Autor Gisbert Kuhn

Nun hängen sie wieder zu Tausenden und Abertausenden an den Lichtmasten, Baumstämmen und Begrenzungspfosten von Straßen und Plätzen und lächeln (um Sympathie heischend) auf uns herunter oder stützen (Vertrauen einfordernd) nachdenklich die Hand ans Kinn. Wahlplakate all überall. Kleinere, hochformatig, mit den Konterfeis der örtlichen oder regionalen Bewerber für den Deutschen Bundestag. Großflächige in Breitformat mit den Köpfen der jeweiligen Landes- und Bundesprominenz (selbstverständlich sind in diesem Text Kandidat“innen“ gedanklich immer mit eingeschlossen. Auf die ständige Verwendung auch der Femininform wird hier allerdings aus Zeit- sowie sprachlichen Gründen und prinzipiellen Erwägungen verzichtet).

Spätestens jetzt also könnte selbst dem ansonsten politisch uninteressierten Mitbürger in irgendeiner Form bewusst werden, dass sich im Lande etwas vollzieht.  Vielleicht kommt ihm sogar der Begriff „Wahlen“ in den Sinn. Bei näher am Tagesgeschehen operierenden Zeitgenossen möchte, angesichts des bunten Porträt-Angebots, unter Umständen obendrein auch noch die Erinnerung aufflackern, tatsächlich einmal von einer am 24. September stattfindenden Bundestagwahl gehört zu haben. Auf jeden Fall –  wer will, der kann sehen: Es ist wieder einmal Wahlkampf in Deutschland. Oder richtiger: Die Parteien haben den Riemen auf das Schwungrad gelegt und versuchen nun, es auch in Bewegung zu setzen.

Plakate noch zeitgemäß?  

Wem inzwischen selbst bereits das eine oder andere Jahrzehnt schon auf den Schultern lastet, dem erscheint diese Politkulisse gewiss nicht ungewöhnlich. Für den gehören diese Plakatierungen halt ganz einfach mit dazu. Und manch ein älterer Zeitgenosse kann gewiss auch mit Beispielen aufwarten, wo der papierne Straßen-„Schmuck“ sehr wohl dazu beitrug, personell und inhaltlich das Geschick des Landes zu bestimmen. Trotzdem drängt sich die Frage auf, inwieweit so etwas auch heute noch zeitgemäß ist. Rund 30 Millionen Euro wenden CDU und CSU auf, um die Mehrheit der Wählerschaft auf ihre Seite zu ziehen; mit etwa 24 Millionen sind die Kassen der sozialdemokratischen Strategen gefüllt. Bei den kleineren Parteien ist der finanzielle Aufwand zwar deutlich geringer, doch auch dort summieren sich die Ausgaben in deutlichen Millionenhöhen.

Wieviel davon in die Plakatwerbung fließt, lässt sich nur schwer beziffern.  Aber, dass es ein ordentlicher Batzen sein wird, ist gewiss. Dafür sorgen schon die Druckkosten und das Spezialpapier. Noch schwieriger ist es, die mögliche Wirkung zu ermitteln. Zumal – von einigen pfiffigen Ausnahmen abgesehen – die große Masse doch sehr bieder wirkt und die Parteien zwischen Flensburg und Konstanz, Aachen und Görlitz (bei jeweils ausgetauschten Gesichtern) praktisch überall dieselben Slogans präsentieren. Plakativ eben. Und hausbacken. Dabei geht es doch seit etlichen Jahren schon um ein gravierendes Problem: Nämlich um die deutlich nachlassende Bereitschaft in der deutschen Bevölkerung, sich aktiv am politischen Geschehen zu beteiligen, ja wenigstens zur Wahl zu gehen. Interessanterweise steht diese wachsende Abstinenz in einem erkennbaren Gegensatz zu jenen Netzwerk-„Aktivisten“, die tagaus, tagein von früh bis spät unermüdlich in den so genannten sozialen Medien die gefühlten, häufig genug jedoch auch nur scheinbaren Ungerechtigkeiten der Welt, des eigenen Landes und der politischen wie wirtschaftlichen „Eliten“ anprangern.

Wichtige Themen nicht ausklammern!

Hier findet sich, ohne Zweifel, ziemlich viel allgemein- und gesellschaftspolitische Geisterbeschwörung, Spökenkiekerei, Verschwörungstheorie und Weltverbesserung. Aber es werden oft genug eben auch Probleme benannt, die von den etablierten Parteien bewusst thematisch umschifft werden – Themen, die jedoch vielen Menschen im Lande auf den Nägeln brennen und ihnen Sorge, ja Angst bereiten. Jedem, dem das Wohl und das Zusammenleben der Menschen nicht nur hierzulande am Herzen liegt, müssten deshalb eigentlich die Haare zu Berge stehen, wenn es zum Beispiel heißt, das Flüchtlingsthema gehöre nicht in den Wahlkampf, damit keine „fremdenfeindlichen und rassistischen“ Strömungen entstehen. Welch eine Fehleinschätzung. Wohin gehört das denn sonst? Das Problem ist, natürlich kontrovers, in aller Munde. Wozu wären denn politische Auseinandersetzungen – und damit zuvorderst natürlich auch Wahlkämpfe – da, wenn nicht zum Austragen gesellschaftlicher Gegensätze? Also bitte: Kampf und nicht Krampf!

Alles gehört – und zwar keineswegs nur in solchen Zeiten – auf den Tisch, was die Menschen bewegt. Wenn das nicht durch die demokratischen Kräfte geschieht, werden sich die Vereinfacher und Verführer dessen annehmen. Und sich Problemen zu stellen, bedeutet ja nicht, sich bequem der allgemeinen Strömung anzuschließen. Gute, wirklich vertrauenswürdige Politiker schöpfen ihre Qualität nicht unbedingt daraus, dass sie beliebt sind. Beliebt bedeutet zumeist auch beliebig zu sein. Es ist, im Gegenteil, in aller Regel viel schwieriger, sich gegen den Strom der Beliebigkeit zu stellen und im Gegenwind für seine Überzeugung zu kämpfen. Das betrifft die Gesellschafts- und Sozialpolitik genauso wie die Sicherheitsnotwendigkeiten im Innern und nach außen.

Demokratische Anforderungsprofile

Hier wäre anzusetzen. Und zwar innerhalb der politischen Gruppierungen genauso wie bei den „normalen“ Bürgern. Anforderungsprofile zu erstellen etwa hinsichtlich der Frage, wie man sozialpolitisch zum Beispiel einerseits das Idealziel von Gerechtigkeit zwar anpeilt, andererseits aber auch Missbrauch entgegen steuert und sich vielleicht wieder dessen besinnt, was auch zur Freiheit gehört. Früher nannte man das einmal „Subsidiarität“ und verstand allgemein darunter die Pflicht eines jeden Einzelnen, zunächst einmal selbst sein Fortkommen zu verantworten. Jenen allerdings, denen das unmöglich ist, müsse die Solidarität der Gemeinschaft sicher sein. Wer traut sich heute noch, den auf die Rundumversorgung durch den Sozialstaat getrimmten Bundesbürger auf so etwas zu verpflichten?

Womit wir wieder bei den Plakaten wären. Machen wir uns doch zwischendurch, beim Einkaufen oder Spazieren, einfach einmal den Spaß, die uns präsentierten Köpfe, Bilder, Losungen zu betrachten und daraufhin abzuklopfen, ob sie irgendetwas in uns auslösen. Oder ob wir insgeheim nur den Druckereien und den dort Beschäftigten zu einem lukrativen Auftrag gratulieren.

Gisbert Kuhn   

 

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