Medizin: Sepsis: Alle 6 Minuten ein Todesfall
Krankheitslast und Sterblichkeit im internationalen Vergleich hoch, die Erkennung oft zu spät, die Nachsorge lückenhaft: Bei der Behandlung der Sepsis läuft Deutschland international hinterher. Die Folgen: Jährlich erkranken mindestens 230.000 Menschen an dieser Infektion und mindestens 85.000 von ihnen versterben. Alle sechs Minuten verlieren wir in Deutschland deshalb einen Menschen – dabei wäre ein großer Teil der Erkrankungen vermeidbar.
Eine Sepsis – auch Blutvergiftung genannt – ist die schwerste Form einer Infektion. Unbehandelt endet sie immer tödlich. Sepsis ist, wenn die körpereigene Abwehr gegen eine Entzündung außer Kontrolle
gerät und beginnt, die eigenen Organe zu schädigen. Sie ist ein akuter Notfall, bei dem Zeit eine wesentliche Rolle spielt: „Jede Stunde zählt“, heißt es dazu bei „Deutschland erkennt Sepsis“, eine Kampagne verschiedener Organisationen, die vom Bundesgesundheitsministerium gefördert wird. Mit mindestens 85.000 Toten ist sie eine der häufigsten Todesursachen – doppelt so viele Menschen sterben im Krankenhaus an Sepsis wie an Schlaganfall und Herzinfarkt zusammen.
Die Sepsis-Stiftung sieht in Deutschland einen „immensen Handlungsbedarf“ und beruft sich dabei auf den in der Fachzeitschrift The Lancet veröffentlichten Bericht über die Krankheitslast der Super-Infektion im internationalen Kontext. Während es in Ländern wie der Schweiz oder Norwegen gelungen war, die Sepsis-Sterblichkeit pro 100.000 Einwohner:innen in den Jahren vor der Pandemie zu senken, stiegen sie in Deutschland an (s. Grafik). Auch in den Jahren der Pandemie, die weltweit zu einem starken Anstieg der Erkrankung geführt haben, sticht Deutschland hervor. Die Sepsis-Stiftung schreibt: „Die globalen Schätzungen gehen für das Pandemiejahr 2021 von 166 Millionen Sepsis-Fällen und 21,4 Millionen Sepsis-bezogenen Todesfällen weltweit und in Deutschland von 211.000 Todesfällen aus. Dies bedeutet, dass weltweit jeder dritte Todesfall und in Deutschland jeder fünfte Todesfall durch eine Sepsis bedingt war.“ Für das Jahr 2021 gilt also: Statt alle sechs Minuten starb hierzulande alle 2,5 Minuten ein Mensch an einer Sepsis.
Sepsis-Vorbeugung: Deutschland läuft hinterher
Dass Deutschland bei der Sepsis-Vorbeugung, -behandlung und -nachsorge hinterläuft, hat viele Gründe:
- Es fehlt an Wissen und Bewusstsein – nicht nur in der breiten Bevölkerung. Auch im medizinischen Alltag wird Sepsis zu oft zu spät erkannt, vor allem außerhalb der Intensivstationen. Menschen mit dieser Super-Infektion werden zu spät gezielt behandelt, was die Sterblichkeit deutlich erhöht.
- Es fehlen – anders als in Ländern wie den USA, Großbritannien oder Australien – strukturierte Früherkennungssysteme in den Klinken.
- Die fragmentierte Versorgung im Spannungsfeld zwischen der hausärztlichen Versorgung, den Notaufnahmen und Kliniken sowie der Reha sorgt für Schnittstellenprobleme: Sektorendenken bei gleichzeitig nicht ausreichender digitaler Unterstützung sind Hürden für eine besseren Versorgung. Das betrifft auch viele Sepsis-Überlebende. Für das so genannte Post-Sepsis-Syndrome (PICS) gibt es in der Regel keine strukturierte Nachbetreuung.
- Die überarbeitete S3-Leitlinie gibt zwar klare Vorgaben, gerade was das Zeitmanagement im Falle einer Sepsis betrifft, wird aber bisher nicht bundesweit einheitlich umgesetzt.
- Erst im Jahr 2026 startet in Deutschland das bundesweite Qualitätssicherungsverfahren „Diagnostik und Therapie der Sepsis“. Erst dann werden Kennzahlen wie Screening-Rate, Blutkulturen, Time-to-Antibiotics oder Mortalität systematisch erfasst. Es soll die Versorgungsqualität der stationären Sepsis-Versorgung verbessern und die Sterblichkeit reduzieren. In Ländern wir den USA oder Großbritannien ist das längst Standard.
Immerhin: Das Problem wurde erkannt. Die bundesweite Aufklärungskampagne „Deutschland erkennt Sepsis“ läuft, die neue S3-Leitlinie setzt einen neuen Standard und das Qualitätssicherungsverfahren ab 2026 wird Wirkung zeigen. Nicht zuletzt durch die Pandemie ist die politische Aufmerksamkeit gestiegen – Sepsis wird zunehmend als Public-Health-Thema erkannt.
Sepsis-Prävention ist nicht nur eine politische Hausaufgabe, sondern auch eine Frage der persönlichen Entscheidung. Da grundsätzlich jede Infektion – egal ob viral oder bakteriell ausgelöst – außer Kontrolle geraten kann, gilt als Faustregel: Nur eine vermiedene Infektion ist eine gute Infektion. Zur Sepsis-Prävention gehört deshalb auch ein guter Impfschutz.



