Weirichs Klare Kante
Berlin – Schlamper, keine Fälscher

„Sie sind wohl Schlamper, aber doch keine Fälscher“ dachte sich die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE), als sie sich gegen die Entsendung von internationalen Wahlbeobachtern zu den Berliner Abgeordnetenhauswahlen am kommenden Sonntag entschied. Dabei hatte sich der neue Berliner Landeswahlleiter Stephan Bröchler eine solche neutrale Aufsicht ausdrücklich gewünscht.
Man darf auf die Berliner Wahlbeteiligung gespannt sein, denn die anstehende landespolitische Entscheidung ist nicht die einzige Wiederholungswahl der von Pleiten, Pech und Pannen begleiteten Abstimmung vom 26. September 2021, die vom Verfassungsgerichtshof wegen „systemischen Versagens“ für ungültig erklärt wurde. Falsche, fehlende oder eilig kopierte Stimmzettel, stundenlange Wartezeiten vor Wahllokalen, die teilweise noch geöffnet waren, als im Fernsehen schon erste Hochrechnungen vermeldet wurden – das rechtfertigte aus Richtersicht einen neuen Urnengang.
Dabei findet auch diese Wahl nur unter Vorbehalt statt. Ein Eilantrag zur Absetzung der Wahl beim Bundesverfassungsgericht wurde zwar abgelehnt, doch das Verfahren in der Hauptsache steht noch aus. Auch muss die Bundestagswahl, die mit der Landtagwahl abgehalten wurde, noch wiederholt werden; nach Ansicht der Bundestagsmehrheit zwar nur in einigen Wahlbezirken, aber auch das wird noch gerichtlich überprüft. Juristen brauchen bei Berlins Lokalpolitik nie befürchten, arbeitslos zu werden.
Für die Wahl zeichnet sich ein Positionswechsel der Parteien ab. Die oppositionelle CDU liegt bei Umfragen mit 25 Prozent klar vorne, auf den Plätzen folgen die SPD mit ihrer Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (die auch persönlich eher schwache Werte hat) und die Grünen. Der auf Freiersfüßen befindliche Oppositionsführer Kai Wegner erhält aber bei seiner Brautschau Körbe am Fließband. Die augenblicklich mitregierende extremistische Linke scheint als Koalitionspartner genehmer, obgleich Giffey als mögliche „lachende Zweite“ ein Bündnis mit Grünen und der FDP zu präferieren scheint.
Zwei Drittel der Berliner sind Umfragen zufolge mit dem Senat unzufrieden, aber eine Wechselstimmung gibt es nicht. Der Glaube an eine Veränderung liegt nicht in den hauptstädtischen Genen.
Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als “liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.