Russisches Roulette im Hinterhof der USA

Putin hat viel Zeit und Geld investiert, um in Lateinamerika den Einfluss der USA zu untergraben. Mit der Ukraine-Invasion schießt er sich ins Knie.

Jair Bolsonaro bei seinem Besuch am 16. Februar in Moskau © Oficial Kremlin

Jair Bolsonaro schlug die Warnungen in den Wind. Obwohl ihm US-Diplomaten zu verstehen gegeben hatten, dass sie den Besuch des brasilianischen Staatschefs in Russland vor zwei Wochen für unpassend hielten, flog Bolsonaro nach Moskau. Dort strahlte der Rechtspopulist dann gemeinsam mit Vladimir Putin in die Fernsehkameras. Anders als mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron wurde das offizielle Pressefoto nicht an dem riesigen Verhandlungstisch gemacht, der kühle Distanz signalisiert. Man klopfte sich jovial auf die Schultern, obwohl Bolsonaro damit prahlt, nicht gegen „das Grippchen“ Covid-19 geimpft zu sein.

Auch Argentiniens Präsident Alberto Fernández reiste erst kürzlich noch nach Moskau. Auch er trotzte Aufrufen Washingtons, seine Reise zu verschieben, da Russland an der Grenze zur Ukraine Truppen aufstelle. Der Linksperonist Fernandez verstieg sich dort sogar zur Aussage, er wolle Argentinien zum „russischen Einfallstor“ in Lateinamerika machen. Die Abhängigkeit des Landes von den USA und vom Internationalen Währungsfonds, bei dem Argentinien mit 45 Milliarden US-Dollar verschuldet ist, müsse ein Ende haben.

Was die beiden ihren Anhängern als kühnen Befreiungsschlag vom US-Imperialismus/Neoliberalismus oder kluge Geopolitik verkauften, bekam nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine einen schalen Beigeschmack. Krieg ist nichts, womit man bei der Bevölkerung in Lateinamerika punkten kann. So drucksten die beiden dann etwas herum: Bolsonaro erklärte sich für „neutral“ und warf den Ukrainern vor, ihr Schicksal in die Hände eines Komödianten gelegt zu haben. Fernández sprach von „kriegerischen Auseinandersetzungen“ und plädierte für Dialog und Respekt der Souveränität, territorialen Unverletzbarkeit und Sicherheit aller Beteiligten.

Argentiniens Präsident Alberto Fernández verstieg sich kürzlich in Moskau zur Aussage, er wolle Argentinien zum „russischen Einfallstor“ in Lateinamerika machen.

Doch sie waren nicht die einzigen, die in Lateinamerika Verständnis für Putin signalisierten. Unterstützung bekam er auch von den autoritär regierten, sozialistischen Bruderstaaten Kuba, Venezuela und Nicaragua. Diese versicherten Putin ihre volle Unterstützung. Venezuelas Machthaber Nicolas Maduro warf der NATO und der USA vor, den Konflikt provoziert zu haben.

Die zumindest teilweise Rückendeckung aus Lateinamerika hat sich Putin von langer Hand erarbeitet. Im Jahr 2014 eröffneten russische Medien wie die Agentur Sputnik und der Propagandasender Russia Today Büros in Lateinamerika. Seither haben sie ihre spanischsprachige Berichterstattung stetig ausgebaut. Kuba ist ein historischer Partner noch aus Zeiten der Sowjetunion. Moskau hat der finanziell klammen sozialistischen Karibikinsel immer wieder mit Krediten unter die Arme gegriffen, die Altschulden erlassen und 2,3 Milliarden US-Dollar neu geliehen.

Seine Beziehungen zu Venezuela baute Russland vor allem unter dem Sozialisten Hugo Chávez aus. Hunderte von Beratern, Militärexperten, Informatikern und Geheimdienstmitarbeitern schickte Russland in die Karibik. Das südamerikanische Land verfügt über umfangreiche Militärausstattung russischer Herkunft, darunter Sukhoi-Kampfjets, Hubschrauber, Raketenabwehrsysteme und Panzer. Im Januar drohte der stellvertretende russische Außenminister Sergej Rjabkow, er könne die Möglichkeit der Entsendung russischer Truppen nach Venezuela und Kuba „weder bestätigen noch ausschließen“, wenn die USA und Europa ihre eskalierenden militärischen Aktivitäten in Osteuropa nicht einschränkten. Mindestens dreimal hat Russland bereits Tupolew-Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe für Militärübungen nach Venezuela entsandt.

Krieg ist nichts, womit man bei der Bevölkerung in Lateinamerika punkten kann.

Venezuela gilt ferner als Plattform russischer Bot-Fabriken, die besonders bei Wahlen oder Protesten in der Region aktiv sind und Unruhe schüren. Das Land ist auch Teil des Geldwäsche-Puzzles, mit dem Russland internationale Sanktionen zu umgehen versucht. Die venezolanische staatliche Erdölfirma PDVSA hat eine Geschäftsniederlassung in Moskau, über die Zahlungsverkehr abgewickelt wird. Auch der Iran und die Türkei sind Geheimdienstberichten zufolge in venezolanische Dreiecksgeschäfte mit schmutzigem Gold, Waffen und Erdöl verwickelt.

El Salvadors Hinwendung zu Russland und China begann unter der linken Regierung von Salvador Sánchez, bekam ab 2019 unter dem Millennial-Populisten Nayib Bukele aber richtig Schwung. Sein autoritärer Regierungsstil war von Anfang an auf eine Konfrontation mit den USA und eine Demontage der Demokratie angelegt. Schon kurz nach seinem Amtsantritt hatte sein Botschafter in Moskau erklärt, Bukele wolle als erster salvadorianischer Staatschef nach Russland reisen. Der Besuch ist für Mitte des Jahres vorgesehen und wurde bislang nicht abgesagt.

Die Annäherung der beiden Länder erfolgte bislang eher abseits diplomatischer Kanäle. Es verdichten sich die Hinweise, dass hinter der Einführung des Bitcoin als offizieller Währung in El Salvador Interessensgruppen stecken, die sowohl im rechtslibertären Milieu der USA verankert sind als auch Beziehungen zu Russland unterhalten. Verdacht weckte diesbezüglich der US-amerikanische Bitcoiner Max Keiser, einer der Berater Bukeles, der gleichzeitig regelmäßiger Gast bei Russia Today ist und unlängst eine ganze Reihe – inzwischen gelöschter Tweets – gegen die Ukraine publiziert hat.

Venezuela gilt als Plattform russischer Bot-Fabriken, die besonders bei Wahlen oder Protesten in der Region aktiv sind und Unruhe schüren.

Ein wichtiger Baustein der russischen Lateinamerika-Strategie war der Impfstoff Sputnik. Mit ihm belieferte Russland zahlreiche lateinamerikanische Regierungen – vor allem zu Beginn der Impfkampagne, als die Produktion weltweit nur langsam anlief. Sputnik war billiger und leichter zu lagern als die mRNA-Impfstoffe von Pfizer und Moderna. Besonders das in Finanznöten steckende Argentinien setzte lange ausschließlich auf Sputnik.

Auf den ersten Blick scheint es Putin also gelungen zu sein, den lateinamerikanischen Hinterhof der USA aufzumischen. Schaut man jedoch genauer hin, hat die Invasion in der Ukraine viele der erzielten Erfolge wieder zunichte gemacht und Putins Image beschädigt. Mexiko galt beispielsweise seit dem Wahlsieg des Linksnationalisten Andrés Manuel López Obrador 2018 besonders viel Aufmerksamkeit seitens Russlands. Der mexikanische Präsident fand immer wieder lobende Worte für die russischen Freunde. Doch nun hat sich das Land schnell auf die Seite seines US-amerikanischen Freihandelspartners geschlagen und bei den VN die russische Invasion klar verurteilt.

Sehr bizarr wirkte der Auftritt der zweiten Regionalmacht des Subkontinents, Brasilien. Bolsonaro, der sich im Laufe seiner Amtszeit vom Trump- zum Putin-Fan gewandelt hat, geriet mit seinem eigenen Vizepräsidenten Hamilton Mourao in Streit über Russlands Vorgehen. Mourao rief dazu auf, die Ukraine militärisch zu unterstützen. Andernfalls könne Russland „so durchmarschieren wie einst Nazideutschland in den 1930er Jahren“. Bolsonaro fuhr ihm danach öffentlich über den Mund. Im VN-Sicherheitsrat forderte Brasilien jedoch einträchtig mit Mexiko einen russischen Truppenabzug und einen Waffenstillstand. „Die rote Linie wurde überschritten“, so der brasilianische Botschafter Ronaldo Costa Filho.

Putin bleiben als verlässliche Verbündete also nur die Bruderländer, die ohnehin schon regionale Parias sind.

Putin bleiben als verlässliche Verbündete also nur die Bruderländer, die ohnehin schon regionale Parias sind. Ein Trost ist das nicht. Lateinamerika rutscht damit erneut in eine polarisierende Logik wie zu Zeiten des Kalten Krieges. Der US-Militärexperte Evan Ellis sieht eine „wachsende Konfrontation zwischen einer liberalen und einer illiberalen Allianz“ heraufziehen. Im Gegensatz zum Kalten Krieg, so Ellis, präsentierten die Kritiker des Westens aber kein wertebasiertes ideologisches Gegenmodell, sondern winkten „mit kurzfristigen ökonomischen Gewinnen und der verlockenden Befreiung von ineffizienten Strukturen“. Die Unterhöhlung von Menschenrechten und demokratischen Standards habe zum Ziel, jede Möglichkeit auszuradieren, Machthaber moralisch, politisch oder juristisch zur Verantwortung zu ziehen.

Auch Lateinamerika ist nicht gefeit vor Cyberangriffen, die Proteste und Unsicherheit schüren oder der Kriminalität Vorschub leisten, um das Vertrauen der Bürgerinnen und in Demokratie und Marktwirtschaft zu untergraben. Sollte sich der Krieg in der Ukraine verhärten, besteht die handfeste Gefahr, dass Russland seine militärische Präsenz in Lateinamerika deutlich erweitert, um eine Drohkulisse gegen Washington aufzubauen. Das könnte den Frieden in der gesamten Region bedrohen.

Sandra Weiss ist Politologin und ehemalige Diplomatin. Als freie Lateinamerika-Korrespondentin schreibt sie unter anderem für Die Zeit und Die Welt.

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