Diagnose Faschismus

Wie die heutige extreme Rechte Hass, Propaganda und pseudo-demokratische Methoden nutzt, um sich die Macht zu sichern.

Rechtsextreme Parteien, die entweder neu entstanden sind, direkte oder indirekte Nachkommen faschistischer Parteien sind, kommen in letzter Zeit vermehrt in Europa an die Regierungsmacht – zuletzt in Italien, wo es Giorgia Meloni an die Regierungsspitze schaffte. Vorher regierten in Österreich schon die Freiheitlichen mit, deren Vorläufer schon in den vierziger Jahren als Ex-Nazi-Sammelbecken gegründet wurden. Aber auch Ultrarechts-Parteien wie die Schwedendemokraten sind nicht einfach „populistisch“ – sie haben mit Mussolini mehr gemein als mit dem Peronismus, um das ganz schematisch zu sagen.

Italiens Diktator Benito Mussolini auf einem Wahlplakat © Digital Millennium Copyright Act“ (DMCA)

Dennoch drücken wir uns um das F-Wort, den Faschismus-Begriff herum. Empört würden die neuen Ultrarechten meist das Attribut „Faschismus“ zurückweisen, schließlich gebe es ja keinen Terror gegen Andersdenkende, keine endemische Gesetzlosigkeit und Straßengewalt, keine Konzentrationslager und keinen Holocaust. Gegner der Rechtsextremisten machen um den Faschismus-Begriff einen großen Bogen, aus dem intuitiven Wissen heraus, die Rechtsextremen würden es nur als weiteren Beleg dafür nehmen, dass „das Establishment“ mit unlauteren Mitteln ihre Legitimität untergraben und die Meinungen ihrer Wähler „ausgrenzen“ wolle.

Aber es bleibt ein Problem: Auch die historischen „Faschisten“ waren nicht erst Faschisten, als sie die vollständige faschistische Herrschaft etabliert hatten. Sie waren es vorher schon. Und sie etablierten die faschistische Herrschaftsform auch nicht mit einem Schlag. Selbst die Nazis entrechteten beispielsweise Juden juristisch und markierten sie als Menschen zweiter Klasse mit verwerflichen Charaktereigenschaften, bis die Stimmung für gewaltsame Pogrome bereit war. Das Novemberpogrom fand nicht 1933 statt, sondern 1938.

Die historischen Faschisten waren auch in ihren Mittel flexibel: Mussolini war Sozialist, bevor er zum Faschisten wurde. An dieser Wende stand eine Erkenntnis des machtbewussten Ehrgeizlings: dass die Wut, der Hass und auch die Angst viel stärkere politische Emotionen sind als die Hoffnung. Die Sozialisten mobilisierten die Hoffnung, die Faschisten den Emotionsmix aus Angst und Hass.

Die Sozialisten mobilisierten die Hoffnung, die Faschisten den Emotionsmix aus Angst und Hass.  

Egal wie man sie bezeichnet: ob als Faschisten, „nur“ als Rechtsextremisten oder harte Rechte – es ist anzunehmen, dass sie künftig noch mehr Erfolge feiern werden. Zwar sind die modernen Gesellschaften, zumal die fortschrittlichen Ökonomien und liberalen Gemeinwesen des historischen Westens heute in jeder Hinsicht vielfältig – in Lebenslagen, in Hinblick auf soziale Milieus, in Hinblick auf politische und weltanschauliche Mentalitäten sowie in ethnischer Hinsicht. Das heißt: Selbst da, wo die Rechte sich zur harten Rechten radikalisiert und großen Zuspruch findet, gibt es meist Mehrheiten, mindestens die Hälfte der Bevölkerung, die diese radikalisierte Rechte leidenschaftlich ablehnt.

Aber diese Rechte bestimmt oft die Diskurse, während ihre Gegner defensiv bleiben. Man kann dafür das Unvermögen der Linken, Progressiven und Liberalen verantwortlich machen – aber es gibt dafür wohl auch tiefere Gründe. Diese haben mit oftmals analysierten Erscheinungen zu tun, etwa dem Neoliberalismus oder auch der Entfremdung der klassischen Arbeiterparteien von ihren tragenden Milieus und dem Gefühl der arbeitenden Klassen, nicht mehr repräsentiert zu sein. Aber jetzt kommt noch etwas dazu: tiefe Angst – Angst vor globaler Instabilität, Angst vor Abstieg und Wohlstandsverlust sowie eine allgemeine politisch-depressive Grundstimmung. Es gibt wenig Optimismus und viel Pessimismus. Fatalistischer Pessimismus ist der Treibstoff aggressiver Engherzigkeit.

Wer Angst vor dem Abstieg und ökonomischen Verlusten hat, will das, was er hat, verteidigen. Am liebsten hätte er Mauern um sich rum, die ihm den Unbill der Welt vom Leib halten. Die Hoffnung hat einen schweren Stand, wenn Veränderung nur mehr als Verschlechterung vorstellbar ist. Wirtschaftskrise, Energiekrise, Kriegsgefahr, Inflation – all das verdüstert die allgemeinen Stimmungen. Man kann die Abwehr-Reaktionen, die den Rechten günstig sind, sogar gut verstehen.

„Heute ist der Faschismus nicht expansiv, sondern kontraktiv“, schreibt Georg Diez in der taz. Kia Vahland formuliert in der Süddeutschen Zeitung, der Faschismus sei nicht nur eine Herrschaftsform, „sondern auch eine Haltung. Und diese feiert leider gerade in verschiedenen Formationen und politischen Systemen ihre Wiederkehr.“ Die extreme Rechte heute will keine Weltreiche erobern, sondern sich die Welt vom Leib halten. Sie verspricht Abwehr vor Veränderungen. All das würde aber nicht einmal die Diagnose „rechter Extremismus“ rechtfertigen, von Faschismus ganz zu schweigen.

Die extreme Rechte heute will keine Weltreiche erobern, sondern sich die Welt vom Leib halten.

Was charakterisiert die extreme Rechte heute also, inwiefern ist sie dem historischen Faschismus ähnlich, was unterscheidet sie von diesem? Der historische Faschismus war als Herrschaftsform reaktionär, sowohl in der Praxis als auch in den explizit vorgetragenen Zielen. Er war explizit gegen die Demokratie und den Parlamentarismus und auch explizit für einen autoritären Führerkult. Zwar hat sich auch der historische Faschismus auf das „gesunde Volksempfinden“ und auf angebliche Mehrheitsmeinungen „des Volkes“ berufen, er kaperte aber selten demokratische Instinkte.

Der heutige Faschismus dagegen beruft sich auf demokratische Werte und behauptet, er sei die Stimme jenes Volkes, das von Minderheiten – „der Elite“ – unterdrückt werde. Sogar Werte des Liberalismus und des hedonistischen Konsumismus wissen seine Protagonisten zu benutzen, womit er sogar in anti-autoritäre Milieus ausstrahlt, wie die Soziologen Oliver Nachtwey und Carolin Amlinger ausführten: Werte wie „Autonomie“, „Selbstbestimmung“ und „Selbstverwirklichung“ lassen sich erstaunlicherweise gut in autoritäre Bewegungen integrieren. Die extreme Rechte camoufliert sich häufig gekonnt als Freiheitsbewegung gegen übergriffige Regierungen, die die Wünsche der Bürger missachten. Die Faschisten haben gelernt, „die Prinzipien der liberalen Demokratie zu benutzen, um sie auszuhöhlen und abzuschaffen“ (Georg Diez).

Mit Fake News sowie der Übertreibung von Aspekten der Wirklichkeit und radikaler Vereinfachung wird eine Polarisierung befeuert, ein Wir-gegen-sie, und damit ein Zorn geschürt, der zu einer Art „geistigen Bürgerkriegs“ führen soll – dann ist es nur mehr ein Funkenflug bis zur richtigen Gewalt. Die konservative Rechte – auch in ihrer reaktionären Ausformung – hat im Zeitalter der liberalen Demokratie versucht, ihre Agenda durchzusetzen, wenn sie gewählt wurde, aber die Prinzipien und Funktionsweise der Demokratie nicht in Frage gestellt, und sie hat es akzeptiert, wenn sie abgewählt wurde.

Hemmungslos werden Feindbilder aufgebaut und Affekte geschürt.

Der autoritäre Konservatismus und die faschistische Rechte akzeptiert das heute nicht mehr. Sie versuchen die Grundlagen der Demokratie so zu verändern, dass sie praktisch nicht mehr abgewählt werden können. Sie nehmen unabhängige Medien an die Kandare, gehen gegen die Opposition vor, verändern das Wahlrecht, den Zuschnitt der Wahlkreise und ergänzen sie um die Scheindemokratie täglicher Plebiszite, von Meinungsumfragen bis zu inszenierten Volksbefragungen. Wo sie die Mehrheiten dafür haben, nützen sie diese antidemokratischen Möglichkeiten skrupellos. Man denke etwa an Ungarn unter Viktor Orban. Man denke an den radikalen Flügel der US-Republikaner, die MAGA-Republikaner. Man denke auch an den Machtrausch der österreichischen Rechtsaußen-Regierung unter Sebastian Kurz im Bündnis mit der ultrarechten FPÖ zwischen 2017 und 2019, der noch sehr übel hätte ausgehen können, wäre die Regierung nicht an Korruptionsenthüllungen zerbrochen. An die Gepflogenheiten der Demokratie halten sie sich nur, solange ihnen – etwa die Koalitionsregierungen – die Mehrheiten für anderes Agieren fehlen.

Hemmungslos werden Feindbilder aufgebaut und Affekte geschürt, gegen Migranten oder bestimmte Migrantengruppen (Flüchtlinge, Migranten aus muslimischen Ländern, Afghanen, Syrer), aber auch gegen die ethnisch diverse Gesellschaft generell, einzelne Verbrechen werden ganzen Ethnien zugeschrieben. Es wird Hassbewirtschaftung betrieben und die Logiken der sozialen Medien mit ihrem Hang zu Übertreibung und Empörung bieten dafür hervorragende Möglichkeiten. Das Netz ist eine gigantische Hass-Maschine geworden. Es wird mit Tatsachensubstraten gearbeitet, die Fake-Realität eines „Bevölkerungsaustausches“ gezeichnet, ethnische Kriege werden imaginiert oder es wird mit völlig erfundenen Behauptungen agiert.

Es wird ein Gesamtbild propagandistisch etabliert, in dem sich die altansässige Bevölkerung oder zumindest die Wählerschaft der extremen Rechten als „Opfer“ wiederfindet, das so bedroht ist, dass jede Form der Gegenwehr gerechtfertigt sei. Man fühlt sich von Horden bedroht, und wie immer in der Geschichte ist diese Bedrohungsfantasie das, was Taten legitimiert, die man unter normalen Umständen ablehnen würde. Die Verrohung geht langsam vonstatten. Egal, ob Faschismus dafür das richtige Wort ist – Verharmlosung ist jedenfalls unangebracht.

Dieser Artikel ist eine gemeinsame Veröffentlichung von Social Europe und dem IPG-Journal.

Robert Misik lebt und arbeitet in Wien als Autor, Essayist, Ausstellungsmacher, Theaterarbeiter und Veranstaltungskurator.

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