Von Gisbert Kuhn

Autor Gisbert Kuhn

Na ja, zugegeben – so ein ganz klein bisschen stolz macht es schon, wenn einem bewusst wird, dass man mit zu den Ersten gehörte, die ein Bewusstsein für das unerwartete Aufkommen eines (sagen wir) Kollektivgefühls entwickelten. Oder vielleicht besser: für die Suche der Menschen nach einem Begriff, lieber noch einem Ort, vielleicht sogar einem Namen, mit dem sich sozusagen Empfinden, Gemüt, Wärme, Geborgenheit verknüpfen lassen. Vor ziemlich genau einem Jahr titelte rantlos in einem „angemerkt“: “Wieder entdeckt: Heimat“. Mittlerweile nimmt der Gebrauch dieses Wortes manchmal schon fast inflationäre Züge an. Ob Politik oder Journalismus, kommerzielle Werbung oder Tourismus – kaum ein Bereich inzwischen, wo nicht mit diesem emotionsbeladenen Wort operiert, diskutiert, kritisiert und auch heftig gestritten wird.

Jahrzehntelang verpönt

Was ist passiert? Jahrzehntelang war „Heimat“ in Deutschland verpönt, war von den selbst ernannten Wächtern der „Politischen Korrektheit“ auf den Sprach- wenn nicht sogar Denk-Index gesetzt und zum verbalen Lieblingsfeind der „Achtundsechziger“ sowie deren Jünger erklärt worden. „Heimat“, befand bis noch vor wenigen Jahren die nahezu gesamte, im aufgeklärten und gut situierten Weltbürgertum versammelte Linke mit einer Mischung von angeekeltem Naserümpfen und zornigem Bannstrahl-Schleudern, das röche doch unangenehm süßlich nach „Förster vom Silberwald“  und „Sennerin von St. Kathrein“. Das erinnere kitschig an Gartenzwerge. Und (viel schlimmer natürlich noch) „Heimat“ musste man ja, selbstverständlich erneut der „Politischen Korrektheit“ folgend, zwangsläufig verbinden mit der stets liebevoll gehegten Vorstellung von reaktionären Vertriebenenverbänden und deren vorgeblich insgeheim nie aufgegebenen Zielen der Rückgewinnung des nach dem Krieg Verlorenen.

Nun feiert dieser, aus dem heimischen Wortschatz doch eigentlich längst getilgte, Begriff mit einem Mal wieder fröhliche Auferstehung! Und zwar keineswegs – wie zu vermuten gewesen wäre –nur bei einigen unverbesserlichen Konservativen.  Im Bund, in Bayern und auch in Nordrhein-Westfalen sind mittlerweile sogar Ministerien um das Ressort „Heimat“ erweitert worden. Wer hätte, darüber hinaus, gedacht, dass sogar aus dem eher links-alternativen Lager nachdenkliche Stimmen zu dem Thema kommen? So etwa Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor einem Jahr in Mainz beim Tag der deutschen Einheit: „Ich bin überzeugt, wer sich nach Heimat sehnt, ist nicht von gestern. Im Gegenteil: Je schneller die Welt sich um uns dreht, desto größer wird die Sehnsucht nach Heimat“. Und gar die „grüne“ Katrin Göring-Eckardt: „Es ist unsere Heimat. Und in Sachen Heimatliebe lassen wir uns von niemandem übertreffen“.

Erkenntnis oder Wahlkampf?

Dies sind, in der Tat, erstaunliche Aussagen von unerwarteter Seite.  Wobei, keine Frage, nicht zu vermuten ist, dass die Renaissance des Heimatbegriffs allein das Resultat einer Selbsterforschung wäre – also einer Überprüfung früherer und inzwischen vielleicht als falsch erkannter Denkweisen. So sind besonders bei Göring-Eckardt deutliche Bezüge zur politischen Realität herauszuhören. Und diese Realität besteht aus den drei Buchstaben AfD. Das erschreckend schnelle Aufwachsen dieser rechtsnationalen Partei ist natürlich ein wesentlicher Grund dafür, dass man das gefühlsmäßig besetzte „Heimat“-Thema auch für sich wieder entdeckt hat. Aber, Steinmeier hat Recht, es ist nicht nur dieser eher taktisch motivierte Aspekt. Angesichts der rasend galoppierenden politischen, wirtschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen weltweit wächst bei vielen Menschen ganz natürlich und automatisch der Wunsch nach einem geografischen und menschlichen Ankerplatz. Einfach gesagt: Nach Heimat.

Es hat immer wieder Anläufe gegeben, den Begriff sozusagen wissenschaftlich einzurahmen.  Heimat, so schrieb ein Forscher, sei die „Beziehung zwischen Mensch und Raum“. Ob das bei irgend jemandem eine Gefühlssaite zum Klingen bringt? Eher unwahrscheinlich. Ist Heimat das Vaterland? Oder dort, wo die Muttersprache daheim ist? Lässt sich die Vokabel geografisch eingrenzen? Ist es Zufall, dass es „Heimat“ in keiner anderen Sprache als der deutschen gibt? Die Angelsachsen übersetzen es mit „homeland“ oder „native country“. Doch das trifft den spezifischen Kern genauso wenig wie das französische „patrie“. Der Sozialdemokrat Gustav Heinemann, einer der Vorgänger von Steinmeier als Bundespräsident, hatte bei seiner Antrittsrede am 1. Juli 1969 im Deutschen Bundestag gesagt:  „Es gibt viele schwierige Vaterländer. Eines der schwierigsten ist Deutschland. Aber es ist unser Vaterland“.

Wohlgemerkt: Vaterland

Wohlgemerkt – von „Vaterland“ hatte Heinemann gesprochen. Nicht von „Heimat“. Vielleicht kein Wunder in einem Land, das (die längste Zeit politisch und staatlich zerrissen) seit mehr als 200 Jahren mit diesem Begriff ringt und hadert. Schon der Dichter Joseph von Eichendorff trauerte vor etwa zwei Jahrhunderten melancholisch um seine „untergehende Heimat“. Und der ebenso national wie freiheitlich gesinnte Ernst-Moritz Arndt fragte geradezu verzweifelt: „Was ist des Deutschen Vaterland?“  Sollen nun alle Literaturfreunde ihre Eichendorff- und Arndt-Gedichte fortschmeißen? Weil etwa die „Grüne Jugend“ – gewohnt schulmeisterlich und daher natürlich auch keinen Widerspruch duldend – uns zu belehren versucht, dass „Heimat“ ein „Begriff der Gegenaufklärung und Irrationalität“ sei?

Es ist gewiss ebenso kein Zufall, dass auch auf dem Mediensektor längst Verlage und Redaktionen eingeschwenkt sind, die früher bei der Erwähnung von „Heimat“ nur Spott und Ironie von sich gaben. Wer die Auflagezahlen halten will, tut eben gut daran, sich Zeitströmungen nicht entgegen zu stellen. Aber ganz abgesehen davon – wer sich ernsthaft mit dem Phänomen auseinandersetzt, weiß sehr schnell, dass „Heimat“ nicht unbedingt die Farben schwarz-rot-gold trägt. Das Wort vereint eben viele verschiedene Facetten und ist vor allem ein Gefühl. Wäre dem nicht so, dann gäbe es sicher auch keine Erklärung dafür, warum sich ausgerechnet mit diesem Begriff so viele Schicksale, Tragödien und Verzweiflung verknüpfen. Genauer gesagt: Mit dem Verlust von „Heimat“. Der Dichter Theodor Fontane schrieb einst: „Erst die Fremde lehrt uns, was wir an der Heimat besitzen“.

Die Macht des Gefühls

Und der KZ-Überlebende Jean Amery befand: „Man muss Heimat besitzen, um sie nicht nötig zu haben“. Hier ist es also wieder – das Gefühl. Man weiß es vor allem aus den Erzählungen von Emigranten. Von Menschen also, die – im ganz eigentlichen Sinne des Wortesentwurzelt wurden.  Denen sich die Ferne verklärte und dadurch die Sehnsucht unerträglich wurde. Er sei, schrieb der von    den Nazis ausgebürgerte Schriftsteller Stefan Zweig, „müde von den langen Jahre heimatlosen Wanderns“. Kurz danach nahm er sich mit seiner Frau 1942 in Brasilien das Leben.    

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