Breslau 2016: Kultur ohne Grenzen

Wrocław/Breslau, die altehrwürdige Hauptstadt Niederschlesiens, im Südwesten Polens hat viel zu bieten – besonders in diesem Jahr! Vier Oderzuflüsse und zahlreiche Kanäle durchziehen die geschichtsträchtige Metropole. In der Altstadt erhebt sich stolz das gotische Rathaus, leuchten die bunten Fassaden alter Bürgerhäuser rund um die Straßenzüge des Rings und des Salzmarkts. Zu der weltoffenen und lebendigen Atmosphäre Breslaus tragen Cafés und Lokale, Jazzmusiker, Straßenkünstler und die rund 140 000 Studenten aus aller Welt bei.
Als europäische Kulturhauptstadt 2016 feiert sich die Stadt mit einer bunten Mischung aus Konzerten, Ausstellungen, Theateraufführungen und anderen Events. Ein Höhepunkt fand bereits am 11. Juni mit der Aktion „Flow“ (Fluss) statt, in deren Mittelpunkt die Oder als lebensspendende Wasserader der Stadt stand. Erzählt wurde die Geschichte des radikalen Wandels, den die Stadt im 20. Jahrhundert und besonders mit dem fast kompletten Austausch ihrer Bevölkerung im Zuge von Flucht und Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat. Parks, Brücken und Ufer entlang des Flusses verwandelten sich in Schauplätze für viele Einzelaktionen. So konnten Besucher beispielsweise auf der Insel Wyspa Słodowa (Vorderbleiche) ihre Wünsche für die Zukunft auf Karten schreiben und in einer Rakete deponieren. Höhepunkt war das Konzert eines Orchesters mit deutschen, tschechischen, polnischen und israelischen Musikern auf der Dominsel. Gespielt wurden Werke junger Komponisten aus allen vier Ländern.
Als krönenden Abschluss präsentieren am 17. Dezember 2016 Künstler aus Deutschland, Frankreich, Israel, Tschechien, Schweden und Großbritannien das Werk „Niebo“ (Himmel). Die Inszenierung im UNESCO-Welterbe Hala Stulecia, der einstigen „Jahrhunderthalle“, wird die Leitmotive der drei vorangegangenen Aufführen noch einmal aufnehmen, zu einer Gesamtform zusammenführen und als Zukunftsvision ausbauen. Die Botschaft an diesem Abend lautet: Das heutige Wrocław gehört als europäische Stadt all denjenigen, die im Verlauf der Jahrhunderte hier leb(t)en und ihre Spuren hinterließen. Den inszenatorischen Rahmen für Niebo bilden das Flow-Orchester aus vier Staaten und ein Massenchor.
Europäische Filmpreis-Gala

Kurz vor der Abschlussveranstaltung findet noch ein weiteres Highlight des Kulturhauptstadtjahres statt. Am 10. Dezember wird die niederschlesische Hauptstadt zum Schauplatz der Verleihung des 29. Europäischen Filmpreises. Erst im vergangenen Jahr erhielt mit Paweł Pawlikowskis „Ida“ ein polnischer Film die prestigeträchtigste kinematographische Auszeichnung Europas. Breslau ist schon seit langem Veranstaltungsort für eine Vielzahl wichtiger Filmfestivals, die 2016 ganz im Zeichen des kulturellen Großereignisses stehen. So findet vom 21. bis 31. Juli das Independant-Filmfestival Nowe Horyzonty (Neue Horizonte) statt, sowie vom 25. bis 30. Oktober das American Film Festival, das US-Streifen abseits von Hollywood-Massenware auf die Leinwand bringt. Im Rahmen der Zusammenarbeit mit der nordspanischen Metropole San Sebastián, der zweiten Europäischen Kulturhauptstadt 2016, präsentiert das Festival Nowe Horyzonty zudem einen Überblick über drei Generationen baskischer Filmemacher.
Musikalscher Hochgenuss
Zu den Höhepunkten zählen so renommierte Festivals wie Jazz nad Odrą im Mai, die Wratislavia Cantans im September sowie Jazztopad, das One Love Sound Fest und das Wrocław Industrial Festival im November.
Insgesamt 54 verschiedene Ereignisse umfasst die Sparte „Musik“ im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres und ist damit die größte der insgesamt acht Kategorien, in die das Veranstaltugsprogramm unterteilt wurde. Zu den Events zählen neben Musikfestivals auch Darbietungen wie die Konferenz der European Festival Association, das Chortreffen „Singing Europe“, das am 23. und 30. Juli sowie am 6. August 2016 im Nationalen Musikforum stattfinden wird, oder das Europäische Forum der Musiktherapeuten, das vom 1. bis 3. Dezember geplant ist.
Mega-Produktion der Breslauer Oper

Musik und Theater verbindet die im 19. Jahrhundert von dem berühmten Architekten Carl-Ferdinand Langhans erbaute Breslauer Oper. Von dem 1782 in Breslau geborenen und 1869 in Berlin gestorbenen Langhans stammen auch die Kroll-Oper und die Staatsoper in Berlin. Unter der Leitung von Ewa Michnik ist das klassizistische Gebäude an der Liegnitzer Straße seit Mitte der 1990-er Jahre mit Mega-Inszenierungen weit über die polnischen Grenzen hinaus bekannt geworden. Auch zum Kulturhauptstadtjahr hat sie eine gigantische Aufführung auf die Beine gestellt. Mehr als 500 Künstlerinnen und Künstler haben am 18. Juni vor einem mehrere Zehntausend Zuschauer zählenden Publikum im neuen Breslauer Stadion eine Interpretation von Georges Bizets Carmen umgesetzt. Die „Spanische Nacht mit Carmen – Zarzuela“ schlägt als weitere Veranstaltung einen Bogen an die baskische Küste. Im fulminanten zweiten Akt erwartet die Besucher eine 45-minütige Darbietung der schönsten Lieder der Zarzuela, des klassischen spanischen Musiktheaters. Verantwortlich zeichnen Waldemar Zawodziński aus Breslau und der Spanier Ignacio García. Mit von der Partie sind zudem Künstler aus Madrid und San Sebastián. Den Höhepunkt des Theaterangebotes stellt die Internationale Theaterolympiade vom 14. Oktober bis 14. November dar. Ganz im Geiste Grotowskis lautet das Motto der siebten Ausgabe des Theaterfestivals „Die Welt als Ort der Wahrheit“ und zeigt bedeutende Produktionen zeitgenössischer Theatermacher aus aller Welt .
Visuelle Künste

Großen Raum nehmen die Veranstaltungen und Projekte aus dem BereichVisuelle Künste ein. Sie widmen sich deutschen Künstlern, die das alte Breslau ausmachten, polnischen Künstlern, die ihre ukrainische Heimatstadt Lemberg (Lwow/Lviv) nach 1945 mit Wrocław tauschen mussten sowie zeitgenössischen Künstlern aus der Odermetropole selbst. Geplant ist unter anderem eine große Ausstellung im Herbst unter dem Titel „Wrocławska Europa“, die sich der kulturellen Vielfalt in Breslau und Schlesien im 16. und 17. Jahrhundert widmen wird. Erinnert wird dabei insbesondere an den schlesischen Maler Bartholomäus Strobel. Das Dresdener Kulturfestival Ostrade macht 2016 einen Ausflug in die Partnerstadt Breslau und präsentiert dort auch noch im Juli zeitgenössische Kunst aus Deutschland. Eine Besonderheit ist das Format „Szkło Około – Glas rundherum“, das sich mit mehreren Veranstaltungen der Glaskunst widmet, die in Niederschlesien auf eine jahrhundertealte Tradition zurückblicken kann. Zu den Programmpunkten gehört das Europäische Glasfestival „Play with glass“ im Oktober 2016.
Informationen zum Kulturhauptstadtjahr gibt es in englischer Sprache auf der Website www.wroclaw2016.pl, außerdem unter www.wroclaw.pl auch auf Deutsch. Die legendäre Bar Barbara in der Straße ul. Świdnicka 8 (Schweidnitzer Straße) wurde 20 Jahre nach ihrer Schließung wiederbelebt und fungiert nun als Kultur- und Informationszentrum Barbara. Dort können sich Besucher über das Programm des Kulturhauptstadtjahres informieren und Gerichte aus regionalen Produkten genießen.
Sepp Spiegl