Rezension: Im letzten Licht des Herbstes
Rezension von Dr. Aide Rehbaum
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Mary Lawson: Im letzten Licht des Herbstes
Der Titel verrät nichts über die Geschichte, außer, dass sie im Herbst spielt. Die Autorin lässt den Leser abwechselnd in drei Personen schlüpfen: in die alte Mrs. Orchard, ihr Nachbarskind Clara und Liam, der zunächst eine undurchsichtige Rolle spielt. Sehr geschickt werden Andeutungen gestreut, dass Liam ein Drama mit der alten Dame verbindet.
Die achtjährige Clara hat den Auftrag, sich während des Krankenhausaufenthalts der Nachbarin um deren Katze zu kümmern, und hat deshalb den Schlüssel zum Haus. Zur gleichen Zeit reißt ihre ältere Schwester zuhause aus. Das stürzt Clara in Verzweiflung und Loyalitätskonflikte, da die Ältere ihre wichtigste Bezugsperson ist.
Clara versucht in typischer Kindermanier, die Rückkehr ihrer Schwester mit magischen Ritualen zu beschleunigen. Sie durchschaut die Beschwichtigungen und Lügen der Eltern, die der Kleinen alles Unangenehme ersparen wollen. Dazu gehört auch der Tod der Nachbarin. Kein Wunder, dass Clara empört ist, als auf einmal ein Mann ins Haus nebenan zieht und die Einrichtung verändert. Es ist Liam, dem die Nachbarin das Haus vererbt hat, obwohl sie ihn seit seiner Kindheit nicht mehr sah. Sobald er das Haus verlässt, macht Clara heimlich alle Veränderungen rückgängig.
Liam ist nach seiner Scheidung und Kündigung an einer Wegscheide seines Lebens und weiß nicht, wie es weitergehen soll. Claras Besuche erden ihn, er hilft beim Auffinden der Schwester und lässt sich erstmals auf andere Menschen wirklich ein.
Lawson stellt sehr einfühlsam sowohl die kindlichen Gedankengänge Claras dar, als auch die von Mrs. Orchard, die sich im Krankenhaus nach der üblen Diagnose ihrer Vergangenheit stellt – als ob sie zu ihrem bereits verstorbenen Mann spräche. Allen drei Protagonisten verleiht Lawson eine ganz eigene, vor allem altersgemäße Stimme, ohne dabei rührselig zu werden. Ein rundum gelungener Roman.