Von Michael Stallkamp

Das Schwarzwald-Stadion © Markus Unger -Wikimedia

Auf dem großen Markt rund um das Freiburger Münster und in den zahlreichen heimeligen Gaststätten der Stadt erlebe ich die Einheimischen als traditionsbewusste und genussfreudige Lokalpatrioten. Zudem prägen die phantasievoll gekleideten Anhänger diverser alternativer Bewegungen die Atmosphäre der Stadt. An vielen Straßenecken versuchen sie, ihre zivilisationskritischen Botschaften unter das nicht immer interessierte Volk zu bringen. Bei dieser bunten Mischung wundert es nicht, dass auch das Wurstangebot im Stadion vielfältig daherkommt.

Am Nachmittag dieses wundervollen Spätsommertages steht das Bundesligaspiel des SC Freiburg gegen den FC Augsburg an. Schon morgens im bunten Innenstadttreiben und auf den vielen lauschigen Plätzen der Stadt sind Fans beider Mannschaften unterwegs. Es geht wohltuend friedlich zu. Weder agressives Gegröle noch lauthalse Gesänge stören die entspannt ihren Einkäufen nachgehenden Freiburger oder die neugierig herumstreunenden Touristen. Nur ein dezent lauter werdendes vielstimmiges Summen kündigt die Biergärten und Gasthäuser an, in denen sich die Unterstützer beider Mannschaften zum ersten Bier des Tages treffen. Irgendwann pilgert dann die gemischte Fangemeinde gemeinsam zum Spielort.

Das 1954 erbaute Schwarzwald-Stadion des Sport-Clubs Freiburg ist nicht einfach zu erreichen. Es liegt in einem Tal eingepfercht zwischen der vor sich hin plätschernden Dreisam und einem gewachsenen Wohngebiet. Autoparkplätze sind rar. Die 24.000 Besucher sind auf die Nutzung der Straßenbahnen, ihrer Fahrräder oder der eigenen Füße angewiesen. Das passt zum grünen Image der Stadt.

Ohne großes Gedränge kann ich die Kartenkontrolle und den gründlich und sehr freundlich durchgeführten Sicherheitscheck passieren. Überraschend treffe ich dann direkt hinter dem Eingang zur Gegentribüne auf einen zum WC umgebauten Frachtcontainer. Hier können die Männer tatsächlich noch die aus grauer Vorzeit bekannten Pinkelrinnen erleben, einer nostalgischen Rarirät in den Erstligastadien der Republik. Auf Grund des Trampolin-Effekts der Rinnen verlassen unvorsichtige Nutzer diesen Ort der Erleichterung mit interessanten feuchten Mustern auf ihren Hosen.

Der erste Wurstverkaufsstand bleibt dagegen zunächst unauffällig. Eine lange, dünne, helle Schweinswurst wird in einem länglichen und leicht krossen Brötchen serviert. Ihre Würzung ist sehr dezent und im Biss zeigt sie sich eher weich. Trotz einiger vorhandener Röstaromen bleibt dieses Produkt durchschnittlich. Außergewöhnlich ist nur, dass neben Senf und Ketchup auch eine Würzsauce mit Harissa zur Geschmacksverstärkung angeboten wird.

Ich steuere die zweite Verpflegungsstation an und bin erstaunt, dass hier völlig andere Würste angepriesen werden: Rote Grillwürste, Käseknacker und Merguez im Paar sind im Angebot. Allerdings keine der von mir in allen Stadien getesteten ordinären Schweinswürste. Irritiert frage ich nach und muss erfahren, dass im hiesigen Stadion jeder Wurststand einen eigenen Betreiber hat, der individuell über sein Angebot entscheidet. Lediglich der Wurstbasispreis von 3,00 Euro, der überall bar entrichtet werden kann, ist einheitlich. Schon wieder eine Rarität. Wie hatte ich in Freiburg, der Stadt der vielfältigen Lebensentwürfe, dem selbsternannten deutschen Mekka der Alternativen auch davon ausgehen können, hier bestimme der Stadionbetreiber über ein einheitliches Snackangebot? Für mich bedeutet das heute, Testen bis zur Schmerzgrenze. Allein unter der mir zugänglichen Gegentribüne finde ich vier verschiedene Würste, die in mein Testraster passen.

Auch die zweite Testwurst – nur Durchschnitt © Petra-Bork_pixelio.de

Systematisch arbeite ich mich von Stand zu Stand vor. Die zweite Testwurst ähnelt sowohl im Aussehen als auch im Geschmack sehr dem ersten Exemplar: Durchschnitt, mehr nicht. Die dritte ist kurz, dick und weich, nicht gut gebraten, kaum würzig und eher fett. Ein auffallendes Geschmackserlebnis stellt sich auch hier nicht ein. Das Brötchen, diesmal rund, fällt nur durch seine Pappigkeit auf. Schon jetzt nähere ich mich meiner Sättigungsgrenze. Sind es die besonders nahrhaften Freiburger Würste oder der Respekt vor der schieren Größe meiner selbst gewählten Aufgabe, was mich satt macht? Zur Erholung und Ablenkung studiere ich das Getränkeangebot und entdecke weitere, bisher in keinem Stadion erlebte, Besonderheiten. Natürlich gibt es Bier, Wasser und Softdrinks. Aber ich könnte auch zwischem einen Winzerssekt weiß oder rosé wählen. Ebenso könnten mich Gutedel, Müller-Thurgau, Grauer Burgunder, Spätburgunder Weissherbst, Spätburgunder Rotwein, Weißweinschorle oder Rotweinschorle stärken. Im Winter hätte ich zusätzlich noch die Qual der Wahl zwischen Glühwein weiß oder rot. Ich belasse es beim Trinken von Wasser, nichts soll das Testergebnis verfälschen.

Die nächste Wurst ist wieder lang und dünn, wenig gebraten, weich, sehr mild gewürzt. Das lange kräftige und krosse Brötchen ist ein Lichtblick. Dennoch wäre auch dieses Produkt nach dem letzten Bissen bald vergessen, würde ich mir keine Notizen machen. Kurz überlege ich, an jedem Stand eine weitere Kontrollwurst zu essen. Mein Magen signalisiert mir aber deutlich, diese Idee schleunigst zu verwerfen.

Ich bin froh, endlich meinen Sitzplatz einnehmen zu können. Die letzte halbe Stunde vor dem Anpfiff wird mit den aus allen Stadien bekannten Versatzstücken gefüllt: Unspektakulär werden Statistiken, Erwartungen an das Spiel, Mannschaftsaufstellungen, Begrüßungen und Werbung zu Gehör gebracht. Vieles davon ist leider kaum zu verstehen. Die Lautsprechanlage ist, wie das ganze Stadion, sehr in die Jahre gekommen. Es wird Zeit, dass zur nächsten Saison ein neue Heimstatt bezogen werden kann. Dann bestaune ich doch noch einen Höhepunkt: Sämtliche Zuschauer springen auf und schmettern zwei Strophen des Badner Liedes, in dem die einzigartige Schönheit Badens überschwenglich gepriesen wird.

Von einem Spitzenplatz in der Bratwurstliga können die getesteten Freiburger Würste nur träumen © M.-Großmann_pixelio.de

Claus Köhn, im 31. Jahr Stadionsprecher in Freiburg und damit dienstältester der Fußballbundesligen, hat das Singen dieser Quasi-Landeshymne der Badner hier eingeführt. Dieser Akt besonderer Heimatverbundenheit ist sonst nur noch bei der TSG 1899 Hoffenheim und dem SC Karlruhe zu erleben. Andere Bundesligavereine behaupten „spürbar anders“ zu sein (1. FC Köln). Der SC Freiburg ist anders. Das drückt sich z. B. in der erstaunlichen Vereinstreue weiterer wichtiger Mitarbeiter aus: Volker Finke trainierte die Mannschaft 16 Jahre, Christian Streich ist seit 1995 im Verein und nun im 8. Jahr Trainer der Profis. Der zum neuen DfB-Präsidenten gewählte Fritz Keller ist seit 1994 beim SC in verschiedenen führenden Vereinsfunktionen aktiv. Auf großflächigen Informationstafeln wirbt der Verein im Stadion für sein vielfältiges gesellschaftliches Engagement. Er ist stolz auf seine immer wieder prämierte vorbildliche Jugendarbeit. Die jungen Fußballer werden nicht nur fußballerisch weitergebildet sondern erfahren eine umfassende Förderung ihrer Persönlichkeit. Da steht auf dem Weg zu einem Auswärtsspiel dann auch schon mal der Besuch einer historischen Gedenkstätte auf dem Programm. Anders als in vielen anderen Stadien ist auch die Stimmung während des Spiels. Das Publikum zeigt sich durchgängig sympathisch begeisterungsfähig, ohne fanatisch zu wirken. Häme gegenüber den Gästen fehlt völlig. Es stellt sich eine familiäre und entspannte Atmosphäre ein. Neben den phantasievollen Gesängen ist immer wieder ein anfeuerndes rhythmische Klatschen des gesamten Stadions aufffallend, wie ich es mit ähnlicher Intensität nur noch in Leipzig erlebt habe.

Wenn das Publikum einen Spieler einmal ins Herz geschlossen hat, wird er auf jeden Fall gefeiert. Florian Niederlechner durfte sogar den Verein verlassen und heute für den Gegner ein Tor schießen, dennoch wird er mit Beifall bedacht. Und der Freiburger Torjäger Nils Petersen wird selbstverständlich trotz seines heutigen schwachen Spiels weiterhin bedingungslos als Fußballgott verehrt. Das Spiel gegen Augsburg endet 1:1. Mit einem Sieg wäre der SC nach dem besten Saisonstart der Vereinsgeschichte Tabellenführer der Bundesliga geworden. Ich hätte es diesem sympathischen Verein gegönnt.

Von einem Spitzenplatz in der Bratwurstliga können die getesteten Freiburger Würste nur träumen. Der Durchschnitt aller im Schwarzwald-Stadion getesteten Würste bleibt nur Durchschnitt. Hier hat die Konkurrenz der Anbieter nicht zu einer besonderen Qualität sondern nur zu beliebiger Vielfalt geführt. Freiburg kommt damit über den 11. Platz nicht hinaus.

Wird fortgesetzt.

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