Paula Beer ©Majestic/Christian Schulz

Dreimal hat auch das Kino in den letzten zwanzig Jahren versucht, sich der Figur der Stella Goldschlag zu nähern. In Steven Soderberghs „The Good German“ von 2006 hieß sie Lena Brandt und wurde von Cate Blanchett als skrupelloses blondes Gift verkörpert; George Clooney als amerikanischer Journalist im Nachkriegs-Berlin, der in ihr seine Jugendliebe wiederfindet, lässt sie am Ende fallen, als er ihr wahres Wesen erkennt. In Claus Räfles „Die Unsichtbaren“, einem Film von 2017, der beinahe unbemerkt in den deutschen Kinos lief, war sie eine Nebenfigur in ei­nem Dokudrama, das sich um eine Gruppe jüdischer Jugendlicher im Berlin der Kriegsjahre drehte. Und jetzt, in Kilian Riedhofs „Stella“, steht sie im Zentrum der Geschichte: die Jüdin, die Juden verriet. Das Holocaustopfer als Täterin. Die Greiferin im Würgegriff der Gestapo.

Paula Beer, Damian Hardung © Majestic/Verena Heller

Die junge Stella Goldschlag (Paula Beer) wird auf ihrer jüdischen Schule in Berlin von praktisch allen Jungs angehimmelt. Das blonde Mädchen träumt davon, irgendwann einmal als Jazz-Sängerin eine große Karriere aufs Parkett zu legen und mit ihrer Stimme berühmt zu werden. Ihr seit der Machtergreifung der Nazis im Jahr 1933 ohnehin schon bedrohtes Leben wird schließlich ins absolute Chaos gestürzt, als sie inmitten der Wirren des Zweiten Weltkrieges 1943 zusammen mit ihrer Familie in den Untergrund flüchten muss, um der mörderischen Hand der Nazis zu entgehen. Sie wird an die Gestapo verraten und gefoltert. Die Nationalsozialisten machen aus ihr eine sogenannte „Greiferin“. Damit weder sie noch ihre Familie in das Vernichtungslager nach Auschwitz deportiert werden, muss Stella andere Juden ans Messer liefern. Bis zum Kriegsende 1945 hat Stella so unzählige jüdische Mitbürger an die Gestapo ausgeliefert.

Wie sehr sie Opfer und wie sehr sie Täterin war – diese Frage wird gegen Ende des Film klargestellt. Vor Gericht und in einem Café. Die Szene, in dem sie in einem Café einen ehemaligen jüdischen Freund trifft, der sie mit ihren Taten konfrontiert, ist eine der stärksten des Films. Und noch immer wiegelt Stella ab, inszeniert sich in ihrer Opferrolle. Es fällt sehr schwer, Empathie für diese Frau aufzubringen.

Für die Schauspielerin Paula Beer war diese vielschichtige Rolle eine seltene Herausforderung: “Deswegen war mein Interesse sehr groß – von Anfang an. Und trotzdem geht es bei diesem Thema nicht ohne diese Ambivalenz, dass mir das auch trotzdem immer so im Nacken hing, der Ekel vor diesen furchtbaren Taten und das Wissen, ich werde mich in einen sehr tiefen Abgrund begeben.”

Paula Beer, Jannis Niewöhner © Majestic/Jürgen Olczyk

Für Kilian Riedhof ist Stella. Ein Leben. der sechste realisierte Spielfilm als Filmregisseur. Das Drehbuch verfasste er gemeinsam mit Marc Blöbaum und Jan Braren basierend auf dem Leben Stella Goldschlags (1922–1994). Mit beiden arbeitet er seit 2011 an Filmstoffen zusammen, zuletzt an seinem französischsprachigen Kinofilm Meinen Hass bekommt ihr nicht (2022). Riedhof faszinierte Goldschlags Geschichte aufgrund ihrer Komplexität. „Stella ist Täterin aber eben auch Opfer und entzieht sich jeder einfachen Schwarz-Weiß-Zuschreibung“, so Riedhof. „Stella ist eine junge, moderne Frau, wie sie es heute auch geben könnte. Sie träumt von einer strahlenden Karriere, sucht nach ihrer Bestimmung in der Welt. Eine Hedonistin, aber mit einer ethischen Unschärfe, die unter den Bedingungen des sogenannten Dritten Reichs verhängnisvolle Konsequenzen hat. Wie diese zunächst unschuldige Frau zu einer Täterin wird, hat uns nicht mehr losgelassen.“ Der Film sollte radikal aus der Perspektive der Titelfigur berichten. Das Skript basierte auf eigenen Recherchen der beiden Gerichtsprozesse gegen Goldschlag in den Jahren 1946 und 1957. Dabei hielten sich Riedhof, Blöbaum und Braren minutiös an die zeitliche Abfolge der Geschehnisse und an eine „größtmögliche historische Genauigkeit“. „Jeder spekulative oder bewusst fiktionalisierende Moment würde der Authentizität von Stellas Charakter Abbruch tun und damit auch der Einordnung ihres Verbrechens. Verwässert man den belegbaren Gehalt bei einer so brisanten Geschichte, wäre das historisch verantwortungslos“, so Riedhof. Stella. Ein Leben. sollte „ausschnitthaft, subjektiv und unmittelbar sein“ und ein Zeichen setzen. „In Zeiten des aufkommenden Rechtsradikalismus sind wir gezwungen, uns in unserer Haltung zu hinterfragen und klar zur Menschlichkeit bekennen. Vermeiden wir dies, kann das fatale Folgen für uns haben. Stellas Geschichte sollte uns hierfür Warnung sein“, so der Regisseur.

Literarisch aufgearbeitet worden war der Fall zuvor im Jahr 1992, als mit Peter Wyden ein einstiger Mitschüler Goldschlags das Buch Stella veröffentlichte. Es basierte nicht nur auf seinen Erinnerungen, sondern auch auf Gesprächen mit Goldschlag sowie über 150 weiteren Zeitzeugen. Der Titel wurde wiederholt neuaufgelegt. Goldschlag war auch Hauptfigur in einem preisgekrönten Stück der Neuköllner Oper in Berlin (Stella – Das blonde Gespenst vom Kurfürstendamm, 2016). Eine heftige Debatte hatte dagegen 2019 die Veröffentlichung des Romans Stella von Takis Würger nach sich gezogen. Es wurde kritisch die Verantwortung des Autors hinterfragt, „eine historische Figur zu gestalten, um die zugeneigte, zuweilen verkitschte Sicht auf eine dubiose Frau“ aufzuzeigen.

Regie: Kilian Riedhof
Cast: Paula Beer, Jannis Niewöhner, Joel Basman, Katja Riemann
Land: Deutschland
Kinostart: 1. Februar 2024
 
 
 
 

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