von Dieter Weirich

Dieter Weirich ©seppspiegl

Heute gehen die 630 Abgeordneten des Deutschen Bundestages in die parlamentarische Sommerpause, die bis zum 8.September währt. Ukraine-Krieg, Gaza, Migration und eine verunsichernde US-Zollpolitik, „Außenkanzler“ Merz hat es im Innendienst mit einer ungemütlichen Agenda zu tun. Es wäre keine Überraschung, wenn die Volksvertreter ihre Sommerfrische mal wieder für eine Sondersitzung unterbrechen müssten. Es ist also ratsam, Gewehr bei Fuß zu stehen.

Schwimmen Sie nicht zu weit hinaus“ hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert seinen Kollegen 2015 in der Griechenland-Krise als Ratschlag mit auf den Weg gegeben. Er sollte recht behalten. 50 mal hat es seit 1949 während des Sommers eine Sondersitzung gegeben, 1964 wegen der lächerlichen Erhöhung der Telefongebühren um zwei Pfennige,1961 infolge des schicksalsschweren Baus der Berliner Mauer, der die deutsche Teilung zementierte. 2019 musste das Parlament wegen der Vereidigung der Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer zusammengerufen werden.

Mit der aus den Fugen geratenen Welt der Politik ist auch die Saure-Gurken-Zeit oder das Sommerloch, das die nachrichtenarme Zeit beschrieb, aus dem politischen Wörterbuch verschwunden. Der Begriff erinnerte an Jahre von Not und Teuerung, wo es wenig Lebensmittel gab, die Deutschen klagten über die Gurken, die Briten über die zu kleinen Kartoffeln.

Die chronische Themenarmut nutzten früher vor allem Hinterbänkler zur Produktion von Schlagzeilen. So forderte ein CSU-Abgeordneter jedes Jahr, Mallorca für 50 Milliarden Mark als 17. deutsches Bundesland zu erwerben, eine bayerische ´Landrätin regte die „Ehe auf Zeit“ an, eine Deo-Pflicht am Arbeitsplatz sollte die Betriebsatmosphäre verbessern, außerdem wurden das Ungeheuer von Loch Ness wie der Problembär Bruno zum Thema.

Die erfundenen Meldungen verschwanden mit dem ausklingenden Sommer, inzwischen überschwemmen Fake News das ganze Jahr über die sozialen Medien. Eine gefährliche Entwicklung, nimmt doch nach einer Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung das Interesse an traditionellen Nachrichtenquellen ab. Viele Menschen sind durch die Informationsflut überfordert. Was bleibt,ist die Sehnsucht nach den guten, alten sauren Gurken.

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als „liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.