Weirichs Klare Kante

Dieter Weirich

Sommerfußball ist ein ironischer Begriff für mäßig interessantes Gekicke, wobei die Hitze nicht als Entschuldigungsgrund gelten kann. Finanzminister Christian Lindner sorgt jetzt mit seiner Forderung für Nachverhandlungen im Haushalt 2025 für eine Verlängerung der müden Partie, nachdem sich die führenden „Ampelmänner“ mit vom Kanzleramt vorgeschlagener kreativer Buchhaltung nach über 80 Stunden Verhandlungen auf einen Etat geeinigt hatten.

Lindner scheut nach der Vorlage von Gutachten die verfassungsrechtlichen Risiken der bilanzkosmetischen Operation. Als Umgehung der Schuldenbremse gelten der Plan, übrig gebliebene 4,9 Milliarden Euro der Förderbank KfW für die Gaspreisbremse anderweitig im Haushalt zu nutzen und der ohne eigene Einnahmen agierenden Autobahngesellschaft Darlehen statt Zuschüsse zu zahlen. Möglichkeiten zur weiteren Einsparung sieht der Finanzminister im Sozialhaushalt und bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit.

Seine Botschaften dürften dem Kanzler die Sommerfrische im Urlaub vermiesen, SPD-Generalsekretär Kühnert sieht deswegen ja auch „schlechten Stil“ beim FDP-Chef. Die Grünen schäumen ebenfalls. Die Ampel tut auch im Sommer also das, was sie am besten kann. Sie streitet und zankt.

Neue Umfragen sehen die Regierungsparteien in einem Rekordtief. Zusammen kommen die Bündnispartner auf 30 Prozent, einen Punkt weniger als die oppositionelle Union. Besserung ist nicht in Sicht. Bei den Landtagswahlen im September droht die weitere Marginalisierung. Es wäre also an der Zeit, die in keiner Farbe mehr leuchtende Ampel abzustellen und vorzeitige Neuwahlen auszurufen. Da aber allen Regierungsparteien ein politisches Waterloo droht, findet das Gewürge seine Fortsetzung.

Lindner werden vereinzelt immer noch Ambitionen für einen vorzeitigen Ausstieg nachgesagt. Er kreiert in diesen Tagen eine neue Sportart, den verhinderten Turmsprung. Er wippt auf dem Brett, nimmt die dräuende See in Blick und tritt dann wieder zurück. Die Courage seines historischen Vorbildes, Hans-Dietrich Genscher, der einst den mit dem Risiko des Selbstmords verbundenen Wechsel von Helmut Schmidt zu Helmut Kohl eingeleitet hatte, besitzt Lindner nicht. Er pokert, zum Sprung fehlt ihm der Mut.

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als “liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.

 

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