Von Gisbert Kuhn

Gisbert Kuhn

Herbert Reul ist, fraglos, eine Ausnahme unter den deutschen Politikern. Der CDU-Mann und Innenminister von Nordrhein-Westfalen, versteckt sich bei seinen Aussagen oder Problem-Beschreibungen nicht hinter Floskeln oder sucht Schutz hinter inhaltslosem Allgemein-Blabla. Stattdessen spricht er Klartext und bestätigt in vielen Fällen nur das, was die Bürger schon seit Langem an Fehlentwicklungen und Gefahren erkannt haben. Das schafft, wie man weiß, nicht nur Freunde.

Jüngstes Beispiel: Reuls Bekanntgabe bei der Vorstellung der aktuellen Kriminalstatistik in NRW, dass mehr als ein Drittel aller Straftaten – vom Taschenklau über Gewalt-Ausübung bis zu Totschlag und Mord – von Ausländern bzw. Menschen mit ausländischen Wurzeln begangen werden. Vermutlich ist dieser Anteil in Wirklichkeit noch deutlich höher, weil (aus unterschiedlichen Gründen) bei weitem immer noch nicht alle Fälle in die amtliche Statistik aufgenommen werden. Man dürfe, so der Haupteinwand, nicht Kriegsflüchtlinge, Armutsmigranten und ethnisch bzw. religiös Verfolgte durch eine entsprechende Benennung „unter Generalverdacht“ stellen und diskriminieren.

Dieser Einwand ist insofern partiell richtig, als natürlich immer noch der bei weitem größere Anteil von Straftaten von (nennen wir sie einfach) Landsleuten begangen werden, die wissenschaftlich und medial mittlerweile gern als „Bio-Deutsche“ betitelt werden. Das ist aber doch wohl nicht unbedingt ein Grund, besonders stolz darauf zu sein. Und auch gar nicht das eigentliche Problem. Das Dilemma war (und ist es leider noch immer), dass im Laufe der Jahre von lautstarken Gruppierungen in der Gesellschaft unter dem Schlagwort angeblicher Liberalität und Gerechtigkeit regelrechte Tabus und Denkverbote verbreitet wurden.

Es ist jedoch kein Law-Order-Faschismus, zu erkennen, zu registrieren und auch öffentlich zu benennen, wenn sich während der vergangenen Jahrzehnte vor allem im Zuge der Massenzuwanderung nach Deutschland höchst problematische Entwicklungen im Lande vollzogen haben. Und zwar unter den Augen der doch eigentlich für die Sicherheit und das gedeihliche Zusammenleben verantwortlichen Politiker (nicht so sehr der Sicherheitsbehörden). Ein erster, schriller Weckruf in dieser als immer so schön und friedlich eingeredeten Schein-Wirklichkeit waren die Ausschreitungen, Raubdelikte und sexuellen Übergriffe hunderter junger, erkennbar nordafrikanischer bzw. nahöstlicher Migranten während der Silvesternacht 2015/16 am Kölner Hauptbahnhof.

Aber selbst angesichts einer nahezu erdrückenden Beweislage wurden, auch während der folgenden Ermittlungen, noch immer nicht Ross und Reiter beim Namen genannt. Die in Köln ansässige größte ARD-Anstalt brauchte sogar mehrere Tage, bis das vor ihrer Haustür passierte Geschehen bei ihm Eingang in die Top-Nachrichten fand. Man dürfe doch nicht mit General-Verdächtigungen bestimmter ethnischer Gruppen „den Rechten“ in die Hände spielen… In einer solch gewachsenen Schweige-Atmosphäre war es denn auch kein Wunder, dass sich in NRW-Städten wie Duisburg, Essen, Leverkusen und Dortmund, aber auch in Berlin und Frankfurt vor allem aus dem Nahen Osten stammende Familienclans praktisch ungehindert ausbreiten und private Herrschaftsbereich gründen konnten, in denen nur ihr eigenes Recht galt – und noch immer gilt. Reviere, in die sich selbst die Polizei bloß noch in Kompaniestärke traute. Alles war seit Jahren bekannt, dagegen unternommen wurde jedoch nichts.

Tatsächlich war es erst der eingangs erwähnte Herbert Reul, der zum Beispiel das Problem Banden- und Klan-Kriminalität zur „Chefsache“ machte und eine „Null-Toleranz-Strategie“ verkündete. Seither löst eine polizeiliche Razzia in den kriminellen Familien Hot-spots die andere ab, und die Szene befindet sich ganz schön in Aufregung. Dass die Sicherheitsbehörden dem Minister Beifall und Anerkennung spenden, war zu erwarten. Interessanterweise sprang mittlerweile auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser auf den Wagen auf. Na klar, spätestens nach den Erfolgen der rechtsextremistischen und in Teilen gar die Nazis verklärenden „Alternative für Deutschland“ (AfD) bei den bayerischen und hessischen Landtagswahlen im vorigen September und deren prognostizierten Erfolgen in diesem Jahr ist Feuer unter den Dächern der demokratischen Traditionsparteien.

Mit einem Mal ist Realismus eingekehrt in deren Denken – zumindest bei den meisten. Inzwischen weiß man nicht nur, sondern spricht es (immer mal wieder) aus, dass es gleichgültig ist, welche Hautfarbe, welches Geschlecht, welche Religion oder welche Nationalität jemand hat, der seinen Mitmenschen böse in die Quere kommt. Entscheidend ist allein die (Un) Tat, ist deren Verfolgung und Bestrafung. Eigentlich eine Binsenweisheit und absolut keinerlei Ausdruck irgendeiner politischen Richtung. Es ist vielmehr die einfachste und doch wirkungsvollste Einsicht für die Gestaltung eines friedvollen, sich durch gegenseitigen Austausch befruchtenden Zusammenlebens in einer durchaus unterschiedlich geprägten Gesellschaft.

Wie lange wird es wohl dauern, bis solches simple Wissen in die Köpfe dringt? Ob wohl ein Herbert Reul ausreicht, um einfache Tatbestände beim Namen zu nennen und damit die „Wahrheit“ nicht den Demokratie-Verderbern zu überlassen? Höchst wahrscheinlich leider nicht.Und wie aufgeklärt und politisch verantwortungsbewusst ist dieses Volk mittlerweile, damit es nicht ein zweites Mal sehenden Auges in eine Katastrophe rennt. Und zwar – genau wie 1933 – durch eigenes Wahlverhalten.

 

Gisbert Kuhn ist Journalist und war über viele Jahre innenpolitischer Korrespondent für zahlreiche Zeitungen sowie Mitarbeiter bei Rundfunk und Fernsehen in Bonn und Brüssel.

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