Wie lässt sich die Lebensqualität von Menschen mit Herzinsuffizienz verbessern? Dieser Frage stellt sich die Psychokardiologin Prof. Dr. Christiane Waller in ihrem Arbeitsalltag jeden Tag aufs Neue. Wir haben mit ihr gesprochen.

In Deutschland sind rund vier Millionen Menschen von einer Herzinsuffizienz betroffen, einer Herzschwäche. Welche Ursachen hat diese chronische Erkrankung?

Wie steht es um die Versorgung von Patienten mit Herzinsuffizienz – eine Psychokardiologin gibt Antworten. © Gerd Altmann auf Pixabay.com

Prof. Dr. Christiane Waller: Am häufigsten tritt eine Herzinsuffizienz im Zuge einer koronaren Herzerkrankung auf – etwa nach einem Herzinfarkt, in dessen Folge es zu einem Verlust von intaktem Herzmuskelgewebe und zu Narbenbildung gekommen ist. Daneben gibt es virale Ursachen oder eine angeborene Herzschwäche, die aber nicht so häufig vorkommen.

Sie leiten am Klinikum Nürnberg die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Weshalb betreuen Sie dort auch Patienten mit Herzinsuffizienz?

Waller: Mindestens ein Drittel aller Patienten mit einer Herzinsuffizienz entwickelt eine bedeutsame depressive Symptomatik. Typisch sind zum Beispiel posttraumatische Belastungsstörungen, die nach einem akuten Herzinfarkt auftreten können – insbesondere, wenn ein Defibrillator ausgelöst oder jemand auf andere Art reanimiert wurde. Solchen Patienten bieten wir eine psychosoziale Betreuung und gegebenenfalls eine Therapie an.

Worunter leiden Patienten mit einer Herzinsuffizienz am meisten?

Waller: Darunter, dass ihre körperliche Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist – oft so sehr, dass sie keinen Beruf mehr ausüben können und der Alltag auch sonst erschwert ist. Das hat nicht immer nur körperliche Ursachen, sondern ist oft auch psychisch mitbegründet.
Denn entscheidend dafür, wie es den Patienten geht, ist nicht so sehr die objektive Herzleistungsschwäche, sondern es sind die Lebensbedingungen – und da spielt die Psyche eine wesentliche Rolle. Sie beeinflusst auch, wie schwer jemand sein Leiden einschätzt.

Eine Herzinsuffizienz führt häufig in die Depression – umgekehrt ist eine vorliegende Depression auch ein Risikofaktor für das Auftreten einer Herzinsuffizienz. Wenn beides zusammenkommt, entsteht ein Teufelskreis: Die Depression verstärkt die Symptome der Herzinsuffizienz und umgekehrt.

Welche Menschen sind davon besonders betroffen?

Waller: Einsame Menschen, die keine stabilen zwischenmenschlichen Kontakte haben. Die Studienlage ist inzwischen so gut, dass wir sagen können: Einsamkeit ist ein unabhängiger Risikofaktor sowohl für das Auftreten einer Depression als auch einer Herzinsuffizienz.

Was lässt sich dagegen tun?

Waller: Wir sagen ganz klar: Für Menschen mit einer Herzinsuffizienz braucht es immer eine feste psychosoziale, psychosomatische Mitbetreuung. Grundsätzlich könnte das der Kardiologe machen, wenn er dafür eine entsprechende Zusatzqualifikation erworben hat. Für eine solche Zusatzausbildung setzen wir uns seit Jahren in der deutschen Gesellschaft für Kardiologie ein. Durchaus mit Erfolg: Inzwischen muss jemand in der Ausbildung zum kardiologischen Facharzt auch einen Grundkurs für Psychosomatik und Psychokardiologie absolvieren. Das ist ein Fortschritt, aber es dürfte noch Generationen dauern, bis sich das wirklich auswirkt und die Kardiologen tatsächlich sagen: Wir brauchen das, weil wir die Patienten sonst nicht ausreichend und umfassend behandeln können.

In einer Umfrage erklärten rund 60 Prozent der Betroffenen, eine bessere Lebensqualität sei ihnen wichtiger als eine längere Lebenszeit. Was bedeutet das für die Behandlung?

Psychokardiologin Prof. Dr. Christiane Waller. Foto: Klinikum Nürnberg

Waller: Das ist ein Argument mehr dafür, dass es darum geht, die Patienten umfassend zu betreuen. Medikamente sind wichtig, aber ebenso wichtig ist es, eine mit der Herzinsuffizienz verbundene Depression zu diagnostizieren und zu behandeln. Manchmal genügt es auch schon, die Patienten zu motivieren, aus ihrer sozialen Isolation herauszukommen. Das ist möglich, aber man muss sich dazu zwischenmenschlich mit den Patienten beschäftigen und darf ihnen das nicht alleine überlassen. Es gehört zur medizinischen Betreuung dazu, diese Faktoren mit zu berücksichtigen und auch Therapie-Optionen anzubieten.

Würde es nicht reichen, wenn die Kardiologen neben Herzmedikamenten auch Psychopharmaka verschreiben?

Waller: So einfach ist es leider nicht, zumal einige Psychopharmaka sich negativ auf den Herzmuskel auswirken und etwa die Pumpfunktion verschlechtern oder auch das Risiko für Herzrhythmusstörungen erhöhen können. Andererseits sind komplexere Interventionen eben aufwändig und kostenintensiv – ganz abgesehen davon, dass es in Deutschland nicht viele Psychokardiologen gibt. Ich selbst bin nach meiner Ausbildung zur Kardiologin in die Psychosomatik gegangen, weil ich schon damals den Bedarf gesehen habe. Aber ich betreibe die Psychokardiologie quasi als Steckenpferd –da bräuchte es allerdings noch viel mehr Einsatz von ärztlicher Seite.

Die Psychokardiologie hat sich also noch nicht bundesweit etabliert?

Waller: Davon sind wir weit entfernt. Bei den Kolleg:innen, die interventionell arbeiten, also etwa Herzkatheter einsetzen, ist die Psychokardiologie überhaupt kein Thema. Eher schon bei konservativ tätigen Kollegen, die dauerhaft chronisch kranke Patienten betreuen. Sie beschäftigen sich immer mehr damit und erwerben auch entsprechende Zusatzqualifikationen zur psychokardiologischen Grundversorgung. Aber eine solche Grundversorgung müsste auch von der Politik gefördert und von den Krankenkassen finanziert werden – beides ist bisher nicht der Fall.

Was tun sie als Psychokardiologin ganz konkret, um die Lebensqualität Ihrer Patienten zu verbessern – um ihnen also ein Leben mit möglichst wenig Beschwerden und Einschränkungen zu ermöglichen?

Waller: Dafür müssen die Patienten schon selber etwas tun. Aber ich kann sie unterstützen im Hinblick auf Selbstwirksamkeit und Verantwortlichkeit im Umgang mit der Erkrankung.

Wie sieht das konkret aus?

Waller: Zunächst einmal geht es darum, die Patienten ernst zu nehmen und mit ihnen über ihre Lebenssituation zu sprechen. Wenn jemand sagt, „ich komme nicht mehr aus dem Haus, ich schaff` das nicht mehr“, dann leite ich ihn an und motiviere ihn, sich das zuzutrauen und in kleinen Schritten trotzdem nach draußen zu kommen. Es ist nicht die Herzleistung, die das unmöglich macht, sondern es ist das eigene innere Zutrauen – und das lässt sich nur im Gesprächskontakt stärken. Eine Psychotherapie ist nur in Einzelfällen das Mittel der Wahl, bei Patienten, die psychisch so belastet sind, dass ein einfacher Gesprächskontakt nicht ausreicht. Bei allen anderen geht es um eine Anleitung der Lebensführung. Dazu gehört übrigens auch eine Anleitung zur Adhärenz, also dazu, medizinischen Empfehlungen zu folgen – etwa der regelmäßigen Einnahme von Medikamenten oder dem Absolvieren einer Physiotherapie.

Was aber, wenn jemand einfach Angst davor hat, dass etwa der Besuch einer Familienfeier das Herz zu sehr stresst?

Waller: Dann würde ich nachfragen, was diesen Stress verursacht – und deutlich machen, dass es nicht darum geht, den Stress zu vermeiden, sondern darum, besser damit umzugehen. Klar, bei so einer Feier könnte die Herzfrequenz ansteigen und eine innere Aufregung entstehen – aber das ist ja an sich nicht ungesund. Das gehört zum Leben dazu. Ungesund ist es, zwischenmenschliche Kontakte zu vermeiden – denn daraus entstehen Einsamkeit und Isolation, was wiederum die Herzinsuffizienz-Prognose verschlechtert.

Die Häufigkeit dieser Erkrankung nimmt stetig zu, aber die Sterblichkeit hat seit 2011 abgenommen – welche Erklärungen gibt es dafür?

© Myriams-Fotos auf Pixabay.com

Waller: Das ist eine schöne Entwicklung, die durch die verbesserten Behandlungsmöglichkeiten zu erklären ist. Die medikamentöse Versorgung hat sich in den letzten Jahren verbessert – und es wird auch mehr darauf geachtet, dass die Patienten ihre Medikamente tatsächlich einnehmen. In den Herzinsuffizienz-Ambulanzen wird regelmäßig abgefragt, ob sie alles gemacht haben, was notwendig ist – von der Medikamenteneinnahme bis zur Gewichtskontrolle. Das alles ist erfreulich. Trotzdem gibt es eine Kehrseite.

Welche?

Waller: Ich nenne es den „palliativen Teil“ der Behandlung. Denn trotz aller Fortschritte gehört die Herzinsuffizienz zu den prognostisch ungünstigen Erkrankungen. Sie ist genauso schwerwiegend wie eine Krebserkrankung. Auch in der Onkologie gab es einen riesigen Entwicklungsschub zu neuen Medikamenten – und trotzdem gilt Krebs nach wie vor als sehr ernste Erkrankung. Ich finde es für Herzinsuffizienz-Patienten einerseits wichtig, dass sie die Hoffnung bewahren und aktiv bleiben. Andererseits sollten sie das Recht darauf haben, sich mit dem Lebensende auseinander zu setzen und darin begleitet zu werden. Darum geht es nämlich ab einem bestimmten Punkt. Die Patienten spüren das auch selber und wir sollten sie damit nicht alleine lassen.

Was wünschen Sie sich von der Gesundheitspolitik, wenn es um die Behandlung von Herzinsuffizienz-Patienten geht?

Waller: Kardiologie und Psychosomatik sollten zusammenarbeiten und Patienten gemeinsam behandeln. Aber das geht nur, wenn die Gesundheitspolitik diese Versorgungsformen auch zur Verfügung stellt und wenn sie finanziert werden – beides ist im Moment noch nicht der Fall. Wir entwickeln hier bei uns am Klinikum eine solche interdisziplinäre Versorgungseinheit und werden das wissenschaftlich begleiten. Damit wollen wir zeigen: Es bringt etwas für die Patienten – vielleicht setzt die Gesundheitspolitik dann ja ein entsprechendes Modell auf.

Quelle: https://pharma-fakten.de/news/herzinsuffizienz-einsamkeit-ist-ein-risikofaktor/?utm_source=newsletter-434

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