Pioniere der Freiheit

Dieter Weirich

„Kollegen reiht Euch ein. Wir wollen freie Menschen sein“! Dieser Protest ertönte am 17. Juni 1953 in der DDR. Mehr als eine Million Menschen waren auf der Straße, um gegen den „verschärften Klassenkampf“ des Moskauer Marionetten-Regimes, die Erhöhung der Arbeitsnormen, die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft und die Pressionen gegen Mittelstand und Privatunternehmen zu demonstrieren. Der damals von den Panzern der Sowjetunion niedergewalzte Volksaufstand forderte über 50 Tote und viele hundert Verletzte. Über 15 000 Menschen wurden verhaftet.

In dieser Woche ist der 70. Jahrestag jenes dramatischen Ereignisses, und es sind in der Hauptstadt Berlin und in den neuen Bundesländern viele Gedenkveranstaltungen – vor allem mit Zeitzeugen – zur Erinnerung an diesen wichtigen Tag in der deutschen Demokratiegeschichte geplant. Das Stasi-Unterlagen-Archiv und die Bundesstiftung Aufarbeitung haben einen neuen Bildungs-Wegweiser entwickelt, mit dem man eine elektronische Reise durch die Orte der Streiks und Demonstrationen von damals unternehmen kann.

Die Bürger im seinerzeit „anderen Teil Deutschlands“ haben bereits 1953 die These widerlegt, bei der DDR handele es sich um einen besonders angepassten Sowjet-Satelliten mit einem unterbelichteten deutschen „Revolutions-Gen“. In Wirklichkeit war die DDR mit dem Volksaufstand vom 17. Juni und der Forderung nach freien Wahlen eine Art Fahnenträger der Freiheit im sozialistischen Lager, in dem sich später Ungarn, Tschechen und Polen vom sowjetischen Joch zu befreien versuchten.

Der Schlachtruf „Wir sind das Volk“ ist in Deutschland also schon in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ertönt. Der 17. Juni wurde deshalb in der westlichen Bundesrepublik zum arbeitsfreien „Tag der deutschen Einheit“ erklärt. Der Anlass hierfür geriet aber zunehmend in Vergessenheit, auch weil der Glaube an eine Vollendung der deutschen Einheit immer mehr abgenommen hatte.  Seit der Wiedervereinigung hat nun der 3. Oktober den Platz des 17. Juni als Nationalfeiertag eingenommen.

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als „liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.

 

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