Politik: Fragile Feuerpause
Die Waffenruhe zwischen Israel und der Hisbollah gibt Hoffnung auf Frieden im Libanon – doch ihre Einhaltung erfordert internationale Unterstützung.
Nach 14 Monaten kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen der israelischen Armee und der Hisbollah konnte endlich eine Waffenruhe erzielt werden. Seit dem Angriff der Hisbollah auf Nordisrael am 8. Oktober 2023 befindet sich die pro-iranische Miliz im Krieg mit Israel. Als Anführer der sogenannten „Achse des Widerstands“ wollte die Hisbollah durch den Raketenbeschuss eine Öffnung der Nordfront erzwingen, um Israel zu einem Waffenstillstand zu drängen und die Hamas vor einem Kollaps zu bewahren – bislang jedoch ohne nennenswerte Erfolge.
Die israelische Armee verfolgt das Ziel, den Norden so zu stabilisieren, dass die rund 60 000 evakuierten Bewohner in ihre Häuser zurückkehren können. Bislang konnte dieses Ziel ebenso wenig erreicht werden wie die vollständige Zerschlagung der Hamas oder die Befreiung der Geiseln im Gazastreifen.
Die Feuerpause ruft bei den Libanesinnen und Libanesen gemischte Gefühle hervor: eine Mischung aus Freude, Erleichterung, Erschöpfung und Skepsis. Freude, weil viele Binnenflüchtlinge endlich aus provisorischen Unterkünften in ihre Dörfer zurückkehren können. Erleichterung, weil viele nicht daran geglaubt hatten, dass die Konfliktparteien tatsächlich eine Einigung erzielen würden. Gleichzeitig herrscht Erschöpfung angesichts des über ein Jahr andauernden Krieges, der seit Oktober 2023 über 1,2 Millionen Menschen zur Flucht aus ihren Häusern, Dörfern und Städten gezwungen hat. Laut dem Arab NGO Network for Development gibt es bisher über 3 768 Tote und mehr als 15 700 Verletzte. Die Zahl der Opfer dürfte weiter steigen, da Rettungskräfte viele abgelegene Regionen im Süden des Libanon aufgrund der Zerstörungen noch nicht erreichen konnten und dort weitere Tote unter den Trümmern vermutet werden.
Viele haben allerdings auch berechtigte Skepsis hinsichtlich der praktischen Umsetzung bestimmter Aspekte des Abkommens. Besonders die Regelung zum Recht auf Selbstverteidigung beider Seiten wirft Fragen auf, ebenso wie die Fähigkeit des libanesischen Staates und seiner Armee, den Friedensprozess effektiv zu begleiten. Die politische Krise im Land – vor allem der fehlende Präsident – macht die Übergangsregierung weitgehend handlungsunfähig. Ob sie in der Lage sein wird, den Prozess souverän zu steuern, bleibt abzuwarten.
Die Feuerpause bildet die Grundlage für eine mögliche politische Lösung des Konflikts.
Die Feuerpause bildet die Grundlage für eine mögliche politische Lösung des Konflikts zwischen Israel und dem Libanon beziehungsweise der Hisbollah. Sie eröffnet dem Libanon die Gelegenheit, die Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrats von 2006 umzusetzen. Diese sieht unter anderem eine stärkere Rolle der libanesischen Armee sowie den Rückzug der Hisbollah-Kämpfer und anderer bewaffneter Gruppen vor.
Das aktuelle Abkommen verpflichtet die Hisbollah und andere bewaffnete Gruppierungen, sich innerhalb der nächsten 60 Tage 30 Kilometer von der israelisch-libanesischen Grenze hinter den Litani-Fluss zurückzuziehen. Im Gegenzug wird Israel seine Truppen schrittweise aus dem Süden des Libanon abziehen und strategische Stellungen sowie Wachposten an die libanesische Armee übergeben. Die libanesische Armee hat bereits damit begonnen, ihre Truppen in den Süden zu verlegen. Im ersten Schritt wurden 5 000 Soldaten stationiert, im nächsten sollen weitere 10 000 folgen. Gemeinsam mit den UNIFIL-Soldaten sollen sie die Grenze zu Israel überwachen, den Waffennachschub der Hisbollah unterbinden und sicherstellen, dass diese keine Gefahr mehr für Israel darstellt. Damit trägt die libanesische Armee eine zentrale Verantwortung für den Erfolg der Waffenruhe. Die Einhaltung der Waffenruhe wird von einem internationalen Gremium überwacht, das unter der Leitung der USA und Frankreichs steht.
Der von Krisen erschütterte Libanon steht vor gewaltigen Aufgaben. Politisch müssen die demokratischen Institutionen gestärkt werden, allen voran durch die Wahl eines neuen Präsidenten. Sowohl Premierminister Najib Mikati als auch Parlamentspräsident Nabih Berri bezeichneten in ihren Reden zur Waffenruhe am 27. November die Präsidentschaftswahl als oberste Priorität. Auch Hisbollah-Generalsekretär Naim Kassem forderte in einer Rede die Umsetzung des Taif-Abkommens von 1989, was indirekt ebenfalls die Wahl eines Präsidenten beinhaltet. Dieses politische Momentum muss genutzt werden, denn die Hisbollah wird bemüht sein, innenpolitisch ein neues, kompromissbereiteres Bild abzugeben.
Sozial ist die schnelle Lösung der Binnenflüchtlingskrise entscheidend. Die Rückkehr der Vertriebenen muss organisiert werden, um soziale Unruhen zu vermeiden. Der Umgang mit der schiitischen Bevölkerungsgruppe ist dabei besonders sensibel. Die Hisbollah hat die Feuerpause als eigenen Erfolg dargestellt, als Ergebnis ihres „mutigen Widerstands“ gegen Israel. Trotz enormer materieller und militärischer Verluste kann sie weiterhin mit der starken Unterstützung ihrer Basis rechnen. Um Spannungen zu vermeiden, sollte die Schuldfrage nicht in den Vordergrund rücken. Vielmehr gilt es, das „Wir-Gefühl“ zu stärken und alle gesellschaftlichen Gruppen in den Wiederaufbau einzubinden.
Wirtschaftlich steht der Libanon vor der Mammutaufgabe des Wiederaufbaus.
Wirtschaftlich steht der Libanon vor der Mammutaufgabe des Wiederaufbaus. Wohnhäuser, Schulen, Krankenhäuser, Straßen und Märkte wurden großflächig zerstört, und die systematische Verbrennung von Agrarflächen und Wäldern durch die israelische Armee hat weite Teile des Landes unbewohnbar gemacht. Laut Berichten libanesischer und arabischer Medien haben die USA ihre Bereitschaft signalisiert, sich am Wiederaufbau zu beteiligen. Es ist essenziell, diesen Prozess schnell und transparent zu gestalten, um Vertrauen zu schaffen.
Militärisch muss die libanesische Armee rasch gestärkt werden, um ihre neuen Aufgaben zu erfüllen. Dazu gehören die dringend benötigte Unterstützung bei der Ausbildung von Personal und die technische Aufrüstung. Die Armee ist derzeit schwächer als die Hisbollah, die sie kontrollieren soll. Diese strukturellen Defizite müssen behoben werden, um den langfristigen Erfolg der Waffenruhe sicherzustellen.
Es bleibt abzuwarten, wie kompromissbereit die Hisbollah tatsächlich ist. Ihre Haltung könnte entscheidend für das zukünftige politische Klima im Libanon sein. Eine mangelnde Bereitschaft zu Kompromissen birgt das Risiko, Spannungen zwischen den verschiedenen, teils noch bewaffneten, politischen Gruppierungen im Land zu verschärfen – eine reale Gefahr, die viele Libanesen heute fürchten. Die Zeit nach der Waffenruhe wird daher eine politisch äußerst sensible Phase, in der internationale Unterstützung von entscheidender Bedeutung sein wird. Deutschland sollte diese Entwicklungen eng begleiten und dem Libanon nicht nur finanzielle, sondern auch politische und moralische Unterstützung bieten.
Der jetzige Waffenstillstand kann auch sehr schnell wieder brüchig werden. Es besteht das Risiko, dass es zur Wiederaufnahme von Kampfhandlungen kommt. Erste kleinere Zwischenfälle weisen darauf hin, dass dies nicht völlig ausgeschlossen ist. Die Feuerpause im Libanon zeigt jedoch auch, dass politische Verhandlungen und Diplomatie noch erfolgreich sein können – ein wichtiger Lichtblick in einer Zeit, in der das Vertrauen in solche Lösungen schwindet. Das Abkommen könnte den Weg für weitere politische Verhandlungen ebnen, insbesondere in Gaza. Der jüngste Besuch einer ägyptischen Delegation in Katar zur Wiederaufnahme der Verhandlungen über Gaza ist eine direkte Folge der Feuerpause im Libanon.
Umso dringender ist es, dass Deutschland und die internationale Gemeinschaft alles daransetzen, damit die Feuerpause im Libanon anhält und zu einem dauerhaften Frieden zwischen den Konfliktparteien führen kann.
Merin Abbass leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung im Libanon. Zuvor war er Leiter des FES-Büros in Libyen. Er hat Politikwissenschaften und Internationale Beziehungen in Deutschland und England studiert.
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