Geld für die Bildung – Hickhack um Finanzen (2)
Die deutschen Universitäten, der Bund und die Länder
Von Wolfgang Bergsdorf

Und dann kam das Jahr 1989/90. Es brachte Deutschland die Wiedervereinigung, die Zahl der Bundesländer vergrößerte sich auf sechzehn, und die neuen Länder auf dem Gebiet der ehemaligen DDR wurden vor die Notwendigkeit gestellt, ihre Hochschulen an die gesamtdeutsche Struktur anzupassen. Die Zahl der Hochschulen schnellte auf 314 (1993) hoch, darunter nunmehr erstmalig auch 16 private Hochschulen. Mit den Studierenden der neuen Länder stieg die Gesamtzahl auf 1,71 Millionen (1990/91) an.
Die Integration der Hochschulen der neuen Länder in das gesamtdeutsche System wurde nicht nur dadurch erschwert, dass die jeweiligen Strukturen inkompatibel waren, sondern auch dadurch, dass sich die westdeutschen Hochschulen mit den höchsten Zahlen an Studienanfängern und Studierenden insgesamt konfrontiert sahen. Dadurch hatten sie eine dramatische Verschlechterung der Betreuungsrelationen hinzunehmen, also des zahlenmäßigen Verhältnisses von Lehrenden und Studierenden.
Eine unglaubliche Expansion

Heute studieren in Deutschland 2,9 Millionen Personen. Interessant ist, dass davon 1,40 Millionen Studentinnen 1,6 Millionen Männern gegenüber stehen Allerdings ist es bei den Studienanfängern umgekehrt: Dort sind die weiblichen mit 262 000 mittlerweile in der Überzahl im Vergleich zu ihren männlichen Kommilitonen mit 248 000. Diese wenigen Zahlen machen deutlich, welche unglaubliche Expansion das deutsche Hochschulsystem seit Kriegsende erlebt hat. War das Studium in den 1950-er- und 1960-er-Jahren noch einer fünfprozentigen Minderheit vorbehalten, so nimmt nun mehr als die Hälfte eines Jahrgangs ein Studium auf. Diese Entwicklung wird auch weitergehen müssen, wenn wir den Anforderungen der Wissenschaftsgesellschaft im globalisierten Wettbewerb und den Fachkräftemangel aufgrund der demographischen Rechnung tragen wollen.
Die Finanzierung der Hochschulen wird grundsätzlich von den Bundesländern geleistet. 2019 standen dafür 30,5 Milliarden Euro zur Verfügung, wobei die angeschlossenen Kliniken weitere 25 Milliarden Euro größtenteils selbst erwirtschafteten. Von den Gesamtausgaben der Hochschulen wurden vier Milliarden in Grundstücke, Bauten und Großgeräte investiert. Von den Grundmitteln brachten die Bundesländer den Löwenanteil auf, nämlich 24,7 Milliarden Euro. Der Bund legte immerhin noch 5,8 Milliarden Euro dazu. Hinzu kommen Drittmittel. Sie sind eine weitere wichtige Finanzierungsquelle der Hochschulen.
Die so genannten Drittmittel
Während die Grundfinanzierung der Hochschulen aus dem Landeshaushalt erfolgt, können die in der Forschung tätigen Hochschullehrer im Rahmen ihrer dienstlichen Aufgaben Vorhaben durchführen, die nicht aus Haushaltsmitteln, sondern aus den Geldern Dritter finanziert werden, zum Beispiel von Organisationen für Forschungsförderung. Die wichtigste dieser Einrichtungen ist die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Aber auch das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft und die für die Hochschule zuständigen Landesministerien haben Programme aufgelegt, an die sich Forscher mit Projektanträgen wenden können. Die von der DFG zur Verfügung gestellten 3 Milliarden Euro wurden im Wesentlichen vom Bund aufgebracht. 0,5 Milliarden in die Hochschulen, die Wirtschaft stellte 1,4 Milliarden Euro an Drittmitteln bereit.
Zu Beginn der Nachkriegsentwicklung der Hochschulen wurde die Wissenschaft nicht müde mit der Kritik, dass sich der im Vergleich zu den Ländern finanziell potentere Bund nicht an der Finanzierung der Hochschulen beteiligte. Es dauerte immerhin zwei Jahrzehnte, bis der Bund mit den Ländern eine Regelung fand, sich am Aus- und Neubau von Hochschulen einschließlich der Hochschulkliniken zu beteiligen. Diese Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau entfiel in der Föderalismusreform I. Er liegt nun wieder in der alleinigen Verantwortung der Bundesländer. Zur Kompensation erhalten die Länder nach Artikel 143c GG (Grundgesetz) bis 2019 erhebliche Beiträge aus dem Bundeshaushalt.
Der Hochschulpakt
2014 einigten sich Bund und Länder darauf, einen zusätzlichen Gestaltungsspielraum in der gemeinsamen Wissenschaftsförderung zu schaffen. Nach Artikel 91b Absatz 1 GG kann der Bund überregional bedeutsame Projekte mitfinanzieren. So können künftig Hochschulen mit Bundesmitteln auch institutionell gefördert werden. Vorher war dies nur über befristete Programme möglich, wie zum Beispiel den Hochschulpakt 2020 oder die so genannte Exzellenzinitiative. Der Hochschulpakt 2020 – 2027 hat dem Bund erlaubt, 1,4 Millionen Studienplätze mitzufinanzieren. Bund und Länder stellten hierfür jeweils neun Milliarden Euro zur Verfügung.
Diese Exzellenzinitiative zur Förderung von Wissenschaft und Forschung an den deutschen Hochschulen wurde 2005 von Bund und Ländern vereinbart. Im Einzelnen geht es dabei um Graduiertenschulen zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, um Exzellenzcluster zur Förderung der Spitzenforschung und um Zukunftskonzepte zum projektbezogenen Ausbau universitärer Spitzenforschung. 75 Prozent der insgesamt 2,7 Milliarden Euro stellt der Bund zur Verfügung, der Rest kommt vom jeweiligen Standort-Land.
Ein Paradigmenwechsel
Das System der Hochschulfinanzierung in Deutschland durchlebte in den vergangenen Jahren einen Paradigmenwechsel. Die staatliche Detailsteuerung durch die Länder wird zunehmend durch eigenverantwortliches Handeln der Hochschulen ersetzt. Die Reformansätze gelten zunächst den Verteilungsmodalitäten. Haushaltsmittel werden im wachsenden Umfang über leistungsbezogene Parameter ausgewiesen. Dabei kommen Kriterien zur Geltung, wie Zahl der Studierenden in der Regelstudienzeit, Gesamtzahl der Absolventen, Höhe der eingeworbenen Drittmittel, Zahl der abgeschlossenen Promotionen und Habilitationen. Immer stärker wird das Verhältnis von Staat und Hochschule geprägt von Vereinbarungen über Zielvorgaben und genau definierten Leistungsvorgaben. Die Flexibilität der Hochschulen bei der Verwendung der Mittel wird durch Globalhaushalte erhöht.
Ein zusätzlicher Weg, Gelder für die Finanzierung der Hochschulen zu gewinnen, sind Studienbeiträge bzw. Studiengebühren. Es liegt im Ermessen der Länder, sie zu erheben. In den 2000-er-Jahren hatten sich viele Länder für zweckgebundene Studiengebühren entschieden und so für eine deutliche Verbesserung der Betreuungsrelationen gesorgt. Aber diese Maßnahmen zur Entlastung der Hochschulen überstanden alle die jeweils nächste Landtagswahl nicht. Die Länder lieferten sich flächendeckend einen Wettbewerb zur Abschaffung der Studiengebühren. Nur in wenigen Fällen gibt es noch Abgaben von Studenten, die die Regelstudienzeit dramatisch überschritten haben.
Dauerthema „Unterfinanzierung“
Das wichtigste Ergebnis der Erörterung Hochschulfinanzierung der vergangenen Jahrzehnte ist die Erkenntnis, dass sie ein strukturelles Defizit aufweist. Der dramatisch gestiegenen Studiennachfrage ist mit der tatschlichen Bereitstellung von Finanzmitteln nicht beizukommen. Es ist kein Wunder, dass diese Unterfinanzierung ein stehender Tagesordnungspunkt der Hochschulrektorenkonferenz ist. Wo Defizite im Studienangebot entstanden, sind private Hochschulen, oft private Fachhochschulen, eingesprungen. Von ihnen gibt es in Deutschland mittlerweile 119, in denen acht Prozent aller Studierenden eingeschrieben sind. Tatsächlich hat sich in den abgelaufenen zwölf Jahren der Anteil der Studierenden an Privathochschulen um stolze 233 Prozent erhöht.
Neben dem privaten Angebot ist das Engagement des Bundes bei der Hochschulfinanzierung wichtig. In den ersten Jahrzehnten nach dem Kriege war die Summe noch marginal. Mittlerweile ist der Bund ein immer wichtigerer Faktor der Hochschulfinanzierung geworden. Denn die Länder haben zunehmend Schwierigkeiten, die Grundfinanzierung der Hochschulen bedarfsgerecht sicherzustellen. So steigerte der Bund fortlaufend seine Aufwendungen.
Problem: Befristete Verträge
Um der nach wie vor stetig wachsenden Nachfrage nach einem Hochschulplatz entsprechen zu können, schlossen Bund und Länder 2007 den Hochschulpakt. Da der Bund nur befristete Mittel zur Verfügung stellen wollte, hat sich auch die Finanzstruktur der Hochschulen geändert. Programm- und Projektmittel stiegen zulasten der Grundmittel mit der Folge, dass Daueraufgaben der Hochschulen immer stärker mit nur noch befristeten Mitteln bestritten werden mussten. So erklärt sich auch die Vielzahl der nur befristet angestellten Projektmitarbeiter, die gleichwohl für die Lehre in Anspruch genommen werden. Mehr als achtzig Prozent der akademischen Mitarbeiter sind heute befristet beschäftigt; ihre Zahl stieg von 1975 bis heute von 50 000 auf 170 000 Dozenten, Assistenten und Wissenschaftliche Mitarbeiter. Ein riesiges Problem! In der Wirtschaft sind nur sieben Prozent der Mitarbeiter befristet beschäftigt.
Nachdem 2006 im Zuge der sogenannten Föderalismusreform die Mischfinanzierung von Bund und Ländern zunächst reduziert wurde, setzte nun eine politische Debatte über eine erneute Grundgesetzänderung ein, die dem Bund erweiterte Mitfinanzierungsrechte einräumte. Damit entfiel das Kooperationsverbot in der Bildung. Die neue Regelung trat dann am 1. Januar 2015 in Kraft und erlaubt dem Bund nun nicht nur die Forschung, sondern auch die Lehre mitzufinanzieren. Eine solche Kehrwendung hatte die Hochschulrektorenkonferenz schon seit langem gefordert. Sie plädiert für ein Zwei-Säulen-Plus-Modell: Säule 1 will die im Rahmen des Hochschulpaktes an die Hochschulen fließenden Mittel verstetigt und kontinuierlich aufwachsen sehen. Säule 2 soll Programme vorsehen für Hochschulbau, Sanierung, Digitalisierung, Overhead u. a.
Drei Pakte für Wissenschaft und Forschung
Im Sommer 2019 einigten sich Bund und Ländern schließlich auf drei Pakte für Wissenschaft und Forschung, die den deutschen Hochschulen in den kommenden sieben Jahren insgesamt 160 Milliarden Euro an zusätzlichen Mitteln zur Verfügung stellen werden. Im Einzelnen geht es um den Nachfolger des Hochschulpaktes (der nun Zukunftsvertrag „Studium und Lehre stärken“ heißt) und um den Pakt „Forschung und Innovation“ sowie den Qualitätspakt Lehre.
Im Juli 2019 wurde auch über die Exzellenzstrategie entschieden. Und zwar – anders als bei den bisherigen Exzellenzinitiativen – politikfern. Das Verfahren bestand aus zwei Stufen. Zunächst konnten sich Universitäten 2016 für Forschungsverbünde, sogenannte Exzellenz-Cluster, bewerben. Aus 195 Projektskizzen wurden Ende 2018 zunächst 57 ausgewählt. Dafür wurden 385 Millionen Euro bewilligt. Nach der Entscheidung dürfen sich 11 Universitäten und Universitätsverbünde mit dem Titel „Exzellenzuniversität“ schmücken. Mit sechs Exzellenzclustern hat die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn – passend zu ihrem 200. Geburtstag – erwartungsgemäß besonders gut abgeschnitten. Den so gekürten Universitäten stehen 168 Millionen Euro zur Verfügung, pro Exzellenzuniversität also 15 Millionen.
Viel und dennoch wenig
Für Universitäten mit geisteswissenschaftlichen Schwerpunkten ist das eine bedeutende Summe. Für die Technische Universität München hingegen, mit einem Gesamtetat von 1,6 Milliarden Euro, gilt dies natürlich weniger. Mit den zusätzlichen Mitteln spielt die TU München damit in den oberen Rängen von Deutschlands Universitäten. International gilt dies aber nicht. Harvard nahm 2018 zum Beispiel fünf Milliarden Dollar ein. Oder ein anderes Beispiel: Würde der RWTH Aachen, auch diesmal wieder eine Exzellenzuniversität, die gesamte Jahresaufwendung der Exzellenzstrategie zur Verfügung gestellt, gliche ihr Etat dann trotzdem nur etwa dem der ETH Zürich, die indessen weniger als die Hälfte der Studenten zu bewältigen hat…
Es bedarf keiner prophetischen Gabe zur Voraussage, dass sich das Engagement des Bundes bei den verfassungsmäßig von den Ländern zu finanzierenden Hochschulen auch in Zukunft verstärken wird. Ja, verstärken muss! Im Jahr 2000 hatte der Bund 11 Prozent der Hochschulkosten übernommen, 2012 waren es schon 16 Prozent, 2017 wurde die 19-Prozent-Marke erreicht. Mit den finanziellen Vereinbarungen des Sommers 2019 werden es deutlich über 20 Prozent sein. Diese Entwicklung basiert nicht auf einer systematischen Kappung der Ländergrundmittel, auch wenn dies immer wieder einmal geschah, sondern auf der schnelleren Ausgabensteigerung des Bundes. Damit ist das verfassungsrechtliche Dilemma nicht gelöst, dass auch die neuen Pakte überschattet: Der Bund übernimmt immer mehr Posten, ohne für die Hochschulen zuständig zu sein.
Bei Ausländern beliebt
Mit den drei Hochschulpakten und der Exzellenzstrategie hat der Bund 2019 nachhaltig in die Struktur der Hochschulfinanzierung eingegriffen. Damit wurden die Spitzen der Hochschulen gefördert und ihre Breite gestärkt. Die systemische Unterfinanzierung kann allerdings so nicht kompensiert werden. Dazu wäre es notwendig, die Grundausstattungen der Hochschulen der steigenden Nachfrage nach Studienplätzen anzupassen. Denn das fällt in die Zuständigkeiten der Länder. Solange sie freilich auf dieser Zuständigkeit beharren und dem Bund keine Ko-finanzierungsmöglichkeiten einräumen, wird es bei der systemischen Unterfinanzierung bleiben.
Trotz dieses Defizits erfreuen sich die deutschen Hochschulen bei ausländischen Studierenden einer besonderen Nachfrage. Einer Untersuchung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) und Hannoveraner Hochschulforscher ergab, dass Deutschland 2016 Frankreich als das weltweit beliebteste nichtenglischsprachige Gastland für Studierende abgelöst hat. Nur an den Hochschulen der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Australiens sind mehr Ausländer immatrikuliert als hierzulande. Insgesamt haben 250 000 Studierende ihre Studienberechtigung im Ausland erworben. Mittlerweile sind es vor allen die Fachhochschulen, die von ausländischen Studenten stark nachgefragt sind. Die Chinesen liegen mit 13 Prozent der ausländischen Studenten in Deutschland vorn, gefolgt von Russen und Indern mit jeweils 5 Prozent, von Österreichern mit 4 und Franzosen mit 3 Prozent. Damit ist freilich erst rund ein Drittel der ausländischen Studenten erfasst, die anderen 70 Prozent kommen aus „aller Herren Länder“.
Hohe Qualität der Ausbildung
Als Gründe für ihre Entscheidung zugunsten Deutschlands wurden von den Studierenden vor allem genannt: Die Erwartung guter Berufschancen, die hohe Qualität der Ausbildung und der gute Ruf der deutschen Hochschulen. Die Quote ausländischer Studenten an den deutschen Hochschulen beträgt 9 Prozent, in Großbritannien sind es allerdings doppelt so viele und in Neuseeland 20 Prozent.
Die internationale Attraktivität – messbar an der Quote der ausländischen Forscher und Studenten – ist ein wichtiger Maßstab für den weltweiten Ruf des deutschen Hochschulsystems. Seine Anziehungskraft auf ausländische Forscher und Studenten ist deshalb zurecht auch Parameter, das in den Leistungsvereinbarungen zwischen den Landesregierungen und ihren Hochschulen eine wichtige Rolle spiet. Die Studiengebührenfreiheit, die Bologna-Reform, englischsprachige Studiengänge und das internationale Renommee der deutschen Forschung haben zu diesem Erfolg beigetragen. Dass er trotz der systemischen Unterfinanzierung der Hochschule erreicht wurde, grenzt dennoch an ein Wunder, das dem persönlichen Engagement von Studierenden, Lehrenden und Forschenden zu verdanken ist.
Ende
Prof. Dr. Wolfgang Bergsdorf (Jg. 1941) ist Politikwissenschaftler mit profunden Kenntnissen vom wirklichen Politikgeschehen. Er war Büroleiter des damaligen CDU-Chefs Helmut Kohl, später nacheinander Leiter der Inlandsabteilung des Bundespresseamts und der Kultur-Abteilung im Bundesinnenministerium. Von 2000 bis 2007 war Bergsdorf Präsident der Universität Erfurt.
Teil 1: https://www.rantlos.de/feingeist/kultur_und_unterhaltung/geld-fuer-die-bildung-hickhack-um-finanzen-1.html
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