Rezension von Dr. Aide Rehbaum

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Sybille Bedford: Treibsand

© Luciana Arrighi

Die Autorin (geboren 1911 als Sybille von Schoenebeck) legte als Alterswerk 2005 ihre Autobiographie vor, die abrupt in den 60er Jahren abbricht. Da sie in früheren Romanen Teile ihres Lebens verwertet hat, fürchtet sie berechtigterweise, die Kenner zu langweilen. Wer nichts Anderes von ihr gelesen hat, kann stellenweise mit dem Text wenig anfangen, denn sie ergeht sich in zusammenfassenden Andeutungen.

Die Kindheit im Schloss mit Kunstsammlung, aber ansonsten verarmt, bringt sie in die intellektuellen und künstlerischen Kreise. Als der Vater gestorben ist, wird sie von der sexuell umtriebigen Mutter bei wechselnden Leuten zwecks Erziehung abgeladen. Weil die sich in halb Europa verteilen, kennt Bedford zwar Hinz und Kunz der Prominenz in den diversen Jahrzehnten, genoss aber nur bruchstückhaft Schulbildung. Sie missbilligt, dass einige ihrer Verwandten mit dem NS-Staat als Diplomaten und Denunzianten im Exilantenmilieu paktierten. Während des Zweiten Weltkriegs lebt Bedford in Kalifornien und Mexiko.

Bedford nennt selbst ihren Stil impressionistisch: Gedankensplitter sind wahllos aneinandergereiht oder in Klammern dazwischengeschoben, als könne sie sich nicht entscheiden, ob etwas wichtig sei. In jedem Kapitel springt sie rein assoziativ durch die Jahrzehnte hin und her, ein roter Faden verheddert sich zu Knäueln. Selbst Anekdoten werden nicht ausformuliert. So lässt sie die Namen von Beteiligten weg, obwohl die längst tot sind, deutet dann aber Skandale an bzw. nennt am Schluss den Buchtitel desjenigen, wodurch der Urheber simpel recherchierbar wird. Es gibt keine Dialoge, Beschreibungen sind aufs Nötigste reduziert. Jeder Schreibratgeber muss hier kapitulieren. Um etwas psychologisch zu durchleuchten, müsste sie Fragen stellen, was ihr unangenehm ist. Sie bleibt die Beobachterin. Besonders bewundert sie Aldous Huxley, mit dem sie befreundet war und der ihr mehrfach half. U.a. organisierte er in der Nazizeit der praktizierenden Lesbe (was sie in dem Buch nur andeutet) mit jüdischen Vorfahren eine Scheinehe mit einem homosexuellen englischen Nachtclubangestellten. Dadurch erlangte sie den britischen Pass und entging der Internierung in Frankreich.

Jeder weiß, dass Erinnerungen unbewusst gefiltert, subjektiv und schlimmstenfalls geschönt sind. Bedford treibt dies auf die Spitze, aber immerhin wissen wir am Ende, was sie in welcher Etappe bevorzugt gegessen hat und wer dafür bezahlte. Am amüsantesten ist ihre klarsichtige Charakterisierung der Haute Culture, die 1933 aus Deutschland ins Exil nach Südfrankreich flüchtet, eine Auslese selbsternannter eitler Dichterfürsten und Wichtigtuer. Mit ehelicher Treue war es in der Clique nicht weit her, auch deren Frauen wechselten oft von einem (Promi-)Bett ins nächste. So entsteht das Bild einer Gesellschaft, in der Freundschaften verraten werden, Faulenzer durch den Tag tingeln, bei denen schnorren, die gerade mal gut verdient oder reich geheiratet haben, sich zeitweise aushalten lassen und sich über den Spießer und dessen Moral erheben.

 

Über Sybille Bedford

Biografie

Sybille Bedford, geboren 1911 in Berlin als Tochter des Barons von Schoenebeck und seiner englischen Gattin, wuchs in Deutschland, England, Italien und Frankreich auf. Als junges Mädchen lebte sie mit ihrer Mutter und deren zweitem Ehemann, einem Italiener, an der Côte d’Azur, dem Zufluchtsort für viele europäische Künstler und Intellektuelle der Zeit. Alle ihre Romane und Reiseerzählungen schöpfen aus ihrem reichen biographischen Hintergrund. Sybille Bedford hat außerdem viele Jahre als Gerichtsreporterin berühmten Prozessen beigewohnt und darüber für Esquire und Life berichtet. Sie starb 2006 in London.

 

Piper Verlag GmbH

€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 06.04.2020
Übersetzt von: Matthias Fienbork
384 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-99133-9

 

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