Unser veganer Politikstil
Von Günter Müchler
Mit dem Einzug Donald Trumps ins Weiße Haus gewinnt Bismarcks Merksatz von der Politik als Kunst des Möglichen einen neuen Sinn. Gewiss, das Mögliche ist keine mathematische Maßeinheit. Was möglich war und möglich ist, lässt sich immer nur spekulativ beantworten. Worauf man jedoch Gift nehmen kann, ist, dass nur der das Mögliche erreichen wird, der sich seinen Weg nicht von vornherein durch Kleinmut und Berührungsangst verstellt.
Trumps zweite Amtszeit dürfte für alle noch herausfordernder werden als es die erste war. Präsident der Vereinigten Staaten ist ein überführter und verurteilter Straftäter, der vor vier Jahren den Mob losließ, um das Wahlergebnis auf den Kopf zu stellen. Die meisten von denen, die bei Sturm auf das Capitol dabei waren, hat Trump gleich am ersten Amtstag amnestiert. Seine Antrittsrede zeigte nicht einen Hauch von Versöhnungsbereitschaft. Den Vorgänger setzte er bei der feierlichen Zeremonie herab. Dass Jo Biden die skandalöse Ungehörigkeit scheinbar unbewegt ertrug, war eine Leistung, die über manche Fehler und Versäumnisse seiner Ägide den Schleier der Nachsicht zieht. Demokratie hat mit Anstand zu tun. Donald Trump ist strukturell unanständig.
Nein, er ist nicht von Gott errettet worden, wie er seinen vernagelten Gläubigen erzählt. Gott liebt alle Menschen, somit auch die Amerikaner, und wäre nie auf eine so törichte Idee verfallen. Trump ist da, wo er ist, weil eine Mehrheit der Wähler ihn dort haben wollte. Warum, und weshalb es den anderen Amerikanern nicht gelang, dies zu verhindern, ist eine Frage, die man besonders in Europa gründlich erörtern sollte. Die Antwort könnte etwas für den Hausverbrauch abwerfen.
Die meisten Europäer dürften den 20. Januar als Schwarzen Tag erlebt haben, freilich nicht alle. Alice Weidel wäre wohl freudig ins Große Schwarze gehüpft, hätte sie ein Ticket für die Einweihungsfeierlichkeiten ergattert. Wie sie, blicken sämtliche Anführer der europäischen Rechtsparteien blicken erwartungsvoll nach Washington, was überhaupt nicht logisch ist. Denn in ihrer Eigenschaft als selbsternannte Super-Deutsche, Super-Österreicher, Super-Ungarn oder Super-Italiener müsste ihnen eigentlich angst und bange sein bei dem Gedanken, dass da im Weißen Haus ein Super-Egoist sitzt, dessen wirtschaftspolitische Agenda keine Verwandten kennt.
Beglückt über Trumps Rückkehr sind sich auch viele europäische Traditionslinke, wenngleich aus anderen Grünen. Sie wussten schon immer, dass die USA Hort des Kapitalismus, des Kolonialismus und überhaupt der Un-Kultur sind und fühlen sich jetzt bestätigt. Sie sehen in Trump den nützlichen Idioten: Wenn schon der Ober-Amerikaner über die NATO höhnt, weshalb ihm dann nicht mit dem Auszug aus dem verhassten Verein zuvorkommen?
Nur wird eine Narretei nicht dadurch zur Klugheit, dass es der Narren auf der Welt viele gibt, zum Beispiel Elon Musk. Närrisch ist auch Frau Sahra Wagenknecht, wenn sie Donald Trump mit Wladimir Putin auf eine Stufe stellt, weil auch er seine Schwierigkeiten hat mit dem Sinn der „Regelbasiertheit“ in der internationalen Politik. Trump wird Panama-City nicht mit Gleitbomben beschießen und er droht grönländischen Fischern nicht mit dem Einsatz von Atomwaffen. Das Problem mit Trump könnte vielmehr darin bestehen, dass er keine Lust hat, Freunden in der Not beizustehen.
Europas Sicherheit wird noch lange von den USA abhängen. Die Staatsmänner Europas sollten daher weder in Wehleidigkeit erstarren, noch vor Trump katzbuckeln. Sie sollten nüchtern die Chancen für ein auskömmliches Verhältnis sondieren und den egomanischen Machtmenschen im Weißen Haus durch Selbstbewusstsein und geschlossenes Auftreten beeindrucken. Politik als Kunst des Möglichen ist nie mehr gefragt als in der Krise.
Übrigens ist ja nicht alles falsch oder verwerflich, was Trump im Schilde führt. Man muss nicht MAGA („Make America great again“) sein um einzuräumen, dass illegale Migration etwas ist, dass ein auf seine Souveränität bedachter Staat nicht zulassen darf. Keineswegs skandalös ist auch, darauf zu bestehen, dass es nur zwei Geschlechter gibt, Mann und Frau. „Wir werden eine Gesellschaft schmieden, die farbenblind und leistungsorientiert ist“. Den Satz würde man gern im deutschen Wahlkampf hören, und zwar von Politikern des demokratischen Zentrums. In Amerika hat die Biden/Harris-Partei viel zu lange mit der Wokeness konkubiniert. Das war Öl im Feuer ihres Niedergangs.
Natürlich ist Trumps Politikstil en gros unerfreulich. En détail verfügt der Republikaner indessen über eine Eigenschaft, die nach Max Weber der erfolgreiche Politiker braucht: Charisma. Unter deutschen Politikern ist Charisma Mangelware und wird bei der Personalauswahl nicht nachgefragt. Der hierzulande vorherrschende Politikstil ist entschieden vegan: naturbelassen, glanzlos, frei von rhetorischem Ehrgeiz, dafür umso eifriger bemüht um moralische Exzellenz. Der Form entspricht ein tief gestellter Anspruch an Politik, der in Angela Merkels berühmter Redewendung von der „Alternativlosigkeit“ ihrer Ratschlüsse bleibenden Ausdruck gefunden hat. Die Reste der Ampelkoalition setzen das verblümte Festhalten am Status quo um jeden Preis bis zuletzt fort. Wer aber wie der noch amtierende Bundeskanzler Umschichtungen im Haushalt für tabu erklärt, verkennt, was die Hauptaufgabe von Politikern ist: Prioritäten zu setzen und dafür zu kämpfen.
Wen wundert es, dass die Anspruchslosigkeit der Politiker auf die Erwartungen der Bevölkerung abfärbt? Wie soeben eine neue Allensbach-Umfrage nachgewiesen hat, will in unserem Land die ganz große Mehrheit den Regierungswechsel. An einen Politikwechsel glaubt hingegen nur eine Minderheit. Die Kunst des Möglichen setzt eben vor das Gelingen den Glauben an sich selbst. Wovon Donald Trump zu viel hat, haben andere leider zu wenig.
Dr. Günther Müchler ist Journalist, Politik- und Zeitungswissenschaftler, war viele Jahre Korrespondent in Bonn und zum Schluss Programmdirektor beim Deutschlandfunk.
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