Blutjung

Technisch innovativ, transnational vernetzt: Jugendliche Rechtsextremisten brauchen keine älteren Anstifter, ihren Hass verbreiten sie ganz allein.

© Rufus46/Wikipedia

Eine „neue Extremistengeneration“ wachse heran, warnt Cressida Dick, Leiterin der Londoner Metropolitan Police Force. 13 Prozent aller Terrorverdächtigen seien Kinder – dreimal so viele wie bei früheren Erhebungen. Dass in Großbritannien die wegen rechtsextremistischen Terrors Verurteilten immer jünger werden, erregte erhebliche mediale Aufmerksamkeit. Doch darüber, wie sie sich radikalisieren und welche extremistischen Aktivitäten sie entfalten, gibt es wenig Erkenntnisse.

Wir haben daher zehn rechtsextreme Jugendgruppierungen aus Westeuropa untersucht, die in den vergangenen vier Jahren neu in Erscheinung getreten sind. Dabei beobachteten wir, wie eigenständig extremistische Gruppen junger Menschen agieren. Unsere alarmierenden Erkenntnisse stellen das Narrativ vom „älteren Anstifter“ und dem „jungen, naiven Opfer“ infrage, das in der Berichterstattung und in der Terrorismusbekämpfung dominiert. Wir zeigen, dass junge Extremisten terroristische Online-Inhalte nicht mehr einfach nur passiv konsumieren, sondern solche Inhalte zunehmend selbst erstellen, Gleichgesinnte anwerben und wegen terroristischer Straftaten verurteilt werden.

Extremistische Gruppen junger Menschen agieren zunehmend eigenständig.

Die großen, etablierten Social-Media-Plattformen sind für junge Extremisten ein sehr wichtiges Instrument, um länderübergreifend andere junge Menschen anzusprechen, sie zu radikalisieren und für extremistische Positionen und potenzielle Gewaltbereitschaft zu gewinnen. Junge Extremisten sind robust gegenüber den Versuchen der Unternehmen, die Online-Inhalte zu moderieren. Und sie sind technisch innovativ, wenn es darum geht, auf Social-Media-Plattformen wie Twitter und Instagram relevant zu bleiben: Sie richten Zweit-Accounts ein, um Sperren zuvorzukommen, und nutzen lokal ausgerichtete Anwerbe-Accounts, um junge Menschen zu erreichen, die für Radikalisierung empfänglich sind.

Wir haben festgestellt, dass junge Extremisten auf den etablierten Social-Media-Plattformen präsent sein wollen, weil sie ihre Botschaften dort aufmerksamkeitsstark an Adressatengruppen in der ganzen Welt vermitteln können. Auf Twitter, Instagram und TikTok werden Videos und Bilder mit provokanten Rekrutierungsparolen wie „Dein Land braucht Dich“, „Mach mit bei der nationalistischen Kampfjugend“ oder „Migration tötet“ gepostet, unterlegt mit Fashwave-Optik – ein Kunstwort aus Faschismus und Wave. Werden sie von einer Plattform gelöscht,wechselt die betreffende Gruppierung einfach zu ihrem Telegram-Kanal.

Auch wenn grenzübergreifender Aktivismus durch die Nutzung sozialer Medien immer einfacher wird, halten junge Extremistengruppen an ihren nationalen Identitäten fest. Das Logo der spanischen Gruppierung Bastión Frontal nimmt z. B. Bezug auf die Windmühlen, gegen die die nationale Kulturikone Don Quijote zu Felde zog. Die Blutkrieg Division ruft zur „Rückeroberung von Newcastle“ auf – lokale Belange spielen also für die Motivationslage junger Extremisten nach wie vor eine zentrale Rolle. Die Verlaufsmuster lokaler Aktionen gegen nationale Corona-Maßnahmen und die staatliche Migrationspolitik zeigen, dass die Gruppierungen in besonderem Maße auf nationale Nachrichtenzyklen reagieren. In den sozialen Medien erstellen sie zudem zielgenaue Rekrutierungsprofile für verschiedene Länder oder Regionen. Dies zeigt, wie wichtig ihnen eine lokal ausgerichtete Kommunikation ist, um vorgebliche spezifische Missstände aufzuzeigen und gezielt junge Menschen anzusprechen. Dennoch scheinen im Kommunikationsverhalten der Gruppierungen internationale Zusammenarbeit und Aktivismus eine zunehmend wichtige Rolle zu spielen.

Poster mit Schockwirkung

Sie gestalten ihre Videos und Poster graphisch mit Bedacht so, dass sie eine Schockwirkung entfalten und sich möglichst viral verbreiten. Die spanische Gruppe Bastión Frontal zeigt in ihrer Propaganda zum Beispiel organisierte Proteste gegen die Besetzung der Westsahara durch Marokko, erklärt ihre Unterstützung für die palästinensische Intifada und ihre Solidarität mit Armenien und tritt für Kyle Rittenhouse ein, den Teenager, der bei einer Black Lives Matter-Demonstration zwei Männer erschossen hat und freigesprochen wurde – sie macht sich also für Belange weit jenseits der Grenzen des eigenen Landes stark.  Nationale Gruppen posten auf Telegram, wo rechtsextreme Gruppierungen weitgehend ungestraft ihre Propaganda betreiben und Follower anwerben können, identische Beiträge in verschiedenen Foren oder Unterforen (Crossposting) und erreichen so ein internationales Publikum. Während viele Gruppierungen ihre Inhalte anfangs in der Landessprache veröffentlichten – die schweizerische Junge Tat etwa auf Deutsch und die Bastión Frontal auf Spanisch – ist inzwischen eine deutliche Zunahme englischsprachiger Posts und Propaganda festzustellen, womit vermutlich eine höhere Shareability erreicht werden soll.

Viele der Gruppierungen, die wir untersucht haben, wurden erst nach Beginn der Pandemie aktiv, doch einige von ihnen weiten ihre Aktivitäten bereits ins Ausland aus. So reiste die Junge Tat nach Flandern, um zusammen mit der niederländischen Gruppierung Schild & Vrienden gemeinsame Propagandavideos gegen Einwanderung für die Telegram-Kanäle der beiden Gruppen zu drehen, verknüpft mit der Bitte um finanzielle Unterstützung und verlinkt mit ihren Kryptowährungs-Wallets.

Deutliche Zunahme englischsprachiger Posts und Propaganda

Zuvor hatte die Junge Tat gemeinsam mit der Gruppe Junge Revolution Wanderungen veranstaltet. Als Betreiber ihres gemeinsamen Onlineshops gilt Sanny Kujath, der 2019 als 17-Jähriger die deutsche Gruppierung gründete. Der Versand der Deutschen Jugend verkauft Aufkleber, T-Shirts und Publikationen von Gruppierungen aus verschiedenen Ländern und bietet diesen damit globale Finanzierungsmöglichkeiten.

Besonders beunruhigend ist, dass sich die Teenagerin Isabel Medina Peralta, das Gesicht der Bastión Frontal, mit einem von der Neonazi-Partei Der III. Weg finanzierten Stipendium in Düsseldorf aufhält. Anschließend soll sie mit neuen Propagandatechniken, Ideologien und finanziellen Ressourcen nach Spanien zurückkehren und ihre aggressive Verherrlichung von Antisemitismus und Nationalsozialismus vorantreiben. Trotz der Sprachbarriere erstellt Peralta von Deutschland aus Online-Inhalte mit Rechtsextremisten aus verschiedenen Ländern wie dem britischen Streamer „Saint Harrison“. So kombinieren sie ihre Reichweiten, um ihre Hassbotschaften wirkungsvoller zu verbreiten.

 Kombinierte Reichweiten der Hassbotschaften 

Einige von uns untersuchte Jugendgruppierungen entstanden auf lokaler Ebene und haben sich später internationalisiert, andere waren von vornherein transnational. Die Gruppe National Partisan Movement, die ursprünglich von einem 15-jährigen amerikanischen Jungen mit dem Pseudonym „Panther“ gegründet und geleitet wurde, definiert sich selbst als „auf die Generation Z ausgerichtete Bewegung“, die „sich auf weiße Identität für die Zukunft, durch die Zukunft“ spezialisiert, und ist unter anderem in den USA, Schweden und Großbritannien aktiv. Die in Großbritannien mittlerweile verbotene Feuerkrieg Division, der etliche wegen terroristischer Straftaten verurteilte Jugendliche angehören, wurde von einem 13-jährigen Jungen aus Estland gegründet. Die Gruppierung operiert nach ihrem Verbot nun aus dem Ausland und schafft es mit Hilfe von sozialen Medien und Online-Netzwerken, junge Menschen in Großbritannien und anderswo zu erreichen und zu radikalisieren.

Internationale Terrornetzwerke junger Menschen wie die Feuerkrieg Division sind in der Lage, einen kleinen aber wachsenden Kreis junger rechtsextremer Aktivisten miteinander zu vernetzen. Sie können gemeinsam planen, sich ideologisch verbinden und gegenseitig motivieren, in einer Abwärtsspirale Richtung Gewalt. In deutlichem Gegensatz zum traditionellen Anstiftungsnarrativ agieren Jugendliche inzwischen selbst über internationale Grenzen hinweg, um Gleichgesinnte anzuwerben.

Die Methoden und Narrative, mit denen junge Menschen ihresgleichen rekrutieren, bilden letztlich ein transnationales Bedrohungsszenario. Ideologien werden mit Hilfe von lokalen Anliegen kanalisiert, um junge Menschen mit der umfassenden extremistischen Bewegung zu vernetzen. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den Gruppierungen, die sowohl online als auch offline stattfindet, etabliert und verankert diese Ideologien. Außerdem verschafft sie ihren neuen Wortführern das Instrumentarium, die finanziellen Mittel und das Publikum, um ihre Bewegung auszubauen, und die Möglichkeit, von Worten zu Gewaltaktionen überzugehen. Mitglieder transnationaler Jugendgruppierungen sind an Hasskriminalität beteiligt und wurden bereits wegen terroristischer Straftaten verurteilt.

Uneinheitliche Gesetzeslage und unterschiedliche Ansätze der Terrorismusbekämpfung 

Eine koordinierte Antwort wird durch die uneinheitliche Gesetzeslage und unterschiedliche Ansätze der Terrorismusbekämpfung in den betroffenen Ländern erschwert: Unterschiedliche Gruppierungen werden verboten, und die Strafbarkeitsschwellen für Verurteilungen wegen Hasskriminalität variieren von Land zu Land.

Eine große Schwachstelle ist, dass die Regierungen sich erst neuerdings mit der Frage auseinandersetzen, wie sie die großen Social-Media-Konzerne zur Verantwortung ziehen sollen, wenn diese ihre Grundsätze über zulässige Inhalte nicht konsequent anwenden und über gewalttätige Inhalte hinwegsehen. Vor dem Hintergrund, dass ein signifikanter Teil der nachweislich extremistischen Social-Media-Inhalte von Orten außerhalb der jeweiligen Rechtsordnung gepostet werden, wird eine zentrale Aufgabe darin bestehen, für eine einheitliche politische Antwort über Europas Grenzen hinaus zu sorgen.

Wenn es um die Bekämpfung des Terrorismus geht, dürfen wir weder in der Forschung noch in der Praxis, weder im Journalismus noch bei der Gesetzgebung die wachsenden Ansprüche junger Extremisten auf eigenes Handeln und eigene Autorität unterschätzen. Junge rechtsextreme Aktivisten sind inzwischen nicht mehr nur passive Konsumenten terroristischer Propaganda, die von „Anstiftern“ im Internet verbreitet werden, sondern werden selbst zur treibenden Kraft hinter einer wachsenden länderübergreifenden Bedrohung.

Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld

Hannah Rose ist Research Fellow am International Centre for the Study of Radicalisation (ICSR), Associate Fellow  am Institute for Freedom of Faith and Security in Europe (IFFSE) und Doktorandin am King’s College in London. Sie ist Ko-Autorin der Studie ‘We are Generation Terror!’: Youth-on-youth Radicalisation in Extreme-Right Youth Groups.

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