Connie Palmen – I.M.
Rezension von Dr. Aide Rehbaum
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Connie Palmen – I.M.
Anfangs denkt man, ein Traum, so eine Liebe? Ischa, der jüdische Journalist, ist siebzehn Jahre älter als Connie. Er war als Zweijähriger mit seinen Eltern im KZ Bergen-Belsen und sein Überleben danach war nur in physischer Hinsicht gesichert. Ihm fehlte jede Anerkennung seines Vaters, dessen Bücher er nicht mal berühren durfte. Er strampelt sich als Erwachsener ab, um mit diesem Mangel klarzukommen. Wenigstens mit Hilfe seines Psychiaters gewinnt er Klarheit, aber die Süchte bleiben: Rauchen, Essen, sich bei Prostituierten beweisen müssen, sich ständig in Szene setzen und mit Bindungsangst. Erst durch Connies Vermittlung nimmt er Kontakt zu seiner Schwester auf, die er unnötigerweise immer beneidet hat, und erkennt deren Defizite. Als er die Vater-Sohn-Beziehung autobiografisch aufarbeiten will, stirbt dieser und die Luft ist raus.
Die Schriftstellerin Connie kommt dagegen aus einer katholischen Bilderbuchfamilie, fühlte sich aufgrund ihres hohen IQ aber ständig unterfordert. Beide misstrauen dem Glück als unverdient. Das Buch beschreibt weitgehend den Alltag eines Paares bis in die banalsten Kleinigkeiten beim Reisen, Essen, Albern, Einkaufen und gemeinsamen Arbeiten oder das Zappen durch das Fernsehprogramm. Auf den zweiten Blick erscheint die philosophisch aufgeblähte Beziehung mehr freundschaftlich als partnerschaftlich. Wir erfahren, dass sie sich vor Begeisterung in die Hose machen. Eifersucht entsteht bei literarischen Ergüssen und deren öffentlicher Anerkennung, aber erstaunlicherweise akzeptiert Connie, wenn Ischa zu Prostituierten geht. Sex scheint keine Rolle gespielt zu haben.
Das Paar hat vier Jahre lang getrennte Wohnungen in Amsterdam, nur auf Reisen hocken sie den ganzen Tag aufeinander und Ischa wird grantig, sobald sie mal alleine etwas unternimmt oder Leute trifft, die er nicht kennt. Manch einem könnte beklommen werden vor so viel Enge. Die Autorin stellt es so dar, als ob die Beziehung so besonders gewesen sei, weil sie einander mit allen Schwächen angenommen fühlten. Nach vier Jahren stirbt Ischa während ihrer Abwesenheit an einem Herzinfarkt. Sehr eindrücklich und nachvollziehbar schildert sie die Trauerphase. Am Ende wird eine symbiotische Abhängigkeit von zwei Menschen erkennbar, die sich als Außenseiter empfanden und verbündeten. Jedenfalls der Mann konnte ein Stück Kindheit nachholen, indem sie sich ständig ihre Besonderheit spiegelten.
Connie Palmen, geboren 1955, studierte Philosophie und Niederländische Literatur und lebt in Amsterdam. Ihr erster Roman ›Die Gesetze‹ erschien 1991 und wurde gleich ein internationaler Bestseller. Sie erhielt für ihre Werke zahlreiche Auszeichnungen, z. B. den renommierten AKO-Literaturpreis für den Roman ›Die Freundschaft‹ und den Libris-Literaturpreis 2016 für ›Du sagst es‹.
Taschenbuch
400 Seiten
erschienen am 20. Juni 2001
978-3-257-23287-5
€ (D) 14.00 / sFr 19.00* / € (A) 14.40
* unverb. Preisempfehlung
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