Die Realität lässt grüßen
Emmanuel Macron baut Frankreich um und bezahlt dafür mit seiner Beliebtheit.

Insgesamt hat Emmanuel Macron einen sehr aktiven Start in die Präsidentschaft hingelegt und auch schon viel erreicht. Sein erster und wichtigster Erfolg war, dass er sich die parlamentarische Mehrheit sicherte, was zuvor unmöglich schien, weil seine Partei erst ein Jahr zuvor als Bewegung gegründet worden und noch nie zu einer Wahl angetreten war. Dank dieses Sieges machte er sich unabhängig von anderen politischen Parteien, und nach einer Scheinbeschäftigungsaffäre verließen auch die Vertreter der zentristischen Demokratischen Bewegung MoDem die Regierung, die ihn in der Wahl unterstützt hatte.
Auf der internationalen Bühne demonstrierte Macron seine Entschlossenheit, sich gegen Donald Trump zu behaupten, zunächst durch den ausgiebig dokumentierten eisernen Handschlag, dann, als er mit dem Tweet „Make the planet great again“ auf Trumps Drohung reagierte, sich aus dem Pariser Klimaschutzabkommen zurückzuziehen. Danach schlug Macron allerdings leisere Töne an und empfing Trump zu einem Staatsbesuch, weil ihm klar ist, dass er die USA als Verbündeten an seiner Seite braucht. Zuvor hatte er schon Wladimir Putin in Versailles getroffen und mit ihm über gemeinsame Interessen im Kampf gegen den Terrorismus gesprochen, allerdings nicht ohne Russlands Menschenrechtsverstöße anzuprangern. Im Inland brachte er sein erstes größeres Gesetzgebungsverfahren durch, das darauf abzielt, im öffentlichen Leben Ordnung zu schaffen.
Das war ein zentrales Wahlkampfversprechen, ausgelöst von dem Skandal, der François Fillon zu Fall brachte. war zugleich Bestandteil der Vereinbarung mit MoDem. Allerdings war auch seine eigene Regierung nicht immun gegen Korruptionsskandale, die seine Position geschwächt haben. Und schließlich errang er die Zustimmung des Parlaments, Arbeitsmarktreformen per Erlass durchzupeitschen.
Zustimmungswerte dramatisch gefallen
Macrons anfänglichen Popularitätswerte waren – keine wirkliche Überraschung – nicht zu halten, denn sie illustrierten lediglich, dass die Leute ihn als Projektionsfläche für ihre eigenen Hoffnungen sahen. Als sie ihn besser kennenlernten, musste zwangsläufig Enttäuchung einkehren. Die schon erwähnten Skandale in seiner Regierung, der öffentlichkeitswirksame Rücktritt seines Generalstabschefs im Streit über Militärausgaben und sein reserviertes Verhältnis zur Presse haben seinem Image geschadet. Macrons Alleinstellungsmerkmal, nämlich das Spektrum der politischen Rechten und Linken abzudecken, ist potenziell auch seine größte Schwäche, weil er mit jeder politischen Maßnahme die eine oder andere Seite zu verprellen droht.
Er spielt offensichtlich den Platzhirsch
Im Wahlkampf versprach Macron eine repräsentativere französische Politik, indem er Frauen und Männern außerhalb des traditionellen politischen Establishments mehr Posten anbot. Ist ihm das gelungen?
Nur zum Teil. Seiner Regierung gehören zwar zu 50 Prozent Frauen an. Zudem kommen tatsächlich zahlreiche Mitglieder nicht aus der traditionellen Parteipolitik. Auch fast die Hälfte der Abgeordneten sind Frauen, und es herrscht eine größere Vielfalt als im vorigen Parlament. Die wichtigsten Persönlichkeiten in der französischen Politik sind jedoch noch immer fast ausschließlich Männer. Sie besetzen die meisten Spitzenposten der Regierung, stellen die Top-Berater im Elysée-Palast und haben viele der Schlüsselpositionen im Parlament inne. Es reicht nicht, wenn Frauen präsent sind, sie müssen auch Macht erhalten, sonst wirken Macrons Bemühungen wie Alibi-Aktionen und Augenwischerei. Er hat auch sein Versprechen gebrochen, ein vollwertiges Frauenministerium zu schaffen, und die reduzierte Version wird von einer Frau mit recht zweifelhaften feministischen Referenzen geleitet. Die neuen Parlamentarier kommen außerdem überwiegend aus sehr privilegierten Verhältnissen. So hat der Präsident zwar Fortschritte durchgesetzt, doch es liegt noch ein weiter Weg vor ihm.
In der Vorwahl präsentierte sich Macron als politischer Außenseiter. Doch im Amt wird er nun beschuldigt, elitär, ja autoritär zu sein. Was für ein Präsident will er eigentlich sein?
Er gibt recht offensichtlich den Platzhirsch und offenbart definitiv autoritäre Züge. So hat er seinen Premierminister brüskiert, als er – in Frankreich nie dagewesen – einen Tag, ehe dieser seine Regierungspolitik darlegen wollte, eine Rede zur Lage der Nation hielt. Er umgab sich mit getreuen Anhängern und Neulingen, die seiner Autorität nicht gefährlich werden können. Die Medien hält er sich vom Leibe. Darüber hinaus möchte er das Parlament in ein technokratisches Gremium umwandeln, das statt seiner derzeitigen eher repräsentativen Funktion die Überprüfung der Gesetzgebung der Regierung übernimmt. Doch all das hat seinen Preis. Denn eine Zentralisierung der Macht führt dazu, dass er allein die Verantwortung trägt. Geht etwas schief, kann er die Schuld nicht so leicht auf andere abwälzen.
Macrons größte Prüfung liegt vielleicht noch vor ihm, denn im Herbst will er die Reform des französischen Arbeitsmarkts durchbringen. Wie stehen seine Chancen?
Politisch dürfte er keinerlei Schwierigkeiten haben, seine Reformen durchzusetzen. Die Zustimmung des Parlaments, die Reformen per Erlass zu verfügen, hat er bereits. Doch selbst wenn er das nicht täte, besäße er eine loyale parlamentarische Mehrheit, die seine Wünsche bereitwillig umsetzt. Die vor ihm liegende, viel größere, Schlacht findet indessen wahrscheinlich auf der Straße statt, denn die Franzosen werden zweifellos gegen seine Pläne zur Umgestaltung des Arbeitsmarkts und des Arbeitsrechts mobil machen. Solche Rebellionen haben schon manchen Präsidenten zum Rückzug gezwungen, weil sie Frankreich völlig zum Stillstand bringen können. Doch Macron weiß das, und nicht wenige erwarten, dass er die Nerven behalten und allenfalls ein paar kleine Zugeständnisse machen wird, aber von den Kernprinzipien seiner Vorhaben nicht abrücken wird. Seine Präsidentschaft steht noch am Anfang, und die Reformen werden erst nach einiger Zeit Früchte tragen. Daher muss er seine Chance jetzt nutzen. Da Emmanuel Macron gern Stärke und Macht demonstriert, besteht tatsächlich eine Chance, die Reformen nach Thatcher-Vorbild durchboxen.
Man wirft ihm bereits vor, dass er mehr nach rechts als nach links tendiert.
Wie könnten die französischen Sozialisten die Unzufriedenheit wegen der Reformen nutzen, um verlorenen politischen Boden wieder gutzumachen?
Diese Wahl markierte den Tiefpunkt für die Sozialisten. Und die Frage stellt sich: Kommen sie wieder auf die Beine, oder gehensie endgültig unter. In der Linken wächst, ohne Frage, die Unzufriedenheit mit Macrons neoliberaler Politik. Doch die Sozialisten können auf ein besseres Wahlergebnis nur hoffen, wenn sie zu größerer Einigkeit gelangen. Im Moment zersplittern sie in alle Richtungen und haben sich nach der massiven Niederlage noch nicht wieder gefangen. Sie haben, zweifellos, das Potenzial, in der französischen Politik wieder Boden zzu gewinnen. Doch die Erholung wird langsam und schmerzhaft sein. Die Schlüsselfrage lautet, ob sie ihre internen Spaltungen überwinden und und überzeugende politische Angebote präsientieren können, bevor ihre traditionellen Anhäger endgültig zur Mitte oder nach ganz Links abwandern.
Eine der umstrittensten politischen Maßnahmen Macrons bislang ist seine Entscheidung, das Wohngeld für Studenten und Arme zu streichen und gleichzeitig eine Steuerreform einzuführen, die in erster Linie den Reichen nützt. Begeht er damit politisch und wirtschaftlich einen Fehler?
Man wirft ihm bereits vor, dass er mehr nach rechts als nach links tendiert. Und er weiß, dass er das mit eher „linken“ Maßnahmen ausgleichen muss. Politisch ist sein Handeln nur logisch, weil die Linke in Auflösung begriffen ist und seine derzeitige Politik darauf abzielt, die Rechte zu spalten und zu erobern. Kurzfristig kann er damit durchkommen, aber langfristig muss er eine bessere soziale Agenda vorweisen, wenn er die Unterstützung von Mitte-Links behalten und sich von der breiten Rechten absetzen will.
Macron hat seine Bereitschaft signalisiert, etwa in der Verteidigung und der Eurozone eng mit Deutschland zusammenzuarbeiten. Wird das französisch-deutsche Bündnis, das in der EU so beherrschend war, wohl wieder gestärkt?
Ja. Macron und Merkel liegen politisch auf einer Linie, und beide haben ein starkes Interesse daran, die EU vor den verschiedensten Gefahren zu schützen. Angesichts eines flatterhaften US-Präsidenten, eines bedrohlichen russischen Machthabers, der anhaltenden Migrationskrise und des anstehenden Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union sind Frankreich und Deutschland mehr denn je aufeinander angewiesen. Macron ist ausdrücklich EU-freundlich und sehr an einer engen Zusammenarbeit mit Deutschland interessiert.
Die Fragen stellte Ellie Mears
Rainbow Murray ist Politik-Professorin an der Queen Mary University in London mit einem Schwerpunkt auf französischer Politik. Als Gastprofessorin war sie an der Ecole Normale Supérieur de Paris und Sciences Po tätig.