Bundesfinanzhof Beschluss vom 08.05.2024

Vorlage an das Bundes­ver­fas­sungs­gericht

Der VIII. Senat des Bundes­fi­nanzhofs (BFH) hält den gesetzlichen Zinssatz von 6 % p.a. für sog. Ausset­zungs­zinsen für verfas­sungs­widrig. Er hat daher das Bundes­ver­fas­sungs­gericht (BVerfG) angerufen.

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Einspruch und Klage haben im Steuerrecht grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung, d.h. die Erhebung einer Abgabe wird nicht aufgehalten und der Steuer­pflichtige muss die festgesetzte Steuer zunächst zahlen. Die aufschiebende Wirkung von Einspruch und Klage kann aber in einem summarischen Verfahren auf Antrag bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids von Finanzamt oder Finanzgericht gesondert durch die Aussetzung der Vollziehung (AdV) angeordnet werden. Für den Steuer­pflichtigen bedeutet das einerseits, dass er die Steuer zunächst nicht zahlen muss. Andererseits droht ihm eine Belastung mit Zinsen, wenn sein Rechtsmittel endgültig ohne Erfolg bleibt und er die Steuer „nachträglich“ zahlen muss. Er hat dann nämlich für die Dauer der AdV und in Höhe des ausgesetzten Steuerbetrags Zinsen in Höhe von einhalb Prozent pro Monat, also 6 % pro Jahr zu entrichten (Ausset­zungs­zinsen, § 237 i.V.m. 238 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung –AO–).

Bundes­ver­fas­sungs­gericht erklärte Vollverzinzung von 6 % für verfas­sungs­widrig

Mit Beschluss vom 08.07.2021 – 1 BvR 2237/14 (BVerfGE 158, 282) hat das BVerfG die Vollverzinsung in dieser Höhe (§ 233 a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO) ab dem 01.01.2014 für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG erklärt, dies aber nicht auf die Aussetzungszinsen und andere Teilver­zin­sung­s­tat­be­stände erstreckt. Im Streitfall hatte der Kläger seinen Einkom­men­steu­er­be­scheid 2012 angefochten. Dessen Vollziehung setzte das FA aus. Die Klage war erfolglos. Ausset­zungs­zinsen von einhalb Prozent wurden für 78 Monate festgesetzt, u.a. für den Zeitraum von 01.01.2019 bis zum 15.04.2021. Der Kläger wandte sich gegen die Zinsfestsetzung.

Bundesfinanzhof hält Ausset­zungs­zinsen von 6 % für verfas­sungs­widrig

Nach Auffassung des BFH ist ein Zinssatz für die Zinsen bei AdV in Höhe von einhalb Prozent pro Monat, also 6 % p.a. gemäß § 237 i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO im Zeitraum vom 01.01.2019 bis zum 15.04.2021 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Zumindest während einer anhaltenden strukturellen Niedrig­zin­sphase ist der gesetzliche Zinssatz der Höhe nach evident nicht (mehr) erforderlich, um den durch eine spätere Zahlung typischerweise erzielbaren Liqui­di­täts­vorteil abzuschöpfen.

Nachzah­lungs­zinsen nur ,15 % pro Monat

Zudem werden Steuer­pflichtige, die Zinsen schulden, weil sie die Steuer nach AdV nicht bezahlt haben, und Steuer­pflichtige, die Nachzah­lungs­zinsen entrichten müssen, weil ihre Steuer­fest­setzung zu einem Unter­schieds­betrag (§ 233 a Abs. 3 AO) geführt hat und sie die materiell-rechtlich von Anfang an geschuldete Steuer deshalb erst später zahlen müssen, ungleich behandelt. Denn Nachzah­lungs­zinsen werden seit dem 01.01.2019 lediglich mit einem Zinssatz von ,15 Prozent für jeden Monat, also 1,8 % p.a. berechnet. Auch diese Zinssatz­spreizung ist verfas­sungs­rechtlich nicht gerechtfertigt.

Quelle: Bundesfinanzhof, ra-online (pm/pt)

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