Das Nationale Etruskische Museum in Rom
von Sepp Spiegl
Das Nationale Etruskische Museum von Rom (Museo Nazionale Etrusco), untergebracht in der prachtvollen Villa Giulia, ist eine der bedeutendsten Institutionen der Welt für die Erforschung und Präsentation der etruskischen Zivilisation. Es widmet sich der Kunst, Kultur und Geschichte der Etrusker, die als eine der einflussreichsten Kulturen Italiens vor der römischen Herrschaft gelten.
Die Villa Giulia – Ein architektonisches Juwel
Die Villa Giulia befindet sich in einem Bereich Roms, der als Vigna Vecchia bekannt ist und früher an die Stadtmauern angrenzte, einem Gebiet, das auf dem Abhang des Monte Parioli zum Tiber hin in der Nähe der Villa Borghese liegt. Die heutige Villa ist nur ein kleiner Teil des früheren Besitzes, der sich schließlich aus drei Gebäudekomplexen zusammensetzte. Das Museum befindet sich in der Villa Giulia, einem beeindruckenden Renaissancegebäude aus dem 16. Jahrhundert, das für Papst Julius III. errichtet wurde. Wie alle Landhäuser hatte auch die Villa Giulia einen Zugang zur Stadt hin (an der Römerstraße Via Flaminia) und einen Garten hinter dem Haus. Die Villa selbst lag an der Schwelle der städtischen und der ländlichen Welt, eine im Wesentlichen römische Konzeption, die später in Westeuropa allgemein üblich wurde. Das Casino (kleines Haus) wurde nach Plänen von Giacomo Barozzi da Vignola zwischen 1551 und 1553 gebaut. Auch Bartolomeo Ammanati, Giorgio Vasari und Michelangelo arbeiteten hier. Der Papst investierte große Geldsummen in die Ausstattung der Villa, die eines der besten Beispiele manieristischer Architektur ist.
Auf der Rückseite des Gebäudes befindet sich Ammanatis große halbkreisförmige Loggia, von der aus man den ersten von drei Höfen überblickt und Zugang zum Garten und zum zentralen Innenhof hat. Dort führen zwei Marmortreppen in das Herz der Anlage, ein Nymphäum. Hier konnten im Sommer die Mahlzeiten draußen eingenommen werden. Die Struktur der gedeckten Loggien auf drei Ebenen, mit Marmorstatuen und Balustraden dekoriert, erstreckt sich um einen zentralen Brunnen. In dessen kühler und schattiger Umgebung konnte man sich, geschützt vor der Sommerhitze, den Tag über aufhalten konnte. Dieser zentrale Brunnen, die Fontana dell’Acqua Vergine, ist ein Kunstwerk für sich, geplant und ausgeführt von Vasari und Ammanati, und zeigt Flussgötter und Karyatiden. Aus der gleichen Wasserquelle, die diesen Brunnen speist, wird auch der Trevi-Brunnen in Rom bedient.
Das Casino della Vigna (kleines Haus im Weingarten), wie es früher bezeichnet wurde, und seine Gärten wurden mitten in die Weinberge gesetzt. Die Teilnehmer an den päpstlichen Feierlichkeiten konnten sich an den Toren des Vatikans einschiffen, sie wurden dann den Tiber hinauf bis zur privaten Anlegestelle der Villa transportiert. Spaziergänge im Garten und Mahlzeiten im Nymphäum schlossen sich an. Das Hauptgebäude der Villa Giulia wurde 1553 fertiggestellt. Papst Julius III. zog sich am Ende seiner Amtszeit oft in das von ihm errichtete Anwesen zurück und pflegte dort einen luxuriösen Lebensstil. Nach seinem Tod 1555 beschlagnahmte sein Nachfolger Paul IV. den gesamten Besitz. Die Villa wurde aufgeteilt, das Hauptgebäude und Teile des Gartens wurden Eigentum der Camera Apostolica. Ein anderer Teil der Anlage wurde den Neffen des Papstes aus der Familie Borromeo überlassen. 1869 erfolgte eine Restaurierung auf Initiative des Papstes Pius IX. 1870 fiel der Besitz bei der Auflösung des Kirchenstaates an das Königreich Italien.
Die Sammlung
Die Sammlung des Nationalen Etruskischen Museums ist außergewöhnlich umfangreich und bietet einen tiefen Einblick in die Welt der Etrusker. Sie umfasst Artefakte aus dem 9. bis zum 1. Jahrhundert v. Chr. und zeichnet die Entwicklung dieser faszinierenden Kultur nach. Die Exponate stammen aus bedeutenden etruskischen Siedlungen wie Veji, Tarquinia, Cerveteri und Vulci.
Hauptbestandteile der Sammlung:
- Keramik und Vasen: Herausragend ist die Sammlung griechisch beeinflusster Vasenmalerei, die den Austausch zwischen den Etruskern und anderen Kulturen des Mittelmeerraums zeigt.
- Bronzeobjekte: Waffen, Statuetten und Schmuck, die die handwerkliche Meisterschaft der Etrusker unter Beweis stellen.
- Grabfunde: Zahlreiche Objekte aus etruskischen Gräbern, darunter Urnen, Sarkophage und Grabbeigaben, die einen Einblick in die Begräbnisriten und den Glauben an das Jenseits geben.
- Architekturfragmente: Überreste von Tempeln und Gebäuden, die die religiöse und architektonische Bedeutung der Etrusker dokumentieren.
Höhepunkte der Ausstellung
- Der Sarkophag der Eheleute (Sarcophagus of the Spouses): Dieses ikonische Stück zeigt ein Paar in liebevoller Umarmung auf einem Totenbett. Es stammt aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. und gilt als Meisterwerk der etruskischen Kunst. Es unterstreicht den besonderen Stellenwert der Frau in der etruskischen Gesellschaft, eine Seltenheit in der Antike.
- Apollo von Veji: Diese Terrakotta-Statue aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. zeigt den Gott Apollo in dynamischer Bewegung. Sie stammt aus dem Heiligtum von Portonaccio in Veji und gilt als eines der besten Beispiele für etruskische Tempelkunst.
- Goldschmuck von Cerveteri: Prächtig verzierter Goldschmuck, der die hochentwickelte Metallverarbeitung der Etrusker verdeutlicht. Besonders hervorzuheben ist eine goldene Brosche, die Szenen aus der Mythologie darstellt.
- Leber von Piacenza: Ein bronzenes Modell einer Leber, das für die Wahrsagung verwendet wurde. Dieses Artefakt bietet einen faszinierenden Einblick in die religiösen Praktiken und die Rolle der Priester.
Besonderheiten und wissenschaftliche Bedeutung
Das Museum ist nicht nur ein Ausstellungsort, sondern auch ein Zentrum für die Forschung zur etruskischen Kultur. Es bietet regelmäßige Sonderausstellungen, Konferenzen und Bildungsprogramme, die sich an ein breites Publikum richten.
Einzigartige Merkmale:
- Interaktive Präsentationen: Moderne Technologien werden genutzt, um die Welt der Etrusker lebendig werden zu lassen.
- Archäologischer Park: Der Garten der Villa Giulia wird oft für temporäre Ausstellungen und Events genutzt.
- Bibliothek und Archive: Forschern steht eine umfassende Sammlung von Fachliteratur zur Verfügung.
Umfang und Bestand der Sammlung
Die Sammlung des Museums wird in mehreren großen Themenbereichen präsentiert:
- Artefakte aus etruskischen Siedlungen
- Die etruskische Kultur war in verschiedenen Städten Mittelitaliens stark verwurzelt, darunter Veji, Tarquinia, Cerveteri und Vulci. Viele Exponate stammen aus diesen bedeutenden Stadtstaaten und spiegeln die Vielfalt ihrer Kunst und Architektur wider.
- Beispiele: Architekturfragmente, Altäre, Fresken und Werkzeuge.
- Begräbniskultur und Grabbeigaben
- Eines der zentralen Themen der Ausstellung ist die Begräbniskultur der Etrusker. Grabbeigaben aus reich dekorierten Grabanlagen wie den Nekropolen von Tarquinia und Cerveteri bilden einen Großteil der Sammlung. Diese Objekte bieten einen Einblick in die Vorstellungen der Etrusker von Tod und Jenseits.
- Beispiele: Sarkophage, Urnen, Schmuck, Waffen und Alltagsgegenstände.
- Kunsthandwerk und Alltagsgegenstände
- Die Sammlung umfasst zahlreiche Alltagsgegenstände, die zeigen, wie die Etrusker lebten, arbeiteten und handelten. Darunter befinden sich Töpferwaren, Textilien und Metallarbeiten, die die Handwerkskunst und den künstlerischen Geschmack dieser Zivilisation demonstrieren.
- Bronze- und Goldarbeiten
- Besonders beeindruckend ist die große Anzahl von Objekten aus Edelmetallen und Bronze, darunter filigran gearbeiteter Schmuck, religiöse Gegenstände und Statuetten. Die Fertigungstechnik der Etrusker war ihrer Zeit voraus und wurde später von den Römern übernommen.
- Beispiele: Goldbroschen, Amulette, Kultgefäße und Weihgaben.
- Keramik- und Terrakotta-Werke
- Die etruskische Keramik, insbesondere Bucchero-Ware, eine glänzend schwarze, fein gearbeitete Töpferware, ist ein Highlight der Sammlung. Darüber hinaus sind zahlreiche Terrakotta-Statuen und -Reliefs zu sehen, die oft Tempel oder Grabanlagen schmückten.
- Wissenschaftliche Instrumente und religiöse Objekte
- Die Sammlung umfasst auch seltene Objekte wie die Leber von Piacenza, ein Bronzemodell, das die Praxis der Etrusker dokumentiert, die Zukunft durch die Untersuchung von Tierlebern vorherzusagen.
Herkunft der Sammlung
Die Objekte stammen aus verschiedenen Quellen:
- Archäologische Ausgrabungen: Viele der Artefakte wurden bei systematischen Ausgrabungen in wichtigen etruskischen Städten und Nekropolen entdeckt.
- Private Sammlungen: Teile der Sammlung wurden aus bedeutenden Privatsammlungen übernommen, insbesondere aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, als die Erforschung der Etrusker einen Boom erlebte.
- Ankäufe und Schenkungen: Das Museum hat zahlreiche Stücke erworben oder als Schenkungen erhalten, oft von Sammlern oder Stiftungen.
Ausstellungsfläche und Präsentation
Das Museum verteilt seine Exponate über mehrere Dutzend Räume, die nach Themen und Regionen geordnet sind. Zusätzlich gibt es Sonderausstellungen, die neue Funde oder spezifische Aspekte der etruskischen Kultur beleuchten. Schätzungen zufolge umfasst die gesamte Sammlung mehr als 10.000 Einzelstücke, von denen jedoch nicht alle gleichzeitig ausgestellt werden. Der Rest befindet sich in Depots oder wird für Forschungsprojekte genutzt. Besonders bedeutende Objekte, wie der Sarkophag der Eheleute und die Apollo-Statue, haben ihre eigenen, prominent platzierten Räume. Mit seiner umfassenden Sammlung zählt das Museum zu den weltweit führenden Institutionen für die Erforschung der Etrusker. Es ergänzt die Ausstellungen in anderen renommierten Institutionen, etwa im Archäologischen Nationalmuseum von Florenz und im Vulkanologischen Museum von Tarquinia, die ebenfalls bedeutende etruskische Sammlungen präsentieren. Das Nationale Etruskische Museum unterscheidet sich durch die Breite und Tiefe seiner Sammlung, die fast alle Aspekte des etruskischen Lebens und seiner künstlerischen Produktion abdeckt. Es bietet Besuchern und Forschern eine einzigartige Möglichkeit, diese antike Kultur in ihrer gesamten Komplexität zu erleben.
Bedeutung für die Kulturgeschichte
Das Nationale Etruskische Museum ist ein unverzichtbarer Ort für alle, die sich für die antike Geschichte Italiens interessieren. Es zeigt, wie die Etrusker nicht nur eine Brücke zwischen den Kulturen des Mittelmeerraums, sondern auch eine prägende Kraft für die römische Zivilisation waren. Die fortschrittlichen Kunstfertigkeiten, die religiösen Vorstellungen und die gesellschaftlichen Strukturen der Etrusker hatten einen nachhaltigen Einfluss, der bis heute spürbar ist.
Praktische Informationen
- Adresse: Piazza di Villa Giulia, 9, 00196 Rom, Italien
- Öffnungszeiten: In der Regel dienstags bis sonntags, von 9:00 bis 20:00 Uhr (Änderungen möglich).
- Eintritt: Tickets sind online und vor Ort erhältlich; ermäßigte Preise für Studenten und Senioren.
Ein Besuch des Nationalen Etruskischen Museums ist eine Reise in die Vergangenheit, die die kulturelle Vielfalt und die faszinierende Geschichte des antiken Italiens lebendig werden lässt.
Schreibe einen Kommentar