Outsourcing bis zum Kollaps

Zentrale Aufgaben des Staates dürfen nicht länger privaten Beratungsfirmen überlassen werden.

Heute auch schon vom Consultant besucht worden? © Gerd Altmann auf Pixabay.com

„Ist es normal, dass eine staatliche Behörde wie unser Gesundheitsministerium nicht in der Lage ist, bestimmte Aufgaben zu erfüllen, für die sie zuständig sein sollte?“, fragte ein französischer Senator bei den Anhörungen zur Rolle des Beratungsunternehmens McKinsey bei der Corona-Impfkampagne. Eine Untersuchung des Europäischen Gewerkschaftsverbands für den öffentlichen Dienst (EGÖD) über die zunehmende Auslagerung staatlicher Aufgaben in die Privatwirtschaft kommt als Fazit zu der selben Frage.

Der EGÖD und seine Mitgliedsverbände haben in Zusammenarbeit mit der Universität Greenwich untersucht, in welchem Umfang in zwölf europäischen Ländern und innerhalb der Europäischen Kommission Privatisierungen stattfinden und wie sich dies auswirkt. Dabei wurden alle Privatisierungsvarianten unter die Lupe genommen: öffentlich-private Partnerschaften, Outsourcing, Beratung. Der Untersuchungsbericht macht den wachsenden Einfluss von Beratungsfirmen in der öffentlichen Verwaltung zum ersten Mal in seiner europäischen Dimension sichtbar.

Ein Untersuchungsbericht macht den wachsenden Einfluss von Beratungsfirmen in der öffentlichen Verwaltung in seiner europäischen Dimension sichtbar.

Der Gewerkschaftsverband EGÖD befasst sich seit Langem mit der Kommerzialisierung öffentlicher Dienstleistungen zum Beispiel im Gesundheits- und Sozialwesen, in Kommunal- und Regionalbehörden oder auch in Abschiebezentren für Migrantinnen und Migranten. Diese Kommerzialisierung führt zum Abbau von Arbeitsplätzen und drückt die Löhne nach unten, schwächt die Einflussmöglichkeiten der Gewerkschaften sowie den sozialen Dialog und führt in letzter Konsequenz dazu, dass die Bürgerinnen und Bürger für ihre Steuergelder schlechtere Dienstleistungen bekommen. An die Stelle des Gemeinwohls tritt die Profitgier der Unternehmen. Die Leidtragenden sind die am schlechtesten bezahlten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die schwächsten Bevölkerungsgruppen.

„Nebendienstleistungen“ wie Reinigung, Empfang und Wachschutz lagern viele staatliche Behörden schon lange an Niedriglohn-Firmen aus. Immer häufiger gehen sie aber dazu über, auch für Kernaufgaben des Staates wie die Ausarbeitung von politischen Initiativen und Gesetzesvorhaben, von öffentlichen Aufträgen und Umstrukturierungsplänen für den öffentlichen Sektor teure Beratungsfirmen in Anspruch zu nehmen, die für Personalabbau plädieren und auf diese Weise dafür sorgen, dass noch mehr Beraterinnen und Berater gebraucht werden.

Personalobergrenzen, die vielen Ministerien und den Generaldirektionen der EU-Kommission auferlegt wurden, führen zum Outsourcing.

Von der Beauftragung von Beratungsfirmen wird oft wenig Notiz genommen, weil sie als eine Verlagerung vom öffentlichen zum privaten Sektor wahrgenommen wird, die auch Arbeitsplätze schafft. Die Unternehmen – Accenture, McKinsey, PwC, EY und Deloitte, um nur die bekanntesten zu nennen – bieten weit mehr als nur Beratung und sind dabei, sich zu „para-staatlichen Akteuren“ zu entwickeln, die ihre eigene politische Agenda verfolgen. Das ist Anlass zu Besorgnis, was die Transparenz, die Rechenschaftspflicht und die Kosten für öffentliche Dienstleistungen angeht.

Die Kosten für Organisationsberatung für den öffentlichen Sektor ist in Europa im Zeitraum von 2019 bis 2020 auf 14 Prozent der Gesamtkosten für Beratungsleistungen angewachsen. Die Spanne reicht von 31 Prozent in Griechenland über 22 Prozent in Dänemark und Großbritannien, bis zu 17 Prozent in Spanien und 9 Prozent in Deutschland und Frankreich.

Outsourcing ist keine Frage der Wahl, sondern eine Notwendigkeit. In früheren EGÖD-Berichten wurde der Beschäftigungsrückgang etwa in den Steuer- oder Arbeitsaufsichtsbehörden angeprangert. Die Personalobergrenzen, die vielen Ministerien und den Generaldirektionen der EU-Kommission auferlegt wurden, führen zum Outsourcing an Beratungsfirmen. Diese übernehmen dann die Aufgaben, die die staatlichen Behörden nicht mehr erledigen können.

Die Sparpolitik ist der ideale Nährboden für diese Privatisierung, die dem öffentlichen Sektor wichtige interne Kompetenzen und Kenntnisse entzieht.

Die Sparpolitik ist der ideale Nährboden für diese Privatisierung, die dem öffentlichen Sektor wichtige interne Kompetenzen und Kenntnisse gerade im Bereich der Digitalisierung entzieht. Die dadurch entstehenden „Lücken“ werden sehr viel kostenintensiver mit Consultants – Beratern und Beraterinnen ­– gestopft, die mit „privatwirtschaftlichen“ Methoden arbeiten und weiteren Beratungsbedarf schaffen. Die Ausgaben dafür schlagen sich nicht in den Personalkosten nieder, sodass sich durch die Beauftragung von Consultants etwaige Vorschriften über das Einfrieren oder den Abbau von Personal umgehen lassen.

Ein weiteres Phänomen, dem die „Beratungskultur“ Vorschub leistet, ist die Abwanderung von Beschäftigten aus dem öffentlichen Sektor in die Privatwirtschaft, die anschließend als private Consultants zurückkehren. Oft wird davon ausgegangen, dass diese Consultants Fachwissen mitbringen, aber in Wahrheit wird dem öffentlichen Sektor Fachwissen entzogen und paradoxerweise mehr Bürokratie erzeugt.

Die Re-Internalisierung staatlicher Dienstleistungen ist kein Hirngespinst, sondern Teil der Lösung.

Im Schlussteil des jüngsten EGÖD-Berichts, der auf Befragungen von Vertreterinnen und Vertretern der Mitgliedsgewerkschaften basiert, wird deutlich: Die Re-Internalisierung staatlicher Dienstleistungen ist kein Hirngespinst, sondern Teil der Lösung, wenn es darum geht, die Kontrolle über die öffentlichen Verwaltungen zurückzugewinnen. Durch massives Engagement der Gewerkschaften und anderer Gruppen, die sich für öffentliche Dienste und transparente Institutionen starkmachen, ist es möglich, staatliche Aufgaben wieder zurückzuholen. Beispiele sind die Reinigungsdienste in den Niederlanden und der Bereich der statistischen Dienstleistungen in Schweden. Diese Re-Internalisierung sollte die gesamte Gewerkschaftsbewegung sich zur vordringlichen Aufgabe machen.

Außerdem ist es wichtig, für mehr öffentliche Investitionen zu kämpfen, damit die Staaten (mit mehr Steuerprüferinnen) besser gegen die Steuervermeidung großer Firmen – einschließlich der Beratungsunternehmen – vorgehen und (mit mehr Kontrolleuren) die Aushebelung von Arbeitsrechten wirksamer bekämpfen und die Dienstleistungen für die Bevölkerung verbessern können.

Zudem sollte die Hinzuziehung von Consultants eingeschränkt oder ganz unterbunden werden. Die Europäische Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly warf dem Investmentfonds BlackRock vor, einen Bericht für die EU-Kommission über die Bankenaufsicht besonders kostengünstig erstellt zu haben mit dem mutmaßlichen Ziel, politische Entscheidungen der europäischen Exekutive zu beeinflussen, die mehr als 500 Millionen Menschen betreffen. Solche Beispiele zeigen, dass die Beratungsunternehmen nicht im Interesse des Gemeinwohls, sondern in ihrem eigenen Interesse handeln.

In Österreich hat die Bundesverwaltung beschlossen, den Einsatz von externen Beratern zu reduzieren, nachdem der öffentliche Sektor durch Consultingfirmen im großen Stil umstrukturiert wurde und dadurch in Misskredit geriet. In Frankreich wird nach dem Steuerskandal von McKinseys darüber nachgedacht, die Präsenz der Beratungsfirmen zurückzufahren und sie nicht mehr automatisch in Anspruch zu nehmen.

Wenn öffentliche Dienstleistungen durch den Staat erbracht werden, sorgt dies dafür, dass nicht Profitinteressen, sondern die Interessen der Menschen oberste Priorität haben.

Die Untersuchungsergebnisse zeigen: Wenn der öffentliche Sektor mit angemessenen Mitteln ausgestattet wird und auf die tatsächlichen Bedürfnisse unserer sich wandelnden Gesellschaft eingeht, ist er sehr wohl in der Lage, effektive und qualitativ hochwertige Dienstleistungen zu erbringen – demokratisch kontrolliert durch gewählte Volksvertreterinnen und -vertreter und rechenschaftspflichtig gegenüber Rechnungshöfen und Presse. Wenn öffentliche Dienstleistungen durch den Staat erbracht werden, erleichtert dies echte Tarifverhandlungen mit den Gewerkschaften und sorgt dafür, dass nicht Profitinteressen, sondern die Interessen der Menschen oberste Priorität haben. So sieht die öffentliche Zukunft aus, an der die Gewerkschaften mitwirken sollten.

Es darf nicht zugelassen werden, dass Consultants aus der Privatwirtschaft den öffentlichen Sektor übernehmen, denn dies würde bedeuten, dass staatliche Behörden den Schlüssel der staatlichen Verwaltung an private Beratungsfirmen aushändigen. Das hätte – zumal die Beraterfirmen gegen entsprechende Vergütung für mehrere Auftraggeber arbeiten – verheerende Folgen für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Integrität der staatlichen Behörden, die ihre Entscheidungen im Interesse der Allgemeinheit treffen sollen. Die staatlichen Behörden müssen diese Praxis beenden – sonst finanzieren sie womöglich ihre eigene Zerstörung.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Equal Times.

Aus dem Englischen von Christine Hardung

Nadja Salson ist Referentin bei der European Federation of Public Service Unions (EPSU). Sie arbeitet zu den Themen Steuern, Migrationspolitik, Strafvollzug und Verteidigung.

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