Glattes Eis

Dieter Weirich

Sofort nach dem Neujahrstag können 2,4 Millionen Wahlberechtigte in der deutschen Hauptstadt ihre Briefwahlunterlagen anfordern. Für den 12.Februar 2023 wurde in Berlin für das Abgeordnetenhaus eine Wiederholungswahl angesetzt. Das Landesverfassungsgericht hatte bei der mit der Bundestagswahl 2021 verbundenen landespolitischen Entscheidung ein „komplettes systemisches Versagen bei der Organisation“ festgestellt. Die Chaos-Abstimmung mit Pannen am Fließband von 2021 bestätigte alle Klischees über Berlin.

Warum in Berlin allerdings die dort ja unter den gleichen skandalösen Bedingungen zustande gekommene Bundestagswahl nicht komplett wiederholt wird, ist nicht zu verstehen. So beschloss der Wahlprüfungsausschuss des Bundestages, nur in einem kleinen Teil der Wahlbezirke eine Wiederholung. Beim Bundesverfassungsgericht liegen 1400 Einsprüche vor. Mit der gesonderten Neuwahl ist deshalb erst 2024 zu rechnen, vielleicht zusammen mit der Europawahl

Die frühe Wahl im Februar ist mit Glatteis für die Ampel verbunden. Vor allem der in Umfragen hinter der plötzlich führenden CDU und den Grünen liegenden SPD droht Rutschgefahr. Das anstehende Gefecht ist eine Damenwahl. Die Regierende Bürgermeisterin, Franziska Giffey, muss ihr Amt gegen die grüne Verkehrssenatorin Bettina Jarasch verteidigen. Das gelingt nur, wenn ihre sozialdemokratischen Genossen wieder die Nase vorne haben. Dass der für die Pannenwahl verantwortliche Innensenator Andreas Geisel dickfellig im Amt bleibt, dokumentiert Giffeys Führungsschwäche.

Die beiden Spitzenkandidatinnen befinden sich zwar gemeinsam in einer Regierung, sich aber trotzdem in herzlicher Abneigung verbunden Das lässt den auf das Amt des Regierenden Oppositionsführer Kai Wegner hoffen. Man darf gespannt sein, wie sich die Ampel aus der Affäre zieht.

In der Stimmungsdemokratie sind Landtagswahlen auch für die Bundespolitik von Bedeutung. Im Kanzleramt ging man von einem ruhigen Wahljahr aus, Berlin war nicht eingeplant. Die Bürgerschaftswahl in Bremen am 14. Mai 2023 zu gewinnen, gilt bei der SPD als Pflicht. Eine Kür wäre im Herbst ein Regierungswechsel in Hessen mit Nancy Faeser als Spitzenkandidatin, was der neue Ministerpräsident Boris Rhein verhindern will. Bayern gilt im Herbst als Erbhof der CSU, wenn auch dort die Zeiten absoluter Mehrheiten vorbei sein dürften.

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als “liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.

 

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