Franzobel: Das Floß der Medusa

FRANZOBEL © Dirk Skiba / Paul Zsolnay Verlag

Der Roman dreht sich um eine wahre Begebenheit: Den Untergang eines Schiffes 1816, das eine buntgewürfelte Gesellschaft in den Senegal bringen soll und vor der Küste Afrikas strandet. Wer schon mal im Louvre war, erinnert sich vielleicht an das großformatige Bild von Theodore Géricault Le Radeau de la Méduse (gemalt 1819). Möglich, dass den Autor die Nachrichten von den Flüchtlingsbooten im Mittelmeer inspiriert haben. Mir scheint ein zeitloseres Thema den Stoff zu dominieren. Sämtliche Passagiere haben ein Bild dieser sogenannten „Wilden“ im Kopf, je nach Bildungsniveau und Ziel in Afrika, aber die Ausnahmesituation entlarvt, dass der sogenannte zivilisatorische Firnis, den man exportieren will und durch den man sich so überlegen fühlt, sehr dünn ist und ethisch erzogene Mensch jegliche Moral verliert.

Es mag irritieren, dass der Autor häufig Vergleiche mit heutigen Zeitgenossen benutzt, um Typen prägnant zu beschreiben. Das mindert vermutlich den Genuss zukünftiger Generationen, denen die Schauspieler und Co. kaum noch bekannt sein werden, verhilft aber jetzt auch etwas zur Distanz vom Grauen.

Kernkonflikt ist die zu kleine Zahl von Rettungsbooten. Sechs Boote für 400 Menschen. Der unfähige und karrieregeile Kapitän, der den Posten nur durch Protektion bekam, lässt einen Teil der Passagiere schlafen, als es ans Ausbooten geht. Für 150 Mann wird ein Floß gebaut. Es ist geplant, im Konvoi Saint-Louis zu erreichen, indem die Boote aneinandergebunden werden. Als aber die Besatzungen der Boote merken, dass sie das Floß nicht von der Stelle bewegen können, kappen sie das Seil und überlassen die Menschen ihrem Schicksal. Die auf den Booten hoffen, dass kein Ankläger mehr vorhanden sein wird. Vierzehn Tage dauert das Martyrium auf dem Meer. Einigen gelingt die Landung, nur um in die Hände von Wegelagerern zu fallen.

Der Arzt Savigny, einer von zehn auf dem Floß Überlebenden, verfasst einen Bericht über seine Beobachtungen menschlichen Verhaltens, aber weder Regierung noch Leidensgenossen, noch andere Gremien wollten damit konfrontiert bzw. erinnert werden, wie tief der Mensch sinken kann. In Frankreich wurden der zuständige Marineminister und 200 Marineoffizieren entlassen. Heute ist man hartgesottener, da kann ein Skandal nicht grotesk genug sein und Kannibalismus ruft willkommenen Grusel hervor. Franzobel gelingt es, traumatisierende Bilder heraufzubeschwören: der brutale Kampf ums Überleben auf dem Floß ist nichts für sanfte Gemüter und die Haie sind noch die harmlosere Gefahr. Die Menschen, die bis zum Knie im Wasser stehen, werden zu Opfer und Täter. Mit jedem Toten, der über Bord geht, hebt sich das Floß weiter über die Wasserlinie.

Hochachtung vor dem Autor Franzobel, der vorbildlich recherchiert und die Schauplätze aufgesucht hat. Seien es die Einzelteile eines historischen Schiffes, die Ausdrucksweise und Bräuche damaliger Matrosen, regionale und historische Details der französischen Revolution und Gesellschaft, an die sich die Menschen nahe am Verdursten erinnern. Der Leser fühlt sich mitten dabei. Darüber hinaus ist der Autor fähig, derart unterschiedliche groteske und anrührende Charaktere zu erschaffen, dass das Buch trotz des makabren Inhalts und des Endes, das man von Anfang weiß, eine überaus spannende und aufgrund ihres Sprachwitzes vergnügliche Lektüre ist.

Rezension: Dr. Aide Rehbaum                                                (Titelfoto: Dirk Skiba)

Hanser-Literaturverlage
Erscheinungsdatum: 30.01.2017
592 Seiten
Zsolnay
Fester Einband
ISBN 978-3-552-05816-3
ePUB-Format
ISBN 978-3-552-05843-9

Buch
Deutschland 26,00 €
Österreich     26,80 €

 

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