinas. Aber dieses System, das sehr konsequent in China angewandt wird, stößt lediglich bei Diktatoren auf Interesse. Demonstrationen und Beifallsbekundungen für das chinesische Gesellschaftssystem finden, anders als bei den Lehren Mao Tse Tungs, in westlichen Ländern nicht statt. Das heutige chinesische System hat bestenfalls wegen seiner ökonomischen Durchsetzungsfähigkeit eine gewisse Strahlkraft. Manch einer, der über die Planungszeiträume von Großprojekten bei uns verzweifelt ist, wünscht sich die chinesische Effizienz herbei. Spätestens aber wenn die Kollateralschäden berücksichtigt werden, wie die brutale Umsiedlung ganzer Stadtteile, um eine Schnellbahnstrecke zu bauen, bekommt der Glanz der chinesischen Effizienz erhebliche Kratzer.

Das chinesische System hat bestenfalls wegen seiner ökonomischen Durchsetzungsfähigkeit eine gewisse Strahlkraft.

Zweitens unterscheiden sich auch die ökonomischen Beziehungen zwischen China und den USA, der EU und anderen demokratischen Ländern fundamental von den Verhältnissen zwischen Ost und West während des Kalten Krieges. China ist auf dem Weg zur dominanten wirtschaftlichen Macht auf dem Globus. Das war bei der Sowjetunion nie der Fall. Die Handelsbeziehungen zwischen China und dem Rest der Welt sind heute sehr eng. Die Sowjetunion war dagegen immer nur Energielieferant, wenn auch ein wichtiger. Für die Frage eines möglichen neuen Kalten Krieges ist dies sowohl eine gute wie eine schlechte Nachricht. Die amerikanischen Politikwissenschaftler Robert O. Keohane und Joseph S. Nye hoben schon 1977 in ihrem Werk „Power and Interdependence“ die Bedeutung der Verflechtung für die Machtbeziehungen hervor. Vereinfacht gesagt war ihr Argument, dass ökonomisch eng miteinander verflochtene Länder eher dazu neigen zu kooperieren als Konflikte militärisch auszutragen. Die enge wirtschaftliche Verflechtung mit China aber ist ein zweischneidiges Schwert. Im besten Falle ist die gegenseitige Abhängigkeit eine Versicherung gegen militärische Abenteuer. Aber ökonomisch enge Verflechtung kann auch Abhängigkeit und Verletzlichkeit bedeuten, wie wir gerade durch die Lieferengpässe während der Pandemie schmerzhaft erleben mussten.

Die Sowjetunion wurde von den USA tot gerüstet. Aufgrund seiner wirtschaftlich desolaten Situation war das östliche Bündnis nicht in der Lage, den Rüstungswettlauf weiter zu forcieren. Ein solcher Kollaps ist in China nicht zu erwarten. Im Gegenteil: China baut seine ökonomische Macht weiter aus und kann sich die Steigerung seiner Militäraufwendungen auf absehbare Zeit ohne weiteres leisten.

In den USA initiierte der ehemalige US-Präsident Donald Trump eine scharfe Konfrontation mit China, nicht nur rhetorisch, sondern auch ökonomisch. Er belegte China mit Sanktionen und erhöhte die militärischen Anstrengungen. Sein Nachfolger Joe Biden mag im Stil konzilianter sein, aber auch er orientiert sich an einer konfrontativen Linie gegenüber China. Er betrachtet China nicht mehr nur als ungemütlichen Konkurrenten, sondern als Feind. In der Europäischen Union verfolgt man einen flexibleren, einen „pragmatischen“ Kurs, wie die EU-Kommission sagt. China wird simultan als Kooperationspartner bezeichnet, beispielsweise beim Klimawandel; als Konkurrent, mit dem man die ökonomischen Bedingungen aushandeln muss, beispielsweise bei der Technologieentwicklung; aber auch als systemischer Rivale, der ein anderes Gesellschaftsmodell propagiert, an dem die EU gelegentlich Kritik übt, beispielsweise bei der Beachtung der Menschenrechte.

Wie also mit China umgehen? Eine abgestufte Strategie ist ratsam.

Wie also mit China umgehen? Welche Strategie ist empfehlenswert? Im Westen herrscht darüber Uneinigkeit. Eine abgestufte Strategie westlicher Länder, ähnlich der der EU, allerdings konsequenter durchgeführt, ist ratsam.

Erstens läuft die US-Position auf eine Konfrontation hinaus, deren Verlauf große Gefahren birgt. China rüstet zwar militärisch stark auf. Die USA geben aber zurzeit drei Mal so viel für ihre Streitkräfte aus wie China. Und die NATO ist für fast 60 Prozent der weltweiten Militärausgaben verantwortlich. Etwas weniger Alarmismus hinsichtlich Chinas wäre schon angebracht. Ob die Entsendung europäischer Marineeinheiten sinnvoll ist oder gar China beeindruckt, darf bezweifelt werden. Stattdessen ist die Einrichtung von Rüstungskontroll­foren vorrangig. Zweitens bedeutet eine abgestufte Strategie große Kooperations­bereit­schaft gegenüber China bei globalen Fragen wie dem Klimawandel und der Zusammenarbeit zur Einhegung regionaler Kriege.

Drittens sollte volle Solidarität mit befreundeten und verbündeten Ländern praktiziert werden, die Chinas aggressive Außenpolitik zu spüren bekommen, wie Australien bei der Pandemie oder Norwegen bei der Verteidigung der Menschenrechte. Hier würde man sich von der EU – und auch der Bundesregierung – weniger Hasenfüßigkeit wünschen. Viertens braucht es klare und konsequent angewendete Regeln auf Gegenseitigkeit bei den Wirtschaftsbeziehungen, insbesondere beim Patentschutz, bei Auslandsinvestitionen und bei Exportbeschränkungen. Fünftens hat die Pandemie die Verletzlichkeit der Wirtschaft durch die Abhängigkeit von globalen Lieferketten gezeigt und die eigene Versorgungssicherheit wieder in den Fokus gerückt. Die intensive wirtschaftliche Verflechtung mit China sollte deshalb durchaus auf den Prüfstand gestellt werden.

Herbert Wulf ist Senior Fellow am Bonn International Center for Conversion und Senior Researcher am Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg/Essen. Von 1994 bis 2001 diente er als Direktor des BICC.

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