Pakt der Vernunft

Dieter Weirich

Zehntausende Fluggäste, die ihr geschäftliches oder touristisches Ziel abschreiben müssen, ratlose, vor geschlossenen Kindertagesstätten stehende Eltern, sich bei Sammelstellen und Müllcontainern türmender Abfall, die Warnstreiks in diesen Tagen unterlaufen immer mehr die Grundversorgung in der Republik. Von einer „Rühr-mich-nicht-an“ –Haltung bis zur Forderung nach einer Einschränkung des Streikrechts bewegt sich die Spanne der politischen Diskussion bei der Aufarbeitung dieser unbestreitbar rechtmäßigen Aktionen.

Die Warnstreiks bei der kritischen Infrastruktur, zu der man Bahn-, Flug- und Schiffsverkehr sowie die Energie-und Wasserversorgung zählen darf, sind in ihren Auswirkungen von gewöhnlichen Ausständen kaum noch zu unterscheiden. Dass eine große Masse von Menschen für diese Arbeitskämpfe in Mithaftung genommen und die Grundversorgung im Alltag gefährdet wird, sollte auch den Gewerkschaften nicht gleichgültig sein.

Warnstreiks gelten als „Unterfall der üblichen Arbeitsniederlegung“, eine kurzfristige Aktion der Verweigerung von Arbeit soll Druck auf die Arbeitgeber ausüben, die wiederum eine gesetzliche Regelung zur Vermeidung exzessiver Auswüchse anmahnen. Aus der Politik kommt der durchaus überlegenswerte Vorschlag, Warnstreiks bei der kritischen Infrastruktur sollten nur nach einem vorangegangenen Schlichtungsverfahren und einer Vorankündigung von mindestens vier Tagen möglich sein.

Kämen die Tarifpartner ohne ein neues Gesetz zu einem solchen Pakt der Vernunft, wäre für alle Seiten viel gewonnen. Auch die Gewerkschaften müssten aus Imagegründen ein Interesse daran haben, nicht breite Bevölkerungsschichten gegen sich aufzubringen. Umfragen zufolge bejaht inzwischen sogar eine knappe Mehrheit der Bevölkerung eine Einschränkung des Streikrechts.

Das Thema eignet sich nicht für eine ideologische Schlacht. Natürlich steht das in der Verfassung garantierte Streikrecht nicht zur Disposition, und die Bundesrepublik ist verglichen mit anderen Wirtschaftsnationen bei Streiks zurückhaltend. Die Auswirkungen von Streikwarnungen sollten aber überdacht werden, wenn diese im Ergebnis von normalen Arbeitsniederlegungen nicht mehr zu unterscheiden sind. Sonst stimmt etwas  nicht mehr mit dem Begriff.

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als „liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.

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