Warum laufen bei uns so Viele hinter plumpen Parolen her?

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Autor Gisbert Kuhn

Vielleicht hat Alexander Gauland, der Vize-Vorsitzende der rechtsgerichteten „Alternative für Deutschland“ (AfD) ja wirklich mit den bei vielen unserer Zeitgenossen ohne Zweifel vorhandenen rassistischen Neigungen zündeln wollen, als er jüngst in einem Gespräch mit zwei Journalisten der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung den dunkelhäutigen Weltklasse-Fußballspieler Jerome Boateng (wie danach die Zeitung titelte) „beleidigte“. Natürlich war sofort – und nicht nur in den ja permanent fiebrigen (un)sozialen Netzen – die Aufregung groß. Ob Bundespräsident, Kanzlerin, Deutscher Fußball-Bund, ob Kölner Kardinal oder Wirtschafts- und Gewerkschaftsvertreter, ob Repräsentanten von Wohlfahrtsverbänden oder abertausende „Normalbürger“ – sie alle sprangen empört auf und ließen ihrer Entrüstung freien Lauf.

 Wo ist die Beleidigung?

Wie gesagt, möglicherweise hat Gauland den Kicker tatsächlich herabwürdigen wollen. Aber trotzdem ging der Schuss medial nach hinten los. Denn das in der FAS widergegebene Zitat lässt zumindest die Titel-Aussage nicht zu. Schlimm genug. Aber noch schlimmer ist die Art, wie der „Skandal“ journalistisch zustande kam und wer alles sich unverzüglich und bedenkenlos anhängte. Und das Allerschlimmste dabei ist der weitere Schaden, den sich die mittlerweile in ihrem Ansehen ohnehin schon stark beschädigten Medien („Lügenpresse“) damit selbst zugefügt haben. Was hat Gauland in einem (noch  nicht einmal zum Zitieren angelegten!) Hintergrundgespräch gesagt? „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben“. Dieser Satz ist zunächst einmal nichts anderes als eine Feststellung und eine Banalität dazu. Wenn damit eine Beleidigung verbunden wäre, dann doch nicht gegen den farbigen Kicker, sondern allenfalls gegen die verbohrten Nachbarn. Möge sich doch jeder empörte Mitbürger selbst fragen, ob er die von ihm (möglicherweise sogar auch noch „schwarz“) beschäftigte kosovarische Putzfrau gern als Nachbarin hätte…

Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen – mir gehen Menschen wie Alexander Gauland mit ihrer völkischen Tour gehörig auf den Geist. Und ich empfinde eine Erscheinung wie die AfD als unangenehm, störend und eigentlich beleidigend für ein Land mit – zumindest mehrheitlich – gebildeten Bürgern, die zudem einen nahezu unerschöpflichen Zugang zu allen politischen und gesellschaftlichen Informationen besitzen. Für die es also ein Leichtes wäre zu erkennen, dass in einer komplizierten, ohne Frage auch gefährlichen, Welt keine simplen „Rezepte“ Lösungen bringen können. Die zwar von einer abgeschotteten Insel der Glückseligen träumen dürfen, aber trotzdem wissen müssten, dass eine solche ein bloßes Hirngespinst bleiben wird in einer immer stärker globalisierten und digitalisierten Zeit und dies zudem in einem Land, das – wie kein anderes – von Nachbarn umgeben ist.

Klicks, Schlagzeilen, Quoten

Damit sind wir wieder bei den Medien. Es ist ja kein Geheimnis, dass sich vor allem die Printpresse wegen der ausbleibenden Anzeigen in einer äußerst schwierigen wirtschaftlichen Lage befindet. Die so genannten „Qualitätszeitungen“ wie FAZ und Süddeutsche  oder Magazine wie Spiegel und Stern machen da keine Ausnahme. Warum sonst wohl sprangen sie alle – zumindest in ihren online-Ausgaben – ohne Zögern und ohne Prüfung auf den vemeintlichen Gauland/Boateng-Skandalzug auf? Warum hat niemand nachgefragt, wie das angebliche Zitat zustande kam? Weshalb hat keiner der sich ansonsten doch so gern „investigativ“ gebenden Rechercheure nach Beweisen gefragt, um danach herauszufinden, dass die beiden FAS-Redakteure keine Tonaufnahme, sondern nur Notizen hätten beibringen können. Und dass sie den anstößigen Satz dem AfD-Mann offensichtzlich auch noch in den Mund gelegt hatten.

Wer selbst mehr als 40 Jahre national und international als Journalist gearbeitet hat, dem tun solche Praktiken weh. Mehr noch – er schämt sich. Denn sie zerstören ein Berufsbild, das (wie kaum ein anderes) von Glaubwürdigkeit lebt und damit von der Seriosität einer Arbeit mit dem Ziel, durch Recherche und Gegenrecherche der Wahrheit wenigstens so nahe wie möglich zu kommen. Dann allerdings – wenn die Ergebnisse solcher Art Recherche zu beweisen sind – müssen sie auch veröffentlicht werden. Und zwar ohne Rücksicht auf politische Konsequenzen, auf bestimmte Personen, auf ethnische oder religiöse Gruppen – anders also als es z. B. nach der Silvesternacht in Köln geschah. Es war ein Skandal, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen geschlagene fünf Tage versteichen ließ, bevor es die Vorfälle zwischen Dom und Hauptbahnhof an die Spitze seiner Nachrichtensendungen hievte! Das Schlüsselwort im Journalismus heißt allein: Wahrheit. Genau dagegen ist in der angeblichen „Gauland-Affäre“ auf gröbste Weise verstoßen worden! Statt wirkliche Information zu liefern, ging es den Autoren (und ihren „followern“) allein um Klicks, Aufmerksamkeit und Quote. Dabei gibt es unendlich viele gute Gründe und Argumente, sich gegen die Gefahren eines neuen Nationalismus zu wehren und dessen Missionare in die Schranken zu weisen. Gerade in diesem Land und vor allem auch in einer Zeit, in der das Krebsgeschwür der Intoleranz mit seinen Angriffen auf die Mitmenschlichkeit sich überall auch um uns herum ausbreitet.

Das schlimme Heer der „Freunde“  

Erstaunlicherweise haben – nach der ersten Aufgeregtheit – die mittlerweile aufgedeckten Hintergründe vom Zustandekommen der Gauland-Story in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle gespielt. Das mag, nicht zuletzt auf der medialen Seite, vielleicht mit einer gewissen Verlegenheit, ja Scham wegen der eigenen Versäumnisse erklärbar sein. Aber die Kritik gilt nicht minder dem riesigen Heer der sich im Netz herumtreibenden „followers“ von zumeist selbst ernannten Meinungsführern. Dabei könnten Dienste wie „facebook“ und andere wertvolle Plattformen für Ideen, Vorschläge, seriöse politische Initiativen und zahllose Formen von Mitarbeit am öffentlichen Leben bieten.

Was ja auch von zahlreichen seriösen, ernst zu nehmenden Leuten geschieht. Nur leider gehen diese zumeist unter in dem amorphen Heer jener „Freunde“, deren Ehrgeiz ganz offensichtlich nicht selten allein darin besteht, irgendwelche von digitalen Meinungsführern eingestellte „postings“ mit eigenen Beschimpfungen etwa von Politikern oder Angriffen auf öffentliche Einrichtungen oder im Rampenlicht stehende Persönlichkeiten möglichst noch zu toppen – also auf einen Schelm anderthalbe zu setzen. Demnach haben natürlich all jene, die sich politisch oder gesellschaftlich engagieren, von nichts eine Ahnung, schaufeln sich bloß  Geld in die eigenen Taschen und höhlen täglich immer mehr unseren Rechts- und Sozialstaat aus. Natürlich drängt sich angesichts dieser weitsichtigen und integren „Freunde“ die Frage auf, warum sie sich denn nicht selbst einem solchen öffentlichen Engagement aussetzen. Möglicherweise weil sie wissen, dass jeder Chef einer mittelgroßen Sparkasse mehr verdient (nein: erhält) als zum Beispiel die Bundeskanzlerin?

Ja, ich gebe es zu – ich ärgere mich mitunter mächtig über die Gesellschaft, deren Mitglied ich  ja auch bin. Ich ärgere mich über die Miesepetrigkeit in einem Land, das in so vielen Bereichen seinesgleichen sucht und außerhalb seiner Grenzen wohl auch nicht zufällig häufig genug als modellhaft angesehen wird. Ein Land, das indessen den (höchst relativen) Begriff „Gerechtigkeit“ gern (und leichtfertig) zu einer absoluten Größe stilisiert, statt sich realistischer Weise damit zu begnügen, trotz immer verbleibender Fehler einer möglichst breiten „Gerechtigkeit“ wenigstens nahe zu kommen. Kurz, es ist schade, dass diese Gesellschaft es so häufig versäumt, selbst die beste Suppe zu genießen, weil sie stets auf der Suche nach einem Haar ist.

Gisbert Kuhn

Der Autor ist direkt zu erreichen unter www.gisbert.kuhn@rantlos.de

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