Deutsche Redewendung „Es ist im Eimer“

von Sepp Spiegl
Wenn man heute jemanden sagen hört: „Das ist im Eimer“, klingt es harmlos, fast schon freundlich. Eine kleine Alltagspause – ein Stoßseufzer über ein kaputtes Handy, einen geplatzten Plan oder einen Unfall mit dem Lieblingsglas. Doch die Redewendung hat eine erstaunlich lange Reise hinter sich, und sie beginnt in einer Zeit, in der ein Eimer weit mehr war als das Plastikgefäß im Abstellraum.
Stell dir das Mittelalter vor: enge Gassen, Handwerker, die vor ihren Werkstätten arbeiten, und überall hölzerne oder tönerne Eimer. Für Wasser, für Abfälle, für den Wein – ja, sogar für das, was wir heute lieber gar nicht erst erwähnen wollen. Ein Eimer war im Grunde das Allzweckgefäß des Alltags. Und gerade deshalb war er ein guter Ort, um alles hineinzuschütten, was nicht mehr gebraucht wurde. Landete etwas dort, war es endgültig verloren. Unbrauchbar. Im Eimer.
Vielleicht begann die Redewendung ja tatsächlich genau so: Ein zerbrochener Krug? Ab damit in den Abfalleimer. Ein verdorbenes Stück Fleisch? In den Eimer. Ein kaputtes Werkzeug? Ebenfalls. Der Eimer wurde zum Endpunkt der Dinge, die keine Zukunft mehr hatten. Andere sagen, die Geschichte sei eine etwas andere, und dass der Ausdruck aus dem Töpferhandwerk stamme. Die Keramiker sprachen früher von „Heimern“ – Gefäßen, die, wenn sie bei der Herstellung Risse bekamen, schlicht nicht mehr zu gebrauchen waren. „Der Heimer ist kaputt“, könnten sie gesagt haben – und früher oder später wurde daraus „im Eimer“. Wieder das gleiche Bild: Was im Eimer landet, ist verloren. Wie auch immer es wirklich gewesen ist, der Ausdruck hat die Jahrhunderte überlebt. Und unterwegs hat er sich verändert. Im Laufe der Zeit wanderte der Eimer aus den Küchen, Werkstätten und Hinterhöfen in die Sprache der Menschen – und mit ihm das Gefühl, dass etwas endgültig kaputt, erledigt oder schlicht ruiniert ist.
Heute begegnet einem „Es ist im Eimer“ überall.
Morgens in der Küche, wenn die Kaffeetasse in tausend Teile springt.
Im Büro, wenn der Drucker seinen Geist aufgibt und die Präsentation in wenigen Minuten gehalten werden soll.
In Gesprächen unter Freunden, wenn jemand völlig erschöpft nach Hause kommt: „Ich bin heute total im Eimer.“
Gebrauch im heutigen Leben
Im Alltag
Alltagsnah, informell und oft humorvoll:
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defekte Gegenstände
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misslungene Pläne
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körperliche Erschöpfung („Ich bin total im Eimer.“)
Im Beruf
Auch im Berufsleben findet die Redewendung Anwendung, meist im lockeren Ton:
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„Das Projekt ist ohne Budget im Eimer.“
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„Der Server ist im Eimer.“
In offiziellen Dokumenten wird sie allerdings selten verwendet – dafür ist sie zu salopp.
In der Politik
In Kommentaren, Debatten oder Medienanalysen taucht der Ausdruck auf:
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„Der Koalitionsfrieden ist im Eimer.“
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„Nach dem Interview war das Image des Ministers im Eimer.“
Politiker selbst nutzen die Redewendung eher selten, aber Journalisten und Kabarettisten umso häufiger.
In der Wirtschaft
In Analysen oder Business-Slang hört man:
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„Die Bilanz ist im Eimer.“
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„Wenn die Lieferkette wieder streikt, ist unser Zeitplan im Eimer.“
Es wirkt bewusst umgangssprachlich, um Sachverhalte drastisch auszudrücken.
Interessant ist, dass besonders junge Leute den Satz zwar verstehen, ihn aber nicht so häufig benutzen. Ihnen klingt er ein bisschen altmodisch, ein wenig nach Elterngeneration. Stattdessen sagen sie „RIP“, „Destroyed“ oder einfach „tot“. Aber hin und wieder taucht ein „im Eimer“ auch in ihrer Sprache auf – oft ironisch, so wie man bewusst ein altes Wort wieder aus dem Regal holt.
Und wenn man über Ländergrenzen blickt, merkt man schnell: Dieses Bild vom Eimer ist eine deutsche Besonderheit.
Englisch
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„It’s broken.“
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„It’s done for.“
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„It’s screwed.“ (umgangssprachlich)
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„It’s gone down the drain.“ (bildlich ähnlich wie „im Eimer“)
Französisch
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„C’est fichu.“ (Es ist futsch.)
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„C’est foutu.“ (Es ist am Arsch.)
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„Ça ne vaut plus rien.“ (Es ist nichts mehr wert.)
Spanisch
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„Está hecho polvo.“ (Es ist kaputt/zerstört.)
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„Se fue al traste.“ (Es ging zum Teufel.)
Italienisch
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„È finito.“ (Es ist vorbei.)
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„È andato in malora.“ (Es ging zugrunde.)
Niederländisch
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„Het is kapot.“ (Es ist kaputt.)
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„Het is naar de knoppen.“ (Es ist zum Teufel.)
Doch der Eimer, dieser alltägliche Begleiter der Menschen durch viele Jahrhunderte, hat es nur in der deutschen Sprache geschafft, zum Synonym für alles Kaputte zu werden.
So ist die Redewendung geblieben – schlicht, bodenständig, aber erstaunlich ausdrucksstark. Vielleicht auch deshalb, weil jeder weiß, wie es sich anfühlt, wenn etwas wirklich „im Eimer“ ist. Und vielleicht, weil sie uns daran erinnert, dass Sprache manchmal aus den einfachsten Dingen entsteht. Aus einem Gegenstand, der über Jahrhunderte das Leben prägte, bis er schließlich selbst zum Sinnbild wurde – für das Ende, den Schaden, den irreparablen Moment.
Und obwohl sich die Welt seit dem Mittelalter drastisch verändert hat, bleibt eines gleich: Wenn etwas „im Eimer“ ist, wissen alle sofort, was gemeint ist. Manche Redewendungen überdauern eben alles – sogar den Eimer selbst. „Es ist im Eimer“ ist ein schönes Beispiel dafür, wie Alltagsgegenstände zum Sinnbild für Verlust und Zerstörung werden. Ob aus dem Abfalleimer oder aus der mittelalterlichen Hauswirtschaft entstanden – der Ausdruck hat Jahrhunderte überdauert und bleibt ein fester Bestandteil der deutschen Sprache. Obwohl er in der Jugendsprache langsam verblasst, ist er im Alltag, in Medien, Politik und Beruf weiterhin lebendig – und zeigt, wie farbig und bildhaft deutsche Umgangssprache sein kann.



